München - Die Euphorie in Österreich kennt vier Monate vor Beginn der EM keine Grenzen. Im österreichischen Fernsehen läuft seit einigen Wochen die Fankampagne "Let's go narrisch".
Bereits heute Abend bekommt die deutsche Nationalmannschaft einen Vorgeschmack. Löws Männer treffen in Wien auf den EM-Gastgeber (20.30 Uhr im SPOX-LIVE-TICKER). Österreichs Teammanager Andreas Herzog spricht im Interview mit SPOX.com über die Besonderheiten des Bruderduells und den Zustand des österreichischen Fußballs.
SPOX: Heute spielt Österreich gegen Deutschland. Ist es nicht problematisch, vier Monate vor der EM gegen einen Gruppengegner zu spielen?
Andreas Herzog: Ich sehe kein Problem und die Deutschen glaube ich auch nicht, sonst würden sie nicht gegen uns spielen. Außerdem ist ein Spiel gegen Deutschland immer was Besonderes.
SPOX: Was erhoffen Sie sich sportlich?
Herzog: Wir wollen Paroli bieten und wünschen uns einen guten Start ins EM-Jahr. Das wäre für die Stimmung im Land und auch für das Selbstvertrauen sehr wichtig. Außerdem ist das Spiel für uns mehr als ein Freundschaftsspiel, da wir keine Qualifikation hatten und somit auch keine Pflichtspiele.
SPOX: Die Liga in Österreich läuft noch nicht. Wie ist der körperliche Zustand der Spieler?
Herzog: Unsere Legionäre haben zum Teil den Winter durchgespielt oder sind schon wieder in der Saison. Aber einige stecken mitten in der Vorbereitung. Da ist es schon gut, dass das Stadion ausverkauft ist, weil man sich mit der Unterstützung im Rücken leichter überwinden und an seine Grenzen gehen kann.
SPOX: Sie haben lange Zeit in Deutschland gespielt. Was bedeutet das Duell für Sie persönlich?
Herzog: Ich habe dort viele Freunde und Deutschland viel zu verdanken. Aber trotzdem hoffe ich, dass wir die Deutschen schlagen.
SPOX: Sie kennen den deutschen Fußball aus dem Effeff. Was kann der österreichische davon lernen?
Herzog: Die Physis der Deutschen ist beeindruckend. Wenn man sich Spieler wie Mertesacker, Ballack oder Klose anschaut, ist das schon phänomenal. Mit welcher Dynamik die besonders im Kopfballspiel zu Werke gehen. Der deutsche Fußball hat schon immer von der körperlichen Fitness gelebt und Klinsmann hat das wieder in der Mannschaft etabliert.
SPOX: Im Moment stehen die Torhüter im Blickpunkt. Lehmann ist bei Arsenal nur Ersatz, Hildebrand hat sich erst wieder einen Platz im Tor von Valencia erkämpfen müssen. Hat Deutschland ein Torwartproblem?
Herzog: Das ist eine Momentaufnahme. Ich halte Lehmann nach wie vor für einen der besten Torhüter der Welt, ob er jetzt spielt oder nicht ist egal. Auch Hildebrand ist bei Valencia wieder die Nummer eins. Dazu hat Deutschland mit Adler, Enke, Rensing und Neuer sehr gute Torhüter, die jederzeit in der Nationalmannschaft spielen können. Ein Torwartproblem braucht's ihr euch nicht einreden.
SPOX: Toni Polster hat im Interview mit SPOX.com gesagt, der Zustand der Mannschaft sei verheerend und erschreckend.
Herzog: Der Toni ist ja nicht involviert und betrachtet das Ganze nur von außen. Sicher hatten wir teilweise Probleme gehabt, aber auch gute Phasen. Natürlich müssen wir bis zur EM die Schwächen, die wir offenbart haben, abstellen. Wir haben einen großen Umbruch hinter uns und jetzt eine Mannschaft mit vielen jungen, talentierten Spielern. Die müssen sich an die Härte, das höhere Tempo und die Schlitzohrigkeit gewöhnen. Sie haben schon viel gelernt, müssen aber noch viel lernen.
SPOX: Sie haben unter Josef Hickersberger 1988 ihr Debüt in der Nationalmannschaft gegeben. Welche Qualitäten hat der Trainer?
Herzog: Er ist ein absoluter Fachmann, der auch in schwierigen Zeiten seinen Kopf hinhält und sich vor die Mannschaft stellt. Dafür hat er auch sehr viel Kritik einstecken müssen. Mit der Nationalmannschaft hatte er 1990 großen Erfolg. Das war damals auch eine junge Mannschaft und jetzt hoffe ich auf den selben Effekt.
SPOX: Warum steht der österreichische Fußball im Moment so schlecht da?
Herzog: Nach dem Bosman-Urteil wurde die Liga mit Ausländern überschwämmt. Wenn das gute Legionäre sind wie Zickler oder Linke ist das kein Problem, aber teilweise waren da viele unterdurchschnittliche Spieler dabei, die den jungen Österreichern den Weg verstellt haben. Wir hoffen, dass sich die Spieler durch eine gute Europameisterschaft empfehlen können und zu einem guten Klub ins Ausland wechseln können. Und dann wird sich der österreichische Fußball wieder positiv entwickeln.
SPOX: Nachdem es im vergangenen Jahr schlecht lief, wurde viel über die Rückholaktion der Altstars Ivica Vastic und Mario Haas diskutiert. Dabei hat der Nachwuchs bei der U-20-WM gezeigt, dass Potenzial vorhanden ist. Haben Talente wie Sebastian Prödl, Martin Harnik oder Erwin Hoffer Chancen bei der EM dabei zu sein?
Herzog: Der Teamchef zieht den Umbruch durch und das ist für die Zukunft des österreichischen Fußballs wichtig. Die angesprochenen Spieler werden sicherlich dabei sein, ob sie dann zum Einsatz kommen oder nicht, muss man sehen. Diese Generation wird es aber wieder schaffen in die Topligen Europas zu wechseln, wenn sie sich körperlich, spielerisch und von der Persönlichkeit her entwickeln.
SPOX: England-Legionär Paul Scharner ist bei Wigan Leistungsträger, hat sich aber mit Hickersberger überworfen. Wie stehen seine Chancen auf die EM?
Herzog: Er bringt in England sehr gute Leistungen. Aber ich glaube nicht, dass sich bis zur Euro noch was tut.
SPOX: Die Stimmung im Land ist vier Monate vor Beginn der Heim-EM nicht gerade positiv. Glauben Sie, die Mannschaft könnte darunter leiden?
Herzog: Die Mentalität des Österreichers ist ziemlich ironisch, so wird das dann auch in der Öffentlichkeit dargestellt und man wird teilweise vorgeführt. Aber damit muss man einfach umgehen. Wenn es drauf ankommt, steht immer das ganze Land hinter der Mannschaft und ist ganz narrisch. Da herrscht dann auch Euphorie. Aber in Österreich ist man ganz schnell der Depp oder der Held der Nation. Wenn wir jetzt eine gute Vorbereitung spielen, dann erwarten wieder alle das Viertelfinale und umgekehrt.
SPOX: Wie sind ihre Ziele bei der EM?
Herzog: Unser Ziel heißt Viertelfinale. Deutschland ist Favorit in der Gruppe und für uns wird es schwer. Aber man hat immer seine Chance, wenn wir an drei Spieltagen über uns hinauswachsen. Wenn man gut vorbereitet ist, die Mannschaft mit breiter Brust auftritt und nicht zu viel Respekt vor dem Gegner hat, geht schon was. Außerdem haben wir das Publikum im Rücken. Mit viel Leidenschaft und Herzblut kannst du bei einem Turnier was erreichen.