Woran das wohl liegen könnte? Marko Arnautovic ordnet sich in einer Mannschaft unter. Er trifft, er bereitet vor. Arnautovic lässt Leistungen sprechen und liefert der Boulevard-Presse kein Futter. Er ist einfach ein normaler Profi, der seit seinem Wechsel nach England zu Stoke City seine Arbeit verrichtet - und das sogar ziemlich erfolgreich.
Kann nicht sein, muss einen Haken haben, dachte sich Roman Mählich, ehemals Spieler und mittlerweile TV-Experte in Österreich. Für den läuft das in England so gut, sagte Mählich also, weil den dort keiner versteht.
Spielen und schweigen. Lautet so das plötzliche Erfolgsrezept des Marko Arnautovic? Nein, wenn es nach ihm selbst geht. Er spreche fließend Englisch, Deutsch, Italienisch, Serbisch, Portugiesisch, Türkisch und Holländisch, stellte Arnautovic klar und spekulierte über die Fremdsprachen-Kenntnisse seines Kritikers. "Was sprechen Sie? Wienerisch, FC Innsbruckerisch, Sturm Grazerisch, Untersiebenbrunnerisch und Austrianerisch?" Sprachlich ist Arnautovic vielleicht multilingual unterwegs, sein Schmäh ist dagegen pur, unverfälscht und absolut rein. Nämlich wienerisch.
Eingelöster Lotto-Schein
Arnautovic ist mittlerweile 27 Jahre alt. Er ist kein Versprechen für die Zukunft mehr. Er ist kein gewinnbringender Lotto-Schein mehr, der zuhause herumliegt und wartet, eingelöst zu werden. Er ist ein Lottoschein, der abgegeben wurde. 2013 war es soweit, eingelöst von Stoke City. Und der Schein kostete genau 2,8 Millionen Euro, so viel zahlten die Potters an Werder Bremen.
Österreich im Porträt: Designer, Geläuterter und ein Superstar
Dass er wirklich der Hauptgewinn sein sollte, stellte sich aber erst später heraus; der Transfer war ob Arnautovic' Vorgeschichte ein großes Risiko für Stoke. Ein Risiko, das sich gelohnt hat. Mittlerweile hat der Offensivmann zwei Spielzeiten hinter sich. 110 Partien, 19 Treffer, 26 Vorlagen. Eine starke Bilanz. Arnautovic hat voll eingeschlagen.
Unbelastet auf die Insel
SPOX fragte beim ÖFB-Team-Experten des österreichischen Fußballmagazins ballesterer, Mario Sonnberger, nach. Wie kam es zur Wandlung des Marko Arnautovic? "Der Abschied aus Deutschland war sicherlich ein Schlüsselerlebnis für ihn", sagt Sonnberger, "in England ist er unbelastet, während er in Bremen stets mit Argusaugen beobachtet wurde - sowohl von der Presse als auch von den Fans."
Seine aktuellen Trainer stehen komplett hinter Arnautovic, sowohl Mark Hughes bei Stoke City als auch Marcel Koller beim ÖFB-Team. Speziell Koller brachte Arnautovic seit seinem Amtsantritt 2011 vollstes Vertrauen entgegen. "Ich hätte nicht gedacht, dass er ihn so intensiv forciert", sagt Sonnberger. Suspendierung in Bremen? Egal, im Nationalteam spielt Arnautovic. Und Arnautovic ließ Koller nicht hängen. In der EM-Qualifikation machte kein ÖFB-Kicker mehr Minuten als der Linksaußen. Drei Tore und zwei Assists steuerte er zur erfolgreichen Mission bei.
Schräger Vogel statt Bad Boy
Sein Wert geht aber über das Sportliche hinaus. "Er ist eine Identifikationsfigur, einfach ein herzlicher und treuer Mensch, mit dem man viel Spaß haben kann. Er ist alles andere als der Bad Boy, eher der Typ schräger Vogel", sagt Sonnberger, "mit ihm kann man Spaß haben, da kommt niemand dran vorbei."
Dass in Österreich kaum einer an Arnautovic vorbeikommt, war früh klar. Fußballerisch gesehen, versteht sich. 2010 spielte er mal mit dem U21-Nationalteam gegen Dänemark. Wobei, spielte ist wohl untertreiben. Er zelebrierte - das Spiel und sich. 3:0 zerlegte Österreich, angeführt von Arnautovic, Dänemark. Mit Ferserln, wie man Hackentricks in Österreich nennt, narrte er seine Gegenspieler, denen er dann aber Trost spendete und sie liebevoll umarmte. Seine Fans beglückte er in der Halbzeitpause mit Autogrammen und Fotos.
Star-Allüren par excellence. Wenig später gewann er mit Inter Mailand die Königsklasse. Ohne eine Sekunde gespielt zu haben, ließ sich Arnautovic "Champions-League-Sieger 2010" auf die Schuhe sticken. Als er in Wien mal von der Polizei kontrolliert wurde, stellte Arnautovic gegenüber dem Beamten sicherheitshalber klar: "Du hast mir gar nichts zu sagen. Ich verdiene so viel, ich kann dein Leben kaufen!"
Vom Aussterben bedrohte Spezies
Sein Verhalten neben dem Platz stand lange im Gegensatz zu dem, was er auf dem Platz zeigte. Denn das beschrieb U21-Teamchef Andreas Herzog nach dem Abpfiff des besagten Spiels fast schon euphorisch. "Es gab einen Krankl, einen Herzog, einen Polster, einen Prohaska, aber Arnautovic stellt sie alle in den Schatten, wenn er sein Potenzial abruft. Das ist mit Abstand der beste Fußballer, der in den letzten 30 Jahren auf einem österreichischen Fußballplatz herumgelaufen ist."
Arnautovic kann das Besondere, er zählt zu einer Spieler-Spezies, die akut vom Aussterben bedroht ist: Dem gemeinen Straßenkicker. Bekannte Kennzeichen: Hang zur Zauberei und brotlosen Kunst, zur Unberechenbarkeit, Selbstjustiz und Unbelehrbarkeit. Potenzial zum Spielentscheider. Anders als fast alle seiner ÖFB-Teamkollegen durchlief Arnautovic keines der hochgelobten Nachwuchsleistungszentren, in denen die Spieler gleichermaßen zu einwandfreien Fußballern, wie zu einwandfreien Charakteren geformt werden. Langweiligen, sagen manche.
Wobei, zweimal probierte er es ja bei den großen Klubs. Als gebürtiger Wiener spielte er in der Jugend zeitweise für die Austria, zeitweise für Rapid. Dass sich Vertreter dieser beiden Erzrivalen einig sind, kommt selten vor. In diesem Fall hieß es aber unisono. Arnautovic? Untrainierbar. Mit 15 kehrte er zu seinem Heimatklub, dem Floridsdorfer AC, zurück. Seine wahre Heimat waren aber lange die Käfige. So werden die umzäunten Fußballplätze im eng bebauten Wien genannt. Dort lernte Arnautovic sich zu behaupten.
Schluss mit dem Popo-Wackeln
Der Weg vom Käfig-Kicker zum Vorzeige-Profi war ein langer. Über Twente Enschede, Inter Mailand und Werder Bremen landete er 2013 schließlich bei Stoke. Ein Glücksfall. Die Premier League ist wie geschaffen für den wuchtigen 1,93-Meter-Hünen, sie brachte ihn auf ein neues Level. "Wenn man den alten und den neuen Arnautovic vergleicht, dann hat der neue einen viel, viel schnelleren Antritt", sagt Sonnberger, "er nutzt seinen Körper besser aus." Die Premier League härtete ihn ab.
Arnautovic definierte sich lange über brotlose Tricks. Mittlerweile stellt er sich und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten in den Dienst der Mannschaft. "Wenn ich jetzt im Spiel am Ball stehe und mit dem Popo wackle, schaut mich der Gegner vielleicht blöd an, aber es ist nur Zirkus. Wenn ich dann nicht vorbeikomme und wieder zurückspielen muss, ist es sinnlos", sagte Arnautovic vor einem knappen Jahr im ballesterer-Interview.
Späte Einsicht ist besser als keine Einsicht. Arnautovic hat rechtzeitig die Kurve gekriegt. Rückfallgefahr in alte Zeiten sieht Sonnberger nicht: "Für mich ist das unwahrscheinlich, dafür ist sein Umfeld zu gefestigt." Arnautovic ist Familienvater, er ist sesshaft geworden.
"Spielerisch wohl der Beste"
Daheim gibt Arnautovic den Vater, im Nationalteam darf, ja soll er Kind sein. Genau wie 22 andere auch. "Koller ist wie der Vater einer Familie - und wir, seine Kinder, harmonieren auch sehr gut miteinander", sagte Arnautovic mal. Derzeit gibt es einen großen Familienurlaub, es ging nach Frankreich. Geschichte haben Koller und seine Kinder schon jetzt geschrieben, erstmals seit 18 Jahren qualifizierte sich Österreich aus eigener Kraft für ein Turnier.
In einem der besten Nationalteams, das Österreich je hatte, "ist Arnautovic spielerisch wohl der Beste", sagt Sonnberger. Abseits des Platzes ist es ruhig geworden um Arnautovic, für ihn zählt nur mehr der Fußball. Arnautovic hat es geschafft. Mit 27 ist er endlich Profi. Und zwar nicht im übertragenen Sinne des Wortes - das ist er schon lange - sondern im wahrsten.
Marko Arnautovic im Steckbrief