SPOX: Twente ist ein Geheimnis: Erst gewinnt Ihr Team in Eindhoven mit 6:2 und besiegt Schalke, nur um am letzten Wochenende in Nijmegen 1:3 zu verlieren. Wie gut ist Enschede?
Youri Mulder: Wir sind im Moment gut drauf - aber die Betonung liegt auf Moment. Man muss alles relativieren: Gegen Schalke hatten wir etwas Glück und eine Leistung wie beim 6:2 gegen PSV lässt sich nicht beliebig wiederholen. So eine erste Halbzeit spielt man vielleicht zweimal in der gesamten Karriere, so gut war das. Es war atemberaubend, alles passte. Doch daraus etwas abzuleiten, wäre zu verfrüht, das hat das Nijmegen-Spiel gezeigt.
SPOX: Dennoch bleibt die Saison ein großer Erfolg: Wie viel Anteil haben Sie als der für die Stürmer zuständige Co-Trainer?
Mulder: Es hängt leider nicht alles vom Stürmertrainer ab, dass wir in der niederländischen Liga die meisten Tore erzielen. (lacht)
SPOX: Die Treffsicherheit der Offensivspieler ist auffällig, die allesamt von großen europäischen Klubs beobachtet werden sollen.
Mulder: Wir machen nichts kompliziertes, vielmehr geht es darum, nach jedem Training den Stürmern mit Extra-Einheiten Selbstvertrauen zu geben. Wir setzen dabei auf zwei Mechanismen: Einerseits sollen die Stürmer mit gezielten Einheiten verschiedene Strafraumszenen nachstellen, bei denen sie sich im Spiel zuvor vielleicht nicht ganz so gut verhalten haben. Andererseits wollen wir den Stürmern mit den Extra-Einheiten das Gefühl vermitteln, dass der Verein sie voll unterstützt und alles versucht, um sie zu verbessern. Dieser Rückhalt verleiht einem Sicherheit. Ich selbst war nie der große Torjäger, aber vielleicht hätte es mir früher auch geholfen, wenn so etwas angeboten worden wäre.
SPOX: Während eines Spiels sitzen Sie immer auf der Tribüne, statt Ihren Stürmern an der Seitenlinie Tipps zu geben. Warum?
Mulder: Weil es sich so bewährt hat. Ich sitze auf meinem bequemen Tribünenplatz und stehe in Kontakt mit der Bank. Wenn mir etwas auffällt, gebe ich das sofort durch.
SPOX: Im Winter gab es Irritationen, weil Cheftrainer Co Adriaanse trotz des dritten Liga-Platzes entlassen wurde. Der Grund seien Dissonanzen mit Ihnen und den anderen Co-Trainern gewesen. Stimmt das?
Mulder: Es gab Unstimmigkeiten, das stimmt. Wobei es innerhalb eines Trainerstabs immer Diskussionen gibt. Die Entscheidung des Vereins, Adriaanse zu entlassen, hing hingegen einzig und alleine mit der sportlichen Entwicklung. Wir standen in der Tabelle gut da, trotzdem war die Tendenz negativ: Wir spielten immer schlechteren Fußball und parallel dazu stimmten die Ergebnisse nicht mehr. Es hat einfach nicht mehr gepasst zwischen Adriaanse und Twente.
SPOX: Die Zusammenarbeit mit Nachfolger und Ex-Wolfsburg-Coach Steve McClaren verläuft besser?
Mulder: Wir sind ein moderner Verein mit einer modernen Organisation. Wir besitzen einen großen Betreuerstab mit Spezialtrainern: Ich bin für die Stürmer zuständig, zusätzlich haben wir einen Co-Trainer für die Mittelfeldspieler, für die Flügelspieler und für die Kondition. Die Organisation ist also super. Wenn ein neuer Cheftrainer kommt, muss er wissen, dass er sich nur in das gemachte Bett legen und nicht plötzlich alles verändern muss. Der Cheftrainer muss seinen Job als Supervisor verstehen - und das entspricht genau McClarens Vision. Von daher ergänzen wir uns perfekt.
SPOX: Die Weiterentwicklung von Twente als Verein zeigte eine Personalie: Ohne finanzielle Not verkaufte Enschede in der Winterperiode Marc Janko, weil er abkömmlich war. Dabei erzielte er in der Hinrunde in 16 Spielen zehn Tore.
Mulder: Eine richtig schwere Entscheidung. Marc ist ein klasse Stürmer mit einem super linken Fuß und einem starken Kopfball, entsprechend schade fanden wir es. Dennoch war es die beste Lösung: Marc fand mit Porto einen guten Verein und wir hatten Klarheit, dass zukünftig Luuk de Jong derjenige sein soll, der im 4-3-3 die Mittelstürmer-Position besetzt. Mit Marc und Luuk zusammen gab es ein zu großes Durcheinander: Wer spielt auf der Neun? Soll Luuk vielleicht auf der Zehn spielen? Aber fehlt dann nicht die Balance im Mittelfeld? So viele Fragezeichen sind nie gut.
SPOX: Was ist das Besondere an de Jong, dem Führenden der Torjägerliste und dem neuen Star des niederländischen Fußballs?
Mulder: Man muss immer aufpassen: Er spielt ein Superjahr, allerdings haben weder er noch Twente bisher etwas gewonnen. Daher möchte ich ihn nicht allzu sehr loben. Trotzdem kann ich nicht anders als zu betonen, wie unglaublich sein Niveau ist. Er wird der nächste niederländische Mittelstürmer. Er schießt nicht nur Tore: Er kann die Bälle in den schwierigsten Situationen halten, hat das Auge für die Mitspieler, verfügt über einen vorbildlichen Kopfball, ist physisch sehr stark - und er arbeitet wie ein Pferd. Es ist eine Freude, ihn zu trainieren.
SPOX: Auf Schalke ist Klaas-Jan Huntelaars Zukunft noch nicht geklärt. Wegen des 2013 auslaufenden Vertrags müsste Schalke ihn nach dieser Saison verkaufen, um eine marktgerechte Ablöse zu erzielen. Befürchten Sie, dass Schalke in de Jong einen möglichen Nachfolger ausgemacht hat?
Mulder: Klar habe ich Angst. Ich weíß ja, wie es läuft: Ein großer Verein verliert einen Star an einen noch größeren Verein und holt beim weniger großen Verein Ersatz. Twente hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt und ist mittlerweile so attraktiv, dass selbst ein zukünftiger Nationalspieler wie Leroy Fer lieber zu uns wechselt als zu Ajax oder PSV. Doch wenn Schalke oder der FC Bayern anruft, wird es für uns schwer. Dann müssen wir sagen: "Es ist traurig, dennoch sagen wir für die zehn Millionen Euro danke nach Deutschland."
SPOX: Hat sich Schalke bei Ihnen schon nach de Jong erkundigt?
Mulder: Nein, aber ich weiß natürlich, dass Schalke ihn genau scoutet. Sie haben ihn bestimmt auf dem Zettel, alles andere wäre fahrlässig.
SPOX: Die Frage nach de Jong würde sich nicht stellen, wenn Huntelaar auf Schalke verlängert. Wie sehen Sie seine Situation?
Mulder: Ich rate ihm, auf Schalke zu verlängern. Vielleicht träumt er noch einmal davon, in England zu spielen, dabei ist Schalke genau der richtige Verein für ihn. Der Klub hat Potenzial und ein Umfeld, in der sich Huntelaar heimisch fühlt. Das sieht man an seinen Leistungen: Er braucht ein Zuhause, um solche Leistungen zeigen zu können.
SPOX: Ist Huntelaar nicht zu gut für Schalke?
Mulder: Ich weiß nicht, ob Huntelaar für die Weltspitze geeignet ist. Auf Schalke kann er genau das zeigen, was ihn stark macht: Im Busch sitzen, wie ein Raubtief auf die Chance lauern und aus dem Nichts das Tor erzielen. Im Strafraum ist er einer der Besten überhaupt. Nur: Bei einem absoluten Topklub wird ein anderer Fußball gespielt und es wird von einem Stürmer etwas anderes erwartet: viel laufen, viel sprinten. Huntelaar hingegen fehlt etwas die Schnelligkeit.
SPOX: Huntelaar ist nicht Weltspitze?
Mulder: Er ist ein toller Stürmer, keine Frage. Aber Tatsache ist: Bei Real Madrid und beim AC Milan hat er es nicht geschafft, auf Schalke schon. Nach den Abenteuern in Spanien und Italien sollte er wertschätzen, was er an Schalke hat.
SPOX: Wie sehen Sie den Poker um Raul?
Mulder: Viele Spieler von seinem Kaliber wechseln in dem Alter in eine Stadt mit hoher Lebensqualität: ans Mittelmeer, nach Rom, Monaco, vielleicht Paris oder New York. Stattdessen geht Raul dorthin, wo vor allem der Fußball gelebt wird, auf Schalke, in den Pott. Das sagt alles über den tollen Charakter aus. Diese Einstellung zeigt er auch auf dem Platz. Ich habe ihn in den letzten Wochen häufig gescoutet und selbst gesehen, wie viel er trotz seiner 34 Jahre noch läuft. Bemerkenswert. Ich würde ihn so lange halten wie möglich. Ich traue ihm zu, noch länger das Niveau zu halten.
SPOX: Neben Huntelaar und Raul gibt es Unklarheit bei Jefferson Farfan. Muss Schalke kräftig investieren, um einen Abgang zu kompensieren?
Mulder: Wenn sich aus dem Nichts die Gelegenheit gibt, einen Kracher zu holen wie Raul, sollte Schalke sofort zuschlagen. Doch so etwas ist ganz selten, von daher wird es schwer, Farfan Eins-zu-eins zu ersetzen. Ein so außerordentlicher Flügelspieler ist eigentlich unbezahlbar. Daher muss Schalke vernünftig bleiben und haushalten. Entweder in der Jugend gibt es einen wie Julian Draxler, den man hochziehen kann. Oder man sucht bei kleineren Klubs nach einem jungen Spieler, der vier, fünf Millionen Euro kostet und das Potenzial für eine große Karriere mitbringt.
SPOX: Genau ins Profil passen würden die beiden Flügelspieler von Twente, Nacer Chadli und Ola John.
Mulder: Das kann sein - dennoch geben wir die beiden auf keinen Fall her! (lacht)
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