"Die Deutschen wollten uns häkeln"

Nino Duit
11. August 201614:49
Herbert Prohaska und Österreich besiegten 1978 in Cordoba Deutschland mit 3:2imago
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Herbert Prohaska ist nicht nur Österreichs Fußballer des 20. Jahrhunderts - er ist Legende und Kultfigur zugleich. Als Spieler wirkte er beim "Wunder von Cordoba" sowie der "Schande von Gijon" mit und sorgte in Italien für Aufsehen, als Trainer führte er Österreich zur WM 1998. Mittlerweile ist Prohaska TV-Experte. Ein Gespräch über Marcel Koller, weinende Präsidenten-Frauen, Lokalbesuche in Paris, Bartrasuren und musikalische Misserfolge.

SPOX: Herr Prohaska, 1978 und 1982 waren Sie als Spieler bei der WM, 1998 als Trainer und jetzt fahren Sie als TV-Experte zur EM nach Frankreich. Was macht am meisten Spaß?

Herbert Prohaska: Am schönsten ist es als Spieler, am verantwortungsvollsten als Trainer und am gesündesten als Experte, weil ich besser schlafe, mich nicht so viel ärgern muss und weniger Verantwortung trage.

SPOX: Im Moment trägt Marcel Koller die Verantwortung als österreichischer Teamchef. Zu Beginn haben Sie sich kritisch über ihn geäußert. Hat Sie Koller mittlerweile überzeugt?

Prohaska: Vor seiner Teamchef-Bestellung war er zwei Jahre lang arbeitslos. Da habe ich mich gefragt, wie man auf den kommt. Natürlich bildet man sich weiter, aber das ersetzt nicht zwei Jahre Tagesgeschäft. Gott sei Dank habe ich mich mit meinen Bedenken geirrt. Er macht fantastische Arbeit und man sieht seine Handschrift, was bei vielen Trainern nicht der Fall ist. Huub Stevens war mal Trainer von Red Bull Salzburg und da hat man gar nichts gesehen. Der war immer nur angefressen und hat uns das Gefühl gegeben: 'Seid's ihr deppert, ihr müsst froh sein, dass ich in dem Land überhaupt arbeite.'

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SPOX: Bei der EM-Gruppenauslosung hatte Österreich Glück, trifft auf Ungarn, Portugal und Island. Was trauen Sie Ihrem Land bei der EM zu?

Prohaska: Wir haben uns souverän qualifiziert und können uns das Achtelfinale als realistisches Ziel setzen. Ungarn und Island werden aber auch zufrieden sein mit dieser Gruppe. Unser Team ist relativ erfahren, hat aber noch keine Endrunde bestritten. Wenn die Mannschaft verletzungsfrei bleibt, gehört sie sicher zu den Teams, die überraschen können.

SPOX: Bei der WM 1978 haben Sie mit Österreich überrascht, haben die erste Runde überstanden.

Prohaska: Damals haben wir uns zum ersten Mal seit 20 Jahren qualifiziert. Wir waren in einer Gruppe mit Spanien, Brasilien und Schweden - und sind aufgestiegen. Für die damalige Zeit war uns selbst nicht bewusst, wie gut wir waren, was für eine Klasse wir besessen haben. Die Mannschaft hat sich ergeben aus sechs, sieben gestandenen Legionären und - ich sage es mal unbescheiden - den Jahrhunderttalenten Pezzey, Krankl, Schachner, Obermayer und Prohaska. Das hat eine super Mischung ergeben.

SPOX: Als "Helden von Cordoba" hat diese Mannschaft ewigen Ruhm sicher. Gibt es irgendetwas, was Sie über dieses Spiel noch nie erzählt haben?

Prohaska: Nein, das glaube ich nicht.

SPOX: War Ihnen die Tragweite der Partie schon damals bewusst?

Prohaska: Nein, gar nicht. Das ist ja das Lustige, dass wir damals gar nicht gewusst haben, was der Sieg in Österreich ausgelöst hat. Wir haben das erst am Flughafen in Wien gemerkt, als 5.000 Leute auf uns gewartet haben. Das war unbeschreiblich.

SPOX: Wie war denn das Verhältnis zwischen den österreichischen und den deutschen Spielern?

Prohaska: Am Spielfeld war es ein bisschen sehr gehässig - aber mehr sprachlich als körperlich, also bezüglich Fouls. Den Deutschen hätte ja ein Unentschieden gereicht und die wollten uns häkeln, weil wir fix heimfahren mussten. Am Anfang haben die viel reden können, aber nach dem 3:2 haben wir schon gesagt: 'Kinder, ihr sitzt mit uns im Flieger!' Und dann sind die tatsächlich mit exakt demselben Flieger wie wir nach Europa geflogen. Das hat uns sehr gefreut.

SPOX: Vier Jahre später trafen Sie bei der WM in Spanien wieder auf Deutschland - diesmal sind dank der "Schande von Gijon" beide Mannschaften aufgestiegen. Wie ist das abgelaufen?

Prohaska: Bis zur Pause ist das Match ganz regulär gespielt worden. Nach der Halbzeit sind wir gemeinsam mit den Deutschen aufs Feld gegangen und dann hat irgendwer gemeint, ob uns eigentlich bewusst ist, dass wir mit dem Ergebnis beide weiter sind. Das war dann irgendwie ein stilles Abkommen. Wenn wir uns darauf nicht eingelassen hätten, wären wir sowieso nicht weitergekommen, weil die Deutschen besser waren. Im Nahhinein gesehen bin ich darauf natürlich nicht stolz, aber in dem Moment willst du einfach weiterkommen. Zerstört haben eigentlich alles die Deutschen, indem die ihr Eröffnungsspiel gegen Algerien verloren haben. SPOX

SPOX: Auf Vereinsebene standen sie mit der Wiener Austria 1978 im Finale des Europapokals der Pokalsieger, verloren aber in Paris mit 0:4 gegen den RSC Anderlecht.

Prohaska: Das war meine schlimmste Niederlage und übertrifft auch das 0:9 gegen Spanien als Teamchef - das war meine peinlichste Pleite.

SPOX: Es heißt immer wieder, dass die Spieler der Austria das süße Leben von Paris vor dem Finale etwas zu intensiv genossen haben.

Prohaska: Das ist ein Blödsinn. Wir waren zwei Tage vor dem Finale mit unseren Frauen nur in irgendeinem Laden, Crazy Horse oder Moulin Rouge glaube ich, und haben uns eine Vorstellung angeschaut. Der Fehler war, dass wir nicht unbedingt gewinnen wollten, sondern froh waren, überhaupt im Finale zu stehen. Vorher erschien es unmöglich, dass eine österreichische Mannschaft je ein Europapokal-Finale erreichen würde.

SPOX: Zwei Jahre später sind Sie als erster Ausländer nach einer 20-jährigen Legionärs-Sperre in die Serie A, zu Inter Mailand gewechselt. Später spielten Sie auch für AS Rom. Wie haben Sie die Zeit in Italien erlebt?

Prohaska: Als Ausländer wirst du in Italien extrem verehrt. Niemand steht über dir, kein Sänger, kein Schauspieler, kein Politiker. Wenn du ein bisschen was gewinnst, dann hast du sofort Legendenstatus. Bei der Austria war ich 18 Jahre und gelte als Legende, in Rom habe ich dafür nur ein Jahr gebraucht.

SPOX: Was hat Sie am Fußball in Italien überrascht?

Prohaska: Dort war alles viel, viel professioneller und organisierter. Die Italiener sind Meister im Kasernieren. Im Sommer war ich einmal von acht Wochen nur vier Tage daheim. Das war schon eine harte Zeit. Finanziell war es super, eine neue Sprache habe ich gelernt - es war großartig. Die Stadien waren auch immer voll. In Rom waren gegen Ascoli Calcio mal nur 54.000 Zuschauer im Olimpico. Da hat der Präsident gemeint, die Anhänger lassen die Mannschaft im Meisterschaftskampf im Stich. Wenn die heute auch nur einen Schnitt von 54.000 hätten, würden die drei Meter hoch springen.

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SPOX: Warum sind Sie nach nur drei Jahren zur Austria zurückgekehrt?

Prohaska: Das ist eine kuriose Geschichte. Als ich bei der Roma gespielt habe, waren zwei Ausländer erlaubt, das waren ich und der Falcao. Falcao wollte aber einen besser dotierten Vertrag und hat gedroht, ansonsten nach Hause nach Brasilien zu fahren und nicht mehr zurückzukommen - und das hat er auch wirklich gemacht. Unbeeindruckt hat die Roma dann als zweiten Ausländern neben mir Toninho Cerezo verpflichtet, woraufhin der Falcao gemerkt hat, dass die ernst machen. Er hat sich wieder gemeldet und gesagt, er respektiere seinen Vertrag.

SPOX: Dann waren es drei Ausländer ...

Prohaska: ... genau und einer musste deshalb gehen und ausbezahlt werden. Das war dann ich, weil ich nur mehr ein Jahr Vertrag hatte, die anderen beiden drei Jahre. Der Präsident hat sich gar nicht mehr getraut, mit mir zu reden. Er hat dem Manager nur gesagt: "Was der Herbert will, das kriegt er." Seine Frau hat beim Abschied vor Zorn sogar geweint. Kurz bevor ich gehen musste hat die Roma Francesco Graziani gekauft. Im Dezember 2015 habe ich ihn bei diesem Benefizspiel getroffen und da meinte er, dass ich schuld sei für drei verlorene Jahre in Rom.

SPOX: Warum das denn?

Prohaska: Er hat gesagt, er ist nur wegen mir zur Roma gegangen und, dass er mit mir dreimal Meister und nicht nur zweimal Cupsieger geworden wären. Natürlich ein bisschen im Spaß, aber schön ist es trotzdem.

SPOX: In den 1990er Jahren waren Sie Teamchef der österreichischen Nationalmannschaft. Wie beurteilen Sie diese Zeit?

Prohaska: Am Anfang war es bärenschwer, weil ich auf den Ernst Happel gefolgt bin. Bei der ersten Pressekonferenz habe ich die Trainingszeit auf 10 Uhr festgelegt. Dann ist schon die erste Frage gekommen: 'Warum um 10 Uhr? Der Happel hat um 9 Uhr trainieren lassen.' Da habe ich schon gewusst, dass das ganz, ganz schlimm wird. Ich hatte aber mit Beppo Mauhart einen super Präsidenten, der nicht populistisch war, und so war ich sieben Jahre lang Nationaltrainer und habe mich für die WM 1998 qualifiziert.

SPOX: Dort ist Österreich in der Vorrunde ausgeschieden.

Prohaska: Das Problem war, dass die Gruppe unterschätzt wurde. Chile hatte Marcelo Salas und Ivan Zamorano, die haben zusammen mehr gekostet als die ganze österreichische Liga. Kamerun hat vorher gar nicht in Europa gespielt, von denen haben wir nur eine einzige Videokassette bekommen. Die Italiener hatten zwar eine super Mannschaft, waren aber körperlich tot. Mit ihrer Klasse haben sie dann aber doch noch gegen uns gewonnen.

SPOX: Italien hat Österreich nicht nur das WM-Aus 1998 beschert, sondern wegen einer Wette Ihnen 2006 auch die Rasur Ihres legendären Schnauzers.

Prohaska: Die vom ORF haben gesagt: Tipp du den Weltmeister und wenn du ihn nicht errätst, dann kommt der Bart weg. Der Rainer Pariasek (ORF-Moderator), der mich zu der Wette getrieben hat, wollte bei einer Niederlage aber nichts machen. Und dann habe ich gewonnen, weil ich auf Italien getippt habe - und nichts ist passiert. Weil es ein schöner Gag wäre, haben die mich aber gebeten, den Bart trotzdem zu rasieren. Nach 30 Jahren mit Schnauzer habe ich dann gesagt, dass sie ihn mir halt abrasieren sollen.

SPOX: Sie sind die Vereins-Legende der Wiener Austria, waren Gerüchten zufolge als Kind aber Rapid-Fan. Stimmt das?

Prohaska: Nicht ganz. Mein Vater war fanatischer Vienna-Anhänger, alle 14 Tage waren wir bei den Heimspielen auf der Hohen Warte, aber die Vienna hat immer nur gegen den Abstieg gespielt. Als ich in die Schule gekommen bin, haben natürlich alle gefragt, was ich für ein Anhänger bin. Ich habe mich nicht getraut Vienna zu sagen, weil die mich dann alle gehäkelt hätten, und habe stattdessen halt Rapid gesagt.

SPOX: Einige Jahre später, als Teenager haben Sie Mal in einer Band gespielt. Wie ist es dazu gekommen?

Prohaska: Mein damaliger bester Freund, der mit mir im Verein gespielt hat und ähnlich gut war, wollte unbedingt eine Band gründen und mich dabei haben. Ich sollte Bass-Gitarre spielen, aber ich war schwerst untalentiert; unser Gitarrist musste mir immer zeigen, was ich genau machen soll. Ich bin dann auch nur einmal aufgetreten. Mein Freund aber öfter und der hat sich so seine Fußballer-Karriere ruiniert. Seit zehn Jahren trete ich als Sänger für eine Band namens The Real Holy Boys auf. Die machen das sehr professionell und das ist gut so, weil ich deshalb nicht viel verhauen kann.

SPOX: Seit einigen Jahren kursiert ein kurioses Video im Internet, bei dem Sie live auf Sendung etwas ausfällig werden, Zuschauer scheinbar als "Hurenkinder" beschimpfen. Wie ist das zustande gekommen?

Prohaska: Wir waren bei der U16-EM in Linz und ich hatte einen Moderator, der das zum ersten Mal gemacht hat und noch dazu ein Fan von mir und ziemlich nervös war. Im Vorlauf haben einige Kinder die ganze Zeit Papierkugeln und -flieger auf uns runter geschossen. Dann hat die Regie dem Moderator gesagt, dass wir gleich auf Sendung sind, aber der hat das nicht an mich weitergegeben. In dem Moment ist dem Kameramann gerade wieder ein Flieger auf den Kopf geflogen und dann habe ich das halt im Spaß gesagt - und wir waren live auf Sendung.

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