"Das Mia-San-Mia noch erarbeiten"

Thomas Wörle spielte unter anderem für den FC Augsburg und Greuther Fürth
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SPOX: Neben der Technik dürfte die Athletik großer Bestandteil des Trainings sein. Dort dürfte man den größten Unterschied zu den Herren finden.

Wörle: Der Frauenkörper hat natürlich andere Voraussetzungen als der eines Mannes. Das ist ja im Tennis oder in vielen anderen Sportarten das Gleiche. Ein Beispiel: spielen wir gegen eine gute, männliche B-Jugend, dann sind die Jungs in der Regel allesamt schneller als unsere Spielerinnen. Diesen körperlich Nachteil müssen wir dann versuchen mit technisch-taktischen Mitteln wettzumachen. Logischerweise kann die reine körperliche Schnelligkeit im Frauenfußball niemals mit den Männern mithalten. Deshalb sollte man nie Frauenfußball mit Männerfußball vergleichen, sondern bitte die Entwicklung in den letzten 5-10 Jahren für sich betrachten. Dann wird man einen ganz erstaunlichen Fortschritt erkennen können.

SPOX: Wie viel Potenzial ist in diesem Bereich dann noch vorhanden?

Wörle: Das Athletik-Training nimmt bei uns viel Zeit in Anspruch. Wir sehen dort immer noch Potential zur Leistungssteigerung und besseren Verletzungsprophylaxe. Wir betreiben intensiv Core- und Functionaltraining.

SPOX: Wenden wir uns der Taktik zu. Hier dürften die Unterschiede doch am geringsten sein, oder?

Wörle: Ich denke die Unterschiede sind nicht so groß. Die Intensität ist eine andere und natürlich muss man die Dinge ständig wiederholen, egal ob Individual-, Gruppen- oder Mannschaftstaktik, besonders wenn man taktisch flexibel sein will. Wir arbeiten intensiv in diesem Bereich.

SPOX: Lernen Frauen in diesem Bereich schnell dazu?

Wörle: Ja, die Mädels sind da sehr aufnahmebereit. Die Mädels wollen die Dinge aber verstehen, dann können sie sie auch leichter umsetzen. Dadurch, dass sie mehr nachfragen, entsteht eine Kommunikation, die einen auch als Trainer weiterbringt, weil man sehr sauber erklären muss und sich dabei auch immer wieder selbst hinterfragt.

SPOX: Zur Taktik gehört auch die Vorbereitung auf den nächsten Gegner. Im Herrenbereich stehen unzählige Daten und Hilfsmittel zur Verfügung. Wie weit sind Sie dort schon?

Wörle: Wir haben in diesem Sinne kein eigens Scouting-System, aber man kann sich als Bundesliga-Klub die Möglichkeit erkaufen, per Scouting-Feed jedes Spiel herunterzuladen. Wir sehen uns stets Spiele des nächsten Gegners an und bereiten eine entsprechende Video-Analyse vor.

SPOX: Auf dem Platz wirkt das Geschehene oft weniger inszeniert als im Herrenfußball. Kann man Frauen das Gewinnen um jeden Preis nicht vermitteln?

Wörle: Der Wille ist auch bei den Frauen groß, aber der Frauenfußball ist sehr natürlich und fair. Im Männerfußball wird alles versucht, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Der Frauenfußball ist hier einfach ehrlicher.

SPOX: Aber man kann auch ein Frauenteam vor dem Spiel richtig heiß machen oder gehen Frauen anders in einen Wettkampf?

Wörle: Das geht auf jeden Fall auch bei den Frauen. Auf der emotionalen Schiene kann man sie erreichen. Allerdings geht es hier um den richtigen Moment und die passende Dosierung.

SPOX: Bleiben wir beim Thema Mannschaftsführung. Wie haben sie es geschafft, aus so vielen Individuen, vielen Neuzugängen und ganz verschiedenen Persönlichkeiten ein Team zu formen?

Wörle: Das ist schon eine Aufgabe, wir hatten im Sommer zehn Abgänge und zehn Neuzugänge, haben die Vorbereitungszeit aber sehr gut genutzt. Die Mannschaft war sehr offen und hat dafür gesorgt, dass vom ersten Tag an unheimlich viel Kommunikation stattgefunden hat. Wir haben in der Mannschaft eine außergewöhnliche menschliche Qualität.

SPOX: Wie lässt sich das alles auch mit dem Berufsleben vereinbaren? Ist in den nächsten Jahren eine Mannschaft nur aus Profis vorstellbar?

Wörle: Wir haben nur noch wenige, die nebenher arbeiten, aber doch einige Studenten. Die meisten Ausländerinnen, die wir haben, leben tatsächlich vom Fußball und können einigermaßen klar kommen. Wir haben also schon einige Profis, wenn man das so nennen will. Finanziell ist es aber kaum vorstellbar, sich Geld auf die Seite zu legen. Das Vereinbaren von Schule/Beruf oder Studium mit 6-8 Trainingseinheiten in der Woche ist schon eine große Leistung der Spielerinnen.

SPOX: Wie ist das Standing der Frauenabteilung innerhalb des Vereins? Gibt es vielleicht sogar einen trainerweiten Austausch?

Wörle: Die Unterstützung hat zugenommen, wir fühlen uns sehr gut eingebunden in den Verein. Wir sind sehr stolz darauf, dazuzugehören. Ich hatte einmal die Gelegenheit mich mit Pep Guardiola eine halbe Stunde zu unterhalten, regelmäßig gibt es aber keinen Austausch.

SPOX: Wo wir gerade bei Guardiola sind - ist seine Idee vom Fußball auch im Frauenbereich denkbar? Physisch wie psychisch stellt er ja doch sehr hohe Ansprüche.

Wörle: Ich finde ihn herausragend, von seiner Art aber auch was seine Fussballphilosophie anbelangt. Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht und ausgeklügelt. Natürlich ist das auch hier und da Anschauungsunterricht für mich und meine Mannschaft. Auch wir versuchen gewisse Elemente zu übertragen.

SPOX: Blicken wir auf das kommende Wochenende. Mit einem Sieg gegen Essen und einem gleichzeitigen Punktverlust von Wolfsburg könnten Sie deutscher Meister werden. Dabei war der Titel eigentlich nie als Ziel ausgerufen.

Wörle: Darüber denken wir nicht nach. Wir haben ein schweres Spiel. Die SGS Essen ist ein stabiles Team, da haben wir im Hinspiel zurecht Punkte liegen gelassen. Es wäre schon eine Sensation, wenn wir am Ende der Saison den zweiten Tabellenplatz erreichen, der für die Champions League berechtigt. Die Mannschaft hat sich dieses absolute Highlight, am letzten Spieltag um die Champions League Qualifikation spielen zu dürfen, wirklich erarbeitet. Wir haben noch ein Spiel vor uns und in das werden wir alles reinlegen. Wir freuen uns sehr darauf!

SPOX: Das Parallelspiel findet, trotz aller Konzentration auf sich selbst, zeitgleich statt. Werden Sie da vor dem Spiel die Handys einsammeln?

Wörle: Wir werden schauen, dass wir keinen Live-Ticker bei uns haben, den brauchen wir nicht. Das einzige, das wir beeinflussen können, ist unser eigenes Spiel. Und das wird schwer genug. Wir fokussieren uns nur auf uns.

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