Andreas Hinkel absolviert nach seinem Kreuzbandriss sein Reha-Programm in München. SPOX hat den 28-Jährigen, der seit dem Saisonstart verletzt ist, besucht. Im Interview spricht der Rechtsverteidiger von Celtic Glasgow offen über sein Sabbatjahr, Knochenbrecherarbeit und seine Distanz zum Profifußball-Geschäft.
SPOX: Das sah doch vorhin bei den Übungen schon wieder recht sportlich und gelenkig aus. Die Klassiker-Einstiegsfrage: Wie geht's?
Andreas Hinkel: Danke, soweit geht es mir sehr gut. Der Heilungsverlauf ist schwierig für mich zu beurteilen, weil ich noch nie so eine schwere Verletzung hatte und mich auf die Aussagen der Experten verlassen muss. Aber das Feedback, das ich bekomme, ist durchweg positiv. Jetzt hoffe ich natürlich, dass es so weitergeht.
SPOX: Sie sind für die Reha einige Monate in München. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag? Ein bis zwei Therapie-Sessions sind klar, aber sonst?
spoxHinkel: Mir wird nicht langweilig. Ich bin mit der Reha gut beschäftigt, auch weil ich übers Wochenende mit dem Zug häufig noch zu meinem Osteopathen nach Tübingen fahre, der mir hilft, die Heilung noch etwas zu beschleunigen. Ansonsten ist es so, dass meine Frau und meine kleine Tochter mit nach München gekommen sind. Meine Frau ist schwanger und erwartet noch im November unser zweites Kind, da wollte sie natürlich wissen, wo das Kind denn auf die Welt kommt. (lacht) Im Endeffekt haben wir uns für München entschieden, weil es organisatorisch am meisten Sinn ergeben hat. Und für meinen Kopf ist es auch ganz gut, mal vom Tagesgeschäft aus Glasgow weg zu sein. Ich habe jetzt auch eine Monatskarte für die U-Bahn, da werde ich in nächster Zeit auch noch ein bisschen in München herumfahren.
SPOX: Was ist denn das Schwierigste an der Reha-Zeit?
Hinkel: Das Schwierigste ist sicher, die Geduld zu bewahren. Jeder Mensch will Fortschritte sehen. Bei einer so schweren Verletzung dauert es aber, bis man diese Fortschritte wirklich sieht. Es ist ein sehr langsamer Prozess. Im Moment bin ich noch sehr geduldig, aber ich könnte mir vorstellen, dass es härter wird, wenn es einem immer besser geht. Dann denkt man sich vielleicht: 'Hey, ich bin doch fit, ich will auf den Platz.' Aber gerade dann muss man aufpassen, nicht zu früh zurückzukommen. Das könnte die Geduld dann noch sehr beanspruchen.
SPOX: Gibt es auch ganz banale Dinge, die nerven?
Hinkel: Oh ja. Ich bin ein sehr selbstständiger Mensch und in der ersten Zeit habe ich mich gefühlt wie ein kleines Kind. Es war, als ob meine Frau noch ein Baby bekommen hätte. Wenn du auf Krücken unterwegs bist, kannst du echt nichts machen. Nicht duschen zu können ist auch schlimm. Als Sportler bist du es gewöhnt, jeden Tag zu duschen. Aber mit dem Knie ist es ein unglaublicher Aufwand. Duschen dauert dann eben eine Stunde, also duscht man halt nur zweimal pro Woche. Aber inzwischen ist die Schiene weg, was die Geschichte gleich viel angenehmer macht. Ich kann auch wieder normale Kleidung tragen. Sechs Wochen im Jogginganzug öden nämlich auch total an.
SPOX: Die Übungen, die Sie machen müssen, sind ja recht monoton. Was geht einem dabei durch den Kopf?
Hinkel: Es ist richtig, manche Übungen sind wirklich stupide. Aber mir hilft es, dass ich mich mit der ganzen Materie auseinandersetze. Der Körper und das ganze Nervensystem müssen wirklich alles wieder von null an lernen. Deshalb müssen die Übungen eben gemacht werden. Ich habe von der Steadman-Klinik einen genauen Plan bekommen, in dem beschrieben wird, was man in welchem Stadium der Verletzung machen kann. Am Anfang kann man im Prinzip überhaupt nichts machen, aber es hilft, dass man schwarz auf weiß sieht, wie die Entwicklung sein soll. Ich fand Fahrradfahren früher zum Beispiel total langweilig, aber wenn man dann im nächsten Block stehen sieht, dass man wieder Fahrradfahren kann, denkt man sich: 'Geil, wieder Fahrradfahren.'
SPOX: Sie haben die Steadman-Klinik angesprochen. Richard Steadman ist ja so was wie der Knie-Gott. Manchmal hat man das Gefühl, der muss am Tag 3765 Knieschäden operieren, so viele Sportler sind bei ihm. Wie kann man sich ihn als Typ vorstellen?
Hinkel: Wenn man in die Klinik kommt, ist es wirklich beeindruckend zu sehen, wer alles schon bei ihm war. Kobe Bryant, Rod Stewart, sogar der spanische König Juan Carlos war schon da. Der hat's anscheinend auch am Knie. (lacht) Mir hat am meisten imponiert, dass Steadman, obwohl er die Koryphäe schlechthin ist und die neue Operationstechnik quasi erfunden hat, trotzdem noch seine Spezialisten an seiner Seite hat. Während der OP holt er dann seinen Experten für den hinteren Bereich des Knies dazu, der auch ein Buch darüber geschrieben hat. In besseren Händen kann man gar nicht sein.
SPOX: Sich in guten Händen zu wissen, ist sicher enorm wichtig für den Kopf. Dennoch ist die Zeit der Reha hart, vielleicht gibt es auch Tage, an denen man sich schlechter fühlt. Wie motivieren Sie sich dann?
Hinkel: Ich bin grundsätzlich ein sehr positiver Mensch, ein Kämpfertyp, das war ich schon immer. Außerdem bin ich jemand, der sich mit den Dingen beschäftigt. Nachdem ich mich verletzt hatte, wollte ich sofort alles über Kreuzbandrisse wissen. Und bei meiner Recherche habe ich erfahren, dass es unzählige Beispiele gibt, wo Sportler nach einem Kreuzbandriss stark zurückgekommen sind. Sogar noch stärker als vorher.
SPOX: Zum Beispiel...
Hinkel: Philipp Lahm hatte mal einen Kreuzbandriss, weiß das heute noch jemand? Wir müssen nicht darüber reden, was Philipp für eine Karriere hingelegt hat. Carles Puyol hatte einen Kreuzbandriss und ist danach Welt- und Europameister geworden. Ruud van Nistelrooy ist nach Kreuzbandriss überall Torschützenkönig geworden. Auch im Ski-Zirkus gibt es eine Menge Beispiele. Vor 15 Jahren hätte solch eine Verletzung vielleicht das Karriere-Aus bedeutet, aber inzwischen ist die Entwicklung so, dass man sich im Prinzip 1000 Mal das Kreuzband reißen könnte. Es dauert immer seine sechs Monate, aber es ist nicht mehr das große Problem.
SPOX: Dennoch sind Menschen nicht frei von Ängsten. Schießt es einem nicht zwischendurch mal durch den Kopf, dass die Fußballer-Karriere vorbei sein könnte?
Hinkel: Wie schon mal gesagt: Ich denke positiv und gehe davon aus, dass alles super klappt. Ich sehe meine Pause als Art Sabbatjahr. Und dann werde ich frisch und erholt zurückkommen. Es hört sich vielleicht komisch an, aber ich glaube sogar, dass es alles noch viel besser wird als vorher. Ängste habe ich gar keine. Ich habe zehn Jahre ohne große Verletzung gespielt. Jetzt hat es mich eben mal erwischt.
SPOX: Das zeugt von einer bemerkenswerten Entspanntheit. Woher kommt die?
Hinkel: Es ist immer schwer, über sich selbst zu sprechen, aber ich glaube, dass ich aus einem guten Elternhaus komme und eine gewisse Bodenständigkeit mitbekommen habe. Egal was passiert, weiß ich, wo ich herkomme. Das habe ich auch nie vergessen. Es gibt Sportler, auch Personen aus dem Showbusiness oder Schauspieler, die nach der Karriere in ein Loch fallen. Wenn ich sehe, wo manch ein Spieler zum Ende der Karriere herumkickt, muss ich mich ja schon fragen, ob da in der Lebensplanung grundlegend etwas schiefgelaufen ist. Mein Leben ist nicht abhängig von meiner Fußballer-Karriere. Ich brauche auch nicht den großen Luxus, ich kann mich anpassen.
SPOX: Sie haben sich also schon intensive Gedanken über die Zeit nach der Karriere gemacht?
Hinkel: Man muss sich damit beschäftigen. Wie hoch ist die Lebenserwartung eines Mannes in Deutschland?
SPOX: Um die 80...
Hinkel: ...was bedeutet, dass das Leben nach der aktiven Karriere im besten Falle länger ist als das Leben davor. Ich weiß noch nicht genau, in welche Richtung es bei mir gehen könnte, weil mich viele Sachen interessieren. Es muss mich auf jeden Fall ausfüllen und Spaß machen. Im Fußball zu bleiben ist eine Möglichkeit - inzwischen kann ich mir auch vorstellen, Trainer zu werden. Ich habe unter vielen guten Trainern gespielt und mir von allen etwas rausziehen können. Wenn es in die Trainerschiene geht, dann aber nicht sofort nach der Karriere. Ich will erst mal ein bisschen Abstand gewinnen und Zeit mit der Familie verbringen. Nicht dass sofort wieder alle Wochenenden verbaut sind.
Andreas Hinkel über das Profifußball-Geschäft und ein mögliches Comeback beim DFB
SPOX: Was verbaute Wochenenden angeht, geht es anderen ja genauso. Was sind denn sonst die Nachteile eines Fußballerlebens?
Hinkel: Ich bin wirklich der Letzte, der als herumheulender Fußballer dastehen will. Aber ich finde schon, dass in der Öffentlichkeit manchmal ein falsches Bild entsteht. Viele sehen nur, dass ein Fußballer viel Geld verdient, sich tolle Autos leisten kann und von Frauen angehimmelt wird. Wie gesagt, ich will nicht wie ein armer Fußballer klingen, aber es ist kein Hobby, dem wir da nachgehen. Es ist ein knallharter Beruf. So hart, wie es in anderen Branchen zugeht, geht es auch im Fußball zu.
SPOX: Was meinen Sie damit konkret?
Hinkel: Ich denke, wir sind uns schnell einig, dass der Fußballmarkt Europa ist. Hier sind die Top-Ligen und wird das meiste Geld verdient. Das heißt, dass jeder nach Europa drängt. Asiaten, Afrikaner, Südamerikaner, alle. Die Konkurrenz ist brutal. Du musst Leistung bringen. Wenn du sie nämlich nicht bringst, bist du sofort weg. Du musst nicht glauben, dass es da irgendeine Form von Menschlichkeit gibt. Dann rollen Köpfe. Wie gesagt, das ist in anderen Berufen auch so, aber der Fußball ist da keine Ausnahme. Außerdem haben die Leute oft nur die Ronaldos und Messis und deren Gehalt im Kopf.
SPOX: Deren Gehälter sind aber auch astronomisch hoch, oder nicht?
Hinkel: Das stimmt. Natürlich sind einige Gehälter überdimensional hoch. Wenn diese dann im einen oder anderen Fall auch noch von verschuldeten Vereinen bezahlt werden, kann das niemand gutheißen. Aber es gibt auch Vereine, in denen blitzsauber gewirtschaftet wird, der Erfolg da ist - und die Spieler partizipieren. Das ist dann in Ordnung. Dazu kommt, dass Messi und Co. Ausnahmeerscheinungen sind.
SPOX: Auch der Durchschnittsprofi muss aber nicht am Hungertuch nagen.
Hinkel: Richtig, ich will wie gesagt auf keinen Fall jammern. Fußballer verdienen ab einem gewissen Niveau alle gutes Geld. Aber der Job ist nicht immer märchenhaft schön, das ist auch Knochenarbeit, jeden Tag kann es zu Ende sein. Dieser Begriff von Fußballern als modernen Gladiatoren passt schon ziemlich gut. Du musst immer stark sein. Deinen Platz verteidigen, weil hinter dir schon der nächste steht. Wenn du angeschlagen bist, darfst du deinem Gegenspieler trotzdem keine Schwäche zeigen. Schwäche zeigen gilt heute oft als Zeichen von Stärke. Im Fußball ist das aber nicht so.
SPOX: Gerade als junger Spieler muss man damit wohl umgehen lernen. Als Sie beim VfB Ihr Debüt feierten, war die Situation ja auch alles andere als einfach. Welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit?
Hinkel: Es war eine brutale Situation. In meinem ersten Jahr hat der VfB gegen den Abstieg gespielt. Ich bin von jetzt auf gleich von meiner Fan-Rolle in die Rolle als Spieler geschlüpft. Damals ging es um die Existenz des Vereins und das Verhältnis zu den Fans war auch sehr angespannt. Wenn du von den Rängen "Scheiß Millionäre"-Sprechchöre hörst, ist das schwierig. Vor allem fühlte ich mich ja gar nicht angesprochen. Ich war ein junger Spieler und habe kaum was verdient. Ich war sicher kein "scheiß Millionär". (lacht)
SPOX: Neben den Fans kommt auch Druck von den Medien. Welche Rolle spielen Noten im Leben eines Fußballers?
Hinkel: Ganz ehrlich: Am Anfang habe ich sie mir schon angeschaut, aber das habe ich relativ schnell aufgehört. Weil ich einen gesunden Menschenverstand habe und selbst weiß, was ich geleistet habe oder nicht.
SPOX: Gestandene Profis interessiert das doch alles nicht mehr. Richtig?
Hinkel: Ja, es ist in dem Zusammenhang interessant, wie viel Erfahrung im Fußball ausmacht. Man muss einfach nur mal beobachten, wie unterschiedlich ein junger und ein erfahrener Spieler reagieren, wenn sie einen Fehlpass spielen oder eine Flanke hinters Tor schlagen und die Pfiffe kommen. Der junge Spieler lässt sich von der misslungenen Aktion frustrieren, bleibt vielleicht stehen und hadert mit sich. Der erfahrene Spieler schaltet im Gegensatz dazu sofort wieder um, hakt die Sache ab und rennt nach hinten. Miro Klose ist ein super Beispiel dafür, der macht immer sein Ding, egal was passiert. Man wird so ein bisschen zu einer Maschine. Eine Maschine, die funktioniert. Funktionieren muss.
SPOX: Das klingt alles sehr distanziert.
Hinkel: Es ist komisch, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mittendrin bin, aber nicht dabei. (lacht) Ich fühle mich nicht als Star. Ich bin regional bekannt, in Stuttgart, Sevilla und Glasgow - ab und zu erkennt mich auch mal jemand in München, aber ich bin froh, dass ich so ein normales Leben führen kann. Ich schaue immer auch ein wenig von außen auf das Fußball-Geschäft. Wir könnten uns jetzt auch über ganz andere Dinge unterhalten. Über das Rentensystem, über Geldkreisläufe, oder über die Frage, warum in Afrika eine Zahl auf dem Papier nicht das gleiche wert ist wie in Amerika.
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SPOX: Das verschieben wir dann aufs nächste Mal. Zum Abschluss lieber noch eine andere Frage: Wie sieht's in Sachen Nationalmannschaft aus? Abgehakt?
Hinkel: Mein Leitspruch heißt: Wer aufgibt, gewinnt nie. Wer nie aufgibt, gewinnt. Abhaken sollte man etwas nie. Klar ist es momentan weit weg, aber wer weiß. Ich habe ein gutes Gefühl, dass ich nach meiner Rückkehr wieder gut in Form kommen werde. Mein Vertrag bei Celtic läuft zudem im Sommer aus, vielleicht werde ich in die Bundesliga zurückgehen und dann wieder mehr im Fokus stehen. Wenn ich dann meine Leistung bringe, hoffe ich, dass noch einige Länderspiele dazukommen. Wobei wir auch wissen, dass nicht immer nur die reine Leistung entscheidend ist bei der Zusammenstellung einer Mannschaft. Das sagt sogar Joachim Löw selbst. Alles muss passen. Vielleicht passt es bei mir und der DFB-Elf auch mal wieder.
Andreas Hinkel im Steckbrief