Soll Löw Dreier- oder Viererkette spielen lassen?
Ordentlich gegen Frankreich, stark gegen Portugal, schwach gegen Ungarn: Soll Bundestrainer Joachim Löw im Wembley an seinem oft kritisierten 3-4-3 festhalten oder hinten auf Viererkette umstellen?
Raphael Honigstein (The Athletic): Ich bin kein grundsätzlicher Gegner der Dreierkette, aber klar dagegen, dass Joshua Kimmich auf der rechten Seite spielt. Er muss ins Zentrum. Wenn das bedeutet, dass die Dreierkette wieder zur Viererkette wird, wäre ich damit weitaus glücklicher als mit der aktuellen Konstellation. Die Dreierkette hat mal funktioniert, mal nicht funktioniert. Es liegt auch nicht hundertprozentig an der Formation, sondern an der fehlenden Abstimmung. Und die wäre mit Kimmich im Zentrum besser. Ich habe also nichts dagegen, wenn man mit einer etwas defensiveren Viererkette spielt und sich nur einer der Verteidiger mit ins Offensivspiel einschaltet. Dann hätte man im Spiel mit Ball auch wieder eine Dreierkette, der Bundestrainer müsste also gar nicht so viel verändern.
Sebastian Kneißl (DAZN): Das ewige Thema. Die Kettenfrage ist für mich nicht entscheidend, aus meiner Sicht kommt es in erster Linie auf die Körpersprache und das Eins-gegen-Eins-Verhalten an, speziell defensiv. Unabhängig davon, ob du Dreier- oder Viererkette spielst: Wenn du so verteidigst wie gegen Ungarn und die Spieler vorne nicht konsequent gegen den Ball arbeiten, kannst du hinten auch sechs Spieler reinstellen und gerätst trotzdem unter Beschuss. Vor allem die Offensivspieler sind gefordert, energisch und kompakt gegen den Ball zu arbeiten. Mit Ball braucht es aber dieselbe Körperlichkeit und Zielstrebigkeit.
Nizaar Kinsella (Goal UK): Die Systemdiskussion gibt es mittlerweile auch hier in England, Southgate könnte gegen Deutschland ebenfalls auf ein 3-4-3 setzen. Die Grundordnung mag zwar nicht entscheidend sein, doch nach der Gruppenphase bleibt festzuhalten, dass sich England im zweiten Gruppenspiel sehr schwer mit Schottlands 3-4-3 getan hat. Die Schotten haben gut nach hinten gearbeitet und das letzte Drittel dicht gemacht. Mit solchen Gegnern haben die Engländer Probleme.
Kerry Hau (SPOX): Löw hat recht, wenn er sagt, das System ist zweitrangig. Wichtiger ist die Umsetzung, sprich: das Nachrücken, das Gegenpressing, die generelle Raumaufteilung und nicht zuletzt die Laufbereitschaft. Bei den Blamagen gegen Spanien (0:6) und Nordmazedonien (1:2) spielte die deutsche Mannschaft zum Teil auch mit einer Viererkette, insofern lässt sich schwer beurteilen, ob die Mannschaft mit dieser Formation defensiv gefestigter wäre. Das Portugal-Spiel hat durchaus gezeigt, dass die Dreierkette funktionieren kann, gerade wenn die beiden Schienenspieler auf den Außen gut ins Spiel eingebunden werden. Gegen Ungarn war es nun einmal so, dass sowohl das Zentrum als auch die Außen dicht waren, weil der Gegner mit zehn Spielern im letzten Drittel verteidigte. Die Engländer legen zwar auch hohen Wert auf eine kompakte Defensive, sind aber nicht derart destruktiv wie die Ungarn. Ich würde mit der Dreierkette starten - und gegebenenfalls zur Pause umstellen.