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"Einen zweiten Kagawa hat es nicht gegeben"

Von Interview: Jochen Tittmar
Borussia Dortmund entdeckte Shinji Kagawa in der 2. Liga Japans - nun spielt der bei ManUnited
© getty
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SPOX: Gibt es in Ihrem Team auch freie Mitarbeiter oder Studenten, die sich damit ihr Studium finanzieren?

Boldt: Ja, wir sind total offen. Wir haben um die zehn festangestellte Mitarbeiter, aber auch eine Kooperation mit der Sporthochschule Köln. Wenn wir Bedarf haben, bekommt bei uns jeder eine Chance - unabhängig vom Alter oder der Tatsache, ob man selbst einmal Fußball gespielt hat. Wichtig ist für mich Loyalität, Teamarbeit und eine hohe Leidensbereitschaft. Aktuell sind wir aber sehr gut besetzt und streben keine Vergrößerung an.

SPOX: Wie wird man denn überhaupt Scout?

Boldt: Dafür gibt es keinen Leitfaden. Früher war es ja oft ein ehemaliger Fußballer, aber das hat sich längst verändert. Im Grunde kann es jeder erlernen. Es hängt auch davon ab, wie man Scouting interpretiert oder welche Aufgabe man in diesem Themenfeld genau übernimmt.

SPOX: Sie selbst wurden nach der Abberufung von Michael Reschke der Assistent von Rudi Völler. Können Sie bitte einmal unter Berücksichtigung Ihres Werdegangs erklären, wie es dazu gekommen ist?

Boldt: Nach meinem Abitur habe ich BWL mit Schwerpunkt Sportmanagement studiert. Parallel dazu habe ich Praktika absolviert, auch bei Michael Reschke in der Jugendabteilung in Leverkusen, der mich daraufhin sehr gefördert hat. Der erste Kontakt zum Scouting kam dann durch Wolfgang Dremmler bei Bayern München zustande. Nach Beendigung meines Studiums hatte ich dann das Ziel, in Südamerika eine neue Sprache zu lernen und Lebenserfahrung zu sammeln. Durch den Kontakt zu den Verantwortlichen bei Bayer 04 ergab sich die Möglichkeit, dort für Leverkusen zu scouten. Aus geplanten sechs Wochen sind dann sechs Monate geworden - und der Transfer von Arturo Vidal für den Klub.

SPOX: Sie haben Vidal in Chile, dem Geburtsland Ihrer Mutter, aufgespürt. Wie lief das damals genau ab?

Boldt: Das war wie gesagt zu meinen Anfängen. Ich war mit meinem damaligen Kollegen Andreas Fehse bei der südamerikanischen U-20-WM-Qualifikation. Wir hatten den Namen Vidal auch schon einmal gehört. Es war für jeden sichtbar, dass er ein herausragender Fußballer auf der defensiven Mittelfeldposition ist. Wir haben damals einen Linksverteidiger gesucht. Ich bin dann in Südamerika an ihm dran geblieben, weil mir dieser Spieler einfach Spaß gemacht hat. Vidal hat in der Folge auch in einer Dreier- und Viererkette auf der linken Seite gespielt. Ich wusste, dass er nicht unglaublich schnell ist, was ja normalerweise bei einem Linksverteidiger schon nötig wäre. In ihm steckten aber Leidenschaft, Zweikampfstärke und ein hohes fußballerisches Niveau.

SPOX: Und dann haben Sie Rudi Völler angerufen?

Boldt: Erst kam ein etwas erfahrenerer Scout, der vor Ort meinen Eindruck bestätigt hat. Daraufhin flogen Reschke und Völler nach Chile und nickten unsere Beobachtungen ab. Auch wenn das Fragezeichen der fehlenden Schnelligkeit bestand, war klar, dass er uns links hinten kurzfristig helfen würde, die Lücke gedeckt wäre und man einen guten Spieler vom Markt bekommt. Daraufhin wurden die Verhandlungen aufgenommen und der Transfer fix gemacht - das Interesse des Spielers war zuvor auch vorhanden.

SPOX: Vidal absolvierte am 2. Spieltag der Saison 2007/2008 beim Hamburger SV sein erstes Bundesligaspiel als Linksverteidiger. Der "Kicker" gab ihm die Note 5.

Boldt: Das war sein vielleicht schlechtestes Spiel für Bayer - im direkten Duell gegen Romeo Castelen, der damals sein wohl bestes Spiel beim HSV absolvierte (lacht). Castelen war einfach zu schnell, Vidal verursachte in diesem Duell dazu den Elfmeter, durch den wir verloren. Das war schon heftig, aber für mich gab es selbst an diesem Tag nicht einen einzigen Zweifel, dass er seinen Weg gehen wird. Wenn man sieht, wo er jetzt steht, macht einen das schon auch ein Stück weit stolz.

SPOX: Welche sind denn die gravierendsten Veränderungen, denen der Scouting-Weltmarkt in den vergangenen Jahren unterlegen war?

Boldt: Die Vereine arbeiten viel professioneller und durch die neuen Medien auch viel schneller als früher. Es gibt mehr Konkurrenz. Auch der Markt an sich entwickelt sich viel rapider. Ein Beispiel: Auf einmal werden Spieler aus Australien ein Thema, weil man sich sofort ein Video von ihnen ansehen kann. Früher hat überspitzt formuliert gar keiner gedacht, dass dort überhaupt Fußball gespielt wird. Dazu kommt manchmal auch ein gewisser Hype. Vor drei Jahren beispielsweise war wegen Shinji Kagawa plötzlich der japanische Markt interessant. Die Zahl der Japaner in Europa ist gestiegen, einen zweiten Kagawa hat es aber bisher nicht gegeben.

SPOX: Früher war Leverkusen dafür bekannt, besonders gut auf dem brasilianischen Markt zu scouten. Nicht zuletzt durch die bevorstehende WM 2014 sind dort die Preise enorm gestiegen. Dass weniger brasilianische Fußballer für die Bundesliga verpflichtet werden, könnte aber auch daran liegen, dass diese Spieler heutzutage im Vergleich zum Rest nicht mehr eine solche Extraklasse aufweisen, oder?

Boldt: So ist es. Früher wollte man einen Brasilianer mit dem gewissen Etwas. Die Deutschen haben aber deutlich an Qualität aufgeholt und sind teilweise besser geworden. Man braucht jetzt keinen Filigrantechniker mehr, der seinem Gegenspieler einen dreifachen Tunnel verpasst, damit das Publikum johlt. Das macht der Deutsche jetzt auch, schießt dabei noch ein Tor, arbeitet mit nach hinten und verdient weniger.

SPOX: Mit welcher Kategorie von Vereinen misst sich ein Klub wie Bayer Leverkusen im internationalen Vergleich, wenn es um das Scouten geht?

Boldt: Das sind insbesondere der FC Porto, Benfica, Udinese Calcio und der FC Sevilla. National ist Borussia Dortmund unser größter und dazu ein harter Konkurrent. Dass andere Vereine im Einzelfall mal gegen einen kämpfen, kommt natürlich vor. Die genannten Klubs aber sind unsere stärksten Konkurrenten, weil sie ein gutes Scoutingsystem haben, hinter dem eine Idee steckt und sie kontinuierlich arbeiten. Und so trifft man sich dann immer wieder.

SPOX: Als Scout ist man unheimlich viel unterwegs. Wie viel Zeit bleibt denn, sich die Städte und Länder, die bereist werden, genauer anzuschauen?

Boldt: Zu Beginn gehörte das für mich mit dazu, weil ich nur die Aufgabe hatte, zu scouten. Jetzt habe ich auch andere Aufgaben, durch die ich im Ausland so eingebunden bin, als wäre ich in Leverkusen. Ich versuche es aber immer mal wieder hinzukriegen.

SPOX: Wie viele Spiele sehen Sie im Schnitt pro Jahr live im Stadion?

Boldt: In der Woche sind es rund fünf Partien, also würde ich sagen, dass ich insgesamt auf ungefähr 250 Spiele komme.

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