"Eine Woche nicht rausgetraut"

Von Interview: Philipp Böhl
Benjamin Kirsten ist schon seit sieben Jahren für Dynamo aktiv
© getty
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SPOX: Wie groß war der Ansporn, in seine Fußstapfen zu treten?

Kirsten: Seine Fußstapfen sind natürlich riesig. Was er geschafft hat, ist unerreichbar. Es wird niemals eine Art Stürmertyp wie ihn geben, der so brutal genetzt hat, der so einen unglaublichen Ehrgeiz an den Tag gelegt hat. Das sind alles klasse Tugenden. Er hat außerdem eine Persönlichkeit, mit der er sich in ganz Deutschland Respekt erarbeitet hat. Ich habe es immer betont: Wenn ich es erreichen sollte, dass mir die Leute ähnlichen Respekt zollen wie ihm - nicht nur sportlich gesehen, sondern besonders charakterlich - dann hätte ich schon viel erreicht.

SPOX: Gibt es da Parallele, was Einstellung und Mentalität angeht?

Kirsten: Bezüglich der Einstellung sind wir glaube ich ziemlich gleich. Es gibt auch Dinge, die er mir fußballerisch vererbt hat. Wenn im Spiel mal ein Torhüter übrig ist und ich ins Feld gehe, weiß ich immer, wie ich laufen muss. Dabei habe ich gar nicht die Kondition, um zu laufen wie ein Feldspieler (lacht). Leute, die uns beide kennen, sehen da schon gewisse Parallelen. Aber wir sind trotzdem völlig verschiedene Fußballtypen - alleine schon weil ich Handschuhe anhabe.

SPOX: Ein ganz anderes Thema: Nach dem Abstieg Dynamos letzte Saison verfassten Sie einen sehr emotionalen Facebook-Post. Was veranlasste Sie dazu, diesen zu veröffentlichen?

Kirsten: Wenn man die ganze Saison gegen den Abstieg kämpft und selbst an einen Punkt kommt, an dem man auch an sich selbst zweifelt, wenn man sich fragt: "Warum konnte man da nicht gewinnen? Warum da nicht unentschieden spielen?" Diese sechs Punkte, die uns gefehlt haben, haben wir über die ganze Saison liegen gelassen. Und dann sitzt man da, fährt nach Hause und macht sich Gedanken, wie unfassbar das alles ist. Es ist eine der größten Schanden, die man über sich ergehen lassen muss.

SPOX: Was haben Sie dann unternommen?

Kirsten: Ich habe mich eine Woche nicht rausgetraut. Ich war völlig am Boden. Da ging es mir wie tausenden Fans. Das hat mich eben dazu bewegt, ein paar Dinge aufzuschreiben und anzusprechen, auch damit die Fans eben merken, dass sie nicht alleine mit ihrer Trauer sind. Ich wollte einfach einen Teil zurückgeben für diese Unterstützung, die wir das ganze Jahr gekriegt haben. Wir haben bis zur letzten Minute versucht, alles zu geben. Einen Tag danach habe ich mich gefühlt, als wäre ich vom Bus überrollt worden.

SPOX: Für Sie persönlich lief die Saison damals auch nicht ganz ideal. Sie wurden für sechs Spiele auf die Bank gesetzt...

Kirsten: Als Torwart gibt es eben nur eine Position. Ich habe das akzeptiert und immer weiter gemacht, bin an Leistungsgrenzen gegangen, an die man eigentlich nicht gehen kann. Ich habe den Platz dann wegen einer Verletzung zurückgekriegt, es ist aber nicht so, dass ich mir das nicht erarbeitet hätte. Ich wollte niemandem eine Plattform geben, um zu sagen: "Der lässt sich hängen." Ich war natürlich etwas angeschlagen, habe viele Leute nicht mehr an mich rangelassen - auch weil ich es nicht ganz gerecht fand, was passiert ist. Aber das ist die Vergangenheit. Jetzt gibt es ein neues Projekt, bei dem ich stolz bin, ein Teil davon zu sein.

SPOX: In einem früheren SPOX-Interview bezeichneten Sie sich als "Schreikind". Gehören Sie auch heute noch zu den lauteren Spielern in der Mannschaft?

Kirsten: Es gibt ja zwei Seiten: Auf dem Platz und in der Kabine. Ich versuche, in der Kabine immer offen zu sein und auch ein bisschen Spaß zu haben, damit Lockerheit da ist. Auf dem Feld versuche ich sehr fokussiert zu sein. Das sind eben die zwei Paar Schuhe. Zu Hause bin ich auch eher relativ ruhig.

SPOX: Sie deuteten damals zwei große Ziele an: Spielen, bis Sie 37 Jahre alt sind und Rekordspieler bei Dynamo zu werden. Ist das noch realistisch?

Kirsten: (lacht) Kurz vor dem Interview habe ich mal nachgeschaut und gesehen, dass der Rekord bei über 800 Spielen liegt. Das habe ich mal so grob überschlagen... das könnte schon sehr, sehr eng werden (lacht). Aber Spaß bei Seite: Man steckt sich ja immer irgendwelche Ziele. Diese sollten auch erreichbar, gleichzeitig aber auch schwierig sein, sonst verliert man den Ehrgeiz.

SPOX: Also sind zwei andere Aussagen, die Sie damals äußerten, realistischer: "Kirsten unterschreibt Rentenvertrag" und "Dynamo steigt in die zweite Liga auf"?

Kirsten: (lacht) Das ist gut möglich!

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