Neue Gefahr für die Bundesliga

Von Haruka Gruber
Wenn der Scheich ruft: Milan trainierte im Winter bei Pagelsdorfs Klub Al Nasr in Dubai
© Getty

Ob Rafael Sobis, Jorge Valdivia oder Boubacar Sanogo: Arabische Fußball-Teams machen den Bundesligisten auf dem Transfermarkt mächtig Konkurrenz. Hertha BSC Berlin bekam es bereits schmerzhaft zu spüren.  Wer wird das nächste Opfer?

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Hertha-Manager Dieter Hoeneß hoffte auf das "Sahnehäubchen". Auf den Transfer, der Berlin den lang vermissten Nachfolger für Marcelinho bescheren sollte. Und so sandte er Michael Preetz, Leiter der Lizenzspielerabteilung, im Juni letzten Jahres in einer Nacht- und Nebel-Aktion eigens nach Brasilien, um Jorge Valdivia vom Wechsel zu überzeugen.

Berlins Angebot: Über acht Millionen Euro Ablöse in Raten an Palmeiras Sao Paulo und eine sportliche Perspektive für Valdivia. Bei der Hertha wäre er von Trainer Lucien Favre, mit dem Valdivia bereits bei Servette Genf gearbeitet hatte, behutsam zum neuen Spielmacher aufgebaut worden.

Der 25-jährige Chilene, einer der besten Spieler Südamerikas, gab Berlin trotz aller Bemühungen aber einen Korb und wechselte zu dem von Winnie Schäfer trainierten Klub Al-Ain nach Abu Dhabi. Nicht nach Spanien, Italien, England oder Deutschland, sondern nach Abu Dhabi, Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate.

Palmeiras bekam auf einen Schlag neun Millionen Euro überwiesen, Valdivia streicht neben einem satten Handgeld in vier Jahren acht Millionen Euro ein. "Es ist gut, dass er nicht zu uns gekommen ist. Er hat sich fürs Geld entschieden", sagte Hoeneß entrüstet.

Neue Konkurrenz für die Bundesliga?

Es wirkt nach wie vor befremdlich, wenn ein internationaler Topspieler im besten Fußballer-Alter in den arabischen Raum wechselt. Nicht nur für Hoeneß. Doch der Fall Valdivia illustriert lediglich eine Entwicklung, wovor sich die Bundesliga und andere europäische Ligen in Acht nehmen sollten.

Denn nachdem noch vor einigen Jahren vornehmlich ältere Herrschaften wie Stefan Effenberg, Mario Basler und Marcel Desailly auf die arabische Halbinsel gelockt wurden, vollzogen die drei arabischen Topligen in Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten einen Paradigmenwechsel.

"Die Scheichs unterstützen die Klubs nicht mehr nur aus Prestige-Gründen. Sie wollen Erfolge sehen - und das geht nur mit Spielern, die im Saft stehen", sagt Schäfer zu SPOX. Der Coup mit Valdivia ist nur eines der vielen Beispiele.

Neves folgt Radoi

Kurz vor dem Schließen des Winter-Transferfensters unterschrieb Hamburg-Flop Thiago Neves, immerhin Brasiliens Spieler des Jahres 2007, beim saudischen Spitzenklub Al-Hilal für rund sieben Millionen Euro.

Nach einer sechsmonatigen "Aufbaukur" bei Fluminense wird Neves ab dem Sommer in einem Team spielen mit Schwedens Christian Wilhelmsson oder dem ebenfalls in der Winterpause für sechs Millionen Euro verpflichteten Mirel Radoi, rumänischer Nationalspieler und zuvor Kapitän bei Champions-League-Teilnehmer Steaua Bukarest.

"Katar weit voraus"

Nach Katar hat es den Schweizer Nationalspieler Hakan Yakin verschlagen, der mit Nashat Akram, Asienmeister 2007 mit Irak und von Premier-League-Klubs umworben, das kreative Mittelfeld von Al-Gharafa bilden sollte. Yakin hat sich mit dem Verein aber zerstritten und will im Sommer in die Schweiz zurückkehren.

Das von Uli Stielike trainierte Al-Arabi wiederum hat die Stürmer Lomana LuaLua (ehemals Newcastle) sowie Kim unter Vertrag. Letztgenannter ist Brasilianer, qualifizierte sich mit Nancy 2008 für den UEFA-Cup und soll von Schalke 04 beobachtet worden sein. Ebenfalls in der katarischen Liga: der frühere Besiktas-Regisseur Ricardinho.

"Auch wenn die Deutschen alle Länder in einen Topf werfen: Katar ist finanziell den Vereinigten Arabischen Emirate weit voraus. Selbst Saudi-Arabien kommt da nicht mit", erzählt Frank Pagelsdorf, seit Januar im Emirat Dubai Trainer bei Al Nasr.

Zuletzt stand Argentiniens 1,60 Meter kleines Spielmacher-Supertalent Diego Buonanotte (River Plate) vor einem Transfer nach Katar. Der Wechsel von Trabzonspors Ibrahima Yattara, einer der Topstars in der Türkei und angeblich im Visier von Real Madrid, platzte in letzter Sekunde. Mauro Zarate gelang nach einem kurzen Gastspiel bei Katars Vorzeigeverein Al-Sadd der überaus erfolgreiche Sprung in die Serie A zu Lazio Rom.

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Selbst Hoffenheim ausgestochen

Derzeit sei das Niveau in den arabischen Ligen zwar nur mit der zweiten Bundesliga zu vergleichen, aber "alte Spieler, die nur Geld verdienen wollen, haben hier keine Chance mehr, Fuß zu fassen. Dank der neuen Stars steigt das Niveau kontinuierlich an", sagt Schäfer.

Dafür verantwortlich: Zum Beispiel Valdivia, laut Schäfer "eine Mischung aus Mehmet Scholl und Thomas Häßler. In der Primera Division würde er sich mühelos durchsetzen". Weitere Berühmtheiten in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind Ex-Monaco-Starlet Mohamed Kallon (Al-Shaab), der frühere Wolfsburger Fernando Baiano (Al-Jazeera) und nicht zuletzt dessen Teamkollege Rafael Sobis.

1899 Hoffenheim wollte im vergangenen Sommer den brasilianischen Nationalspieler für kolportierte acht Millionen Euro von Betis Sevilla verpflichten. Der 23-Jährige wechselte jedoch für zwei Millionen Euro mehr zu Al-Jazeera, dem Stadtkonkurrenten von Al-Ain in Abu Dhabi.

"Al-Ain und Al-Jazeera sind Erzrivalen, weil die Klubs von zwei Scheichs geführt werden, die Brüder sind. Deswegen ist es fast schon inakzeptabel, wenn man schlechtere Spieler hat als der andere", erzählt Schäfer.

Sport als Tourismus-Lokomotive

Im arabischen Fußball geht es aber längst nicht mehr nur um Eitelkeiten. Da die Öl-Vorkommen in Katar und den Emiraten noch in diesem Jahrhundert erschöpft sind, haben die Scheichs den Tourismus als alternative Einnahmequelle ausgemacht.

Aus dem Grund engagieren sich die beiden arabischen Länder derart im Sport. Stichwort PR. Ein Konsortium aus Dubai arbeitet an der Übernahme des FC Liverpool, zudem stammt das Geld für das neue Stadion des FC Arsenal ebenfalls aus dem Emirat. Das Emirat Abu Dhabi wiederum übernahm Manchester City und kaufte sich die Rechte für die Austragung der Fußball-Klub-WM für dieses und nächstes Jahr.

"Sport ist eben die beste Werbung, um sich bei potenziellen Touristen bekanntzumachen", sagt Schäfer. Parallel sollen sportliche Erfolge für internationales Aufsehen sorgen. Katar baute dafür eigens die gigantische Sport-Akademie ASPIRE auf und führte das größte Fußballer-Casting der Welt durch. Spätestens 2018 wird die erste WM-Teilnahme angepeilt.

"Wenn die Scheichs..."

In den Emiraten werden vor allem die Vereine großzügig unterstützt. "Jeder will die asiatische Champions League gewinnen, um vor heimischem Publikum bei der Klub-WM gegen Manchester United oder FC Barcelona zu spielen", sagt Schäfer.

Und um das zu verwirklichen, werden in den nächsten Monaten weiterhin Spieler auf die arabische Halbinsel wechseln, die für viele Bundesligisten ein "Sahnehäubchen" wären. Boubacar Sanogo etwa fragte vor seinem Wechsel von Bremen nach Hoffenheim sogar von sich aus bei seinem Ex-Klub Al-Ain an, ob er denn nicht zurückkehren könne.

Pagelsdorf: "In den Öl-Städten wie Abu Dhabi fließt das Geld noch immer reichlich. Wenn die Scheichs auf dem Transfermarkt Ernst machen, haben die deutschen Klubs keine Chance. Man kann es nicht anders sagen: Der arabische Fußball ist ein Konkurrent für die Bundesliga."

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