Milliardär Suleiman Kerimow rüstet mit Anschi Machatschkala zum Großangriff auf die Topklubs der Premier Liga. Mit jeder Menge Geld, schnellen Autos und teuren Partys lockt er die Weltstars in die russische Pampa. Roberto Carlos war erst der Anfang.
Eigentlich wollte Roberto Carlos seine Karriere in aller Ruhe in der Heimat ausklingen lassen. Nur noch ein, zwei Jährchen wollte er zusammen mit Ronaldo bei den Corinthians in Sao Paulo eine ruhige Kugel schieben. Dann sollte es das mit der aktiven Laufbahn gewesen sein. Doch plötzlich kam alles anders.
Denn für Corinthians war Anfang des Jahres völlig überraschend schon in Runde eins der Copa Libertadores Schluss. Null-zu-null und Null-zu-zwei gegen Deportes Tolima aus Kolumbien. Den Fans gefiel das verständlicherweise gar nicht, die Schuldigen hatte man schnell in den alternden Superstars ausgemacht. Dem Unmut wurde mit Telefonterror, Drohungen gegen die Familie und Beschimpfungen auf offener Straße Luft gemacht.
Roberto Carlos: "Ein phantastisches Angebot"
Während Ronaldo in der Konsequenz tränenreich sein sofortiges Karriereende verkündete, hatte Roberto Carlos doch noch Lust auf Fußball. "Ich fühle mich noch stark genug, mir neue Ziele zu setzen. Ich kann immer noch sieben, acht Kilometer pro Spiel laufen", kündigte er an. Aus Angst um die Familie fiel für den mittlerweile 38-Jährigen ein weiteres Engagement in Brasilien aber aus.
Das rief Anschi Machatschkala auf den Plan. Der bis dahin gänzlich unbekannte Verein aus Russlands äußerstem Südwesten legte dem Linksverteidiger ein sattes Vertragsangebot vor. "Ein phantastisches Angebot", wie Carlos später erzählte. Aber das musste es wohl auch sein. Denn trotz aller Unwägbarkeiten in der Heimat wechselt eine Legende der Marke Carlos nicht einfach so in die russische Pampa.
Machatschkala ist die Hauptstadt der Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus. Rund eine halbe Million Menschen leben in der Hafenstadt am Kaspischen Meer, die meisten davon verdienen ihr Geld in Erdölraffinerien. Mit unzähligen Volksgruppen ist die Region der Unruheherd schlechthin in Russland. Allein im Jahr 2010 kam es in Dagestan zu mehr als 100 Terroranschlägen.
Goldesel Suleiman Kerimow
Also musste Geld her, viel Geld. Roberto Carlos konnte mit mehr als 15 Millionen Euro Gehalt für zweieinhalb Jahre überzeugt werden. "Natürlich war der finanzielle Aspekt ein Faktor für den Wechsel", so Carlos. "Es war aber nicht der einzige. Ich wollte Teil dieses interessanten und ambitionierten Projektes werden." Und der Macher des Projekts ist Suleiman Kerimow.
Mitte Januar übernahm der Milliardär den erst 2009 in die Premier Liga aufgestiegenen Klub. Mit einem Vermögen von mehr als fünf Milliarden Euro belegt Kerimow laut "Forbes"-Ranking derzeit Platz 118 der reichsten Menschen unseres Planeten. Sein Vermögen machte der 45-Jährige schon Anfang der 90er. Mit Krediten kaufte er Anteile von Staatsunternehmen und spekulierte auf deren Wertsteigerung.
Mittlerweile hält er mit seiner Investmentfirma Nafta Moskva jede Menge Anteile an großen europäischen Banken und Unternehmen. Zudem hat er, wie so ziemlich jeder russische Großunternehmer, der etwas auf sich hält, beim Gasmonopolist Gazprom seine Finger im Spiel.
Mysteriöser Verkehrsunfall in Frankreich
Kerimow lebt gerne auf großem Fuß, er besitzt drei Privat-Flugzeuge und zwei Yachten. Immer wieder wird der verheiratete Familienvater von der russischen Boulevard-Presse mit den berühmtesten Schönheiten des Landes in Verbindung gebracht.
Richtig Schlagzeilen machte er im November 2006, als er in Nizza einen Ferrari an einer Palme in zwei Teile spaltete. Der Milliardär selbst zog sich bei dem Unfall schwere Verbrennungen zu und musste einige Zeit künstlich beatmet werden. Seine Beifahrerin, die russische TV-Moderatorin Tina Kondelaki, wurde dabei nur leicht verletzt.
Bis heute sind die Umstände des Unfalls äußerst mysteriös und nicht komplett geklärt. Kondelaki bestritt kurioserweise zunächst, zum Unglückszeitpunkt überhaupt in Nizza gewesen zu sein, später geisterten auch Gerüchte um ein Attentat durch die Presse.
Aus dem Nichts einen Topklub formen
Bereits Anfang des Jahrtausends engagierte sich Kerimow im russischen Fußball, wenngleich auch nur in einem kleinen Rahmen. Damals griff er dem kleinen Moskauer Vorortklub Saturn Ramenskoje finanziell unter die Arme. 2003 soll der Milliardär vergeblich versucht haben, sich den AS Rom unter den Nagel zu reißen.
Das Projekt in Machatschkala ist nun aber ein anderes, ein viel größeres. Kerimow ist in Dagestan geboren, es geht um seine Heimat, die er auch im russischen Föderationsrat repräsentiert. Mit seiner eigenen Stiftung setzt er sich für soziale Projekte in der Region ein und fördert den lokalen Sport.
"Ich möchte Herrn Kerimow meinen Dank aussprechen. Ich bin sicher, dass wir mit seiner Hilfe einen Topklub formen können", freut sich Dagestans Präsident Magomedsalam Magomedow. "Fußball ist sehr populär in Dagestan. Daher ist es sehr wichtig für uns, unsere Mannschaft in der russischen Premier Liga zu haben."
Dass es beim Projekt Anschi nur um den sportlichen Erfolg geht, darf aber getrost bezweifelt werden. Vielmehr geht es wohl auch um Einfluss und Macht. Kritiker behaupten, Kerimow versuche durch das Engagement eben jenem Magomedow über kurz oder lang dessen Amt streitig zu machen.
Gattuso: "Ich dachte, ich bin bei 'Verstehen Sie Spaß'"
Seit seinem Einstieg bei Anschi hat Kerimow rund 150 Millionen Euro in Kader, Stadion und Infrastruktur gepumpt. Für 15 Millionen Euro wurden die Brasilianer Diego Tardelli und Jucilei verpflichtet. Zudem kam Mbark Boussoufa, zuletzt zweimal Belgiens Fußballer des Jahres, vom RSC Anderlecht. Insgesamt wurde der Kader mit 15 neuen Spielern aufgebessert, weitere sollen folgen. Ungarns große Hoffnung Balazs Dzsudzsak vom PSV Eindhoven soll angeblich schon auf dem Sprung sein.
Ganz oben auf Kerimows Wunschzettel steht aber weiter Gennaro Gattuso. Kerimow lockt mit fürstlichem Gehalt. "Als das Angebot vor drei Monaten kam, dachte ich, ich bin bei 'Verstehen Sie Spaß'. Aber es war vollkommen ernst", so Gattuso, der mit aktuell 3,5 Millionen Euro Nettoverdienst nicht gerade am Hungertuch nagt. "Mit über 33 Jahren muss ich mich damit befassen - bei dieser Summe."
Noch ist aber Roberto Carlos der uneingeschränkte Star. Eine Ikone wie ihn kannte man in Machatschkala bislang nur aus dem Fernsehen. Bei seiner Ankunft stand beinahe die komplette Anschi-Mannschaft Schlange, jeder wollte ein Foto mit dem Ex-Weltmeister. Fast folgerichtig wurde er umgehend zum Kapitän ernannt.
Auch die Fans, mittlerweile fast 15.000 pro Heimspiel, lassen sich angesichts des Superstars zu ungewöhnlichen Gesten hinreißen: Während des Spiels gegen Wolga Nowgorod stürmte ein Flitzer aufs Feld, um Carlos einmal kräftig zu umarmen und sich ein Autogramm abzuholen.
Zum Heimspiel mit dem Flugzeug
Investor Kerimow weiß um den Wert des Brasilianers für sein Projekt und spart daher nicht an Aufmerksamkeiten. Zum Geburtstag bekam Roberto Carlos vom Eigentümer mal eben einen Bugatti Veyron Sportwagen im Wert von 1,8 Millionen Euro geschenkt. Zudem schmiss der Unternehmer zu Ehren des Jubilars eine große Party in einem Moskauer Nobel-Club, inklusive Privat-Auftritt des Rappers Flo Rida.
In das Wohlbefinden der übrigen Kicker wird ebenfalls kräftig investiert. Da die Lebensqualität in Machatschkala zu wünschen übrig lässt, lebt die gesamte Mannschaft auch während der Saison außer Landes. So wird entweder im türkischen Belek oder in Sotschi trainiert. Auch zu Heimspielen reist das Team daher meist mit dem Flugzeug an.
"Es ist herrlich, wir haben den ganzen Winter an einem Urlaubsort verbracht", erzählt der ukrainische Stürmer Miroslav Slavov. Und auch Boussoufa bestätigt: "Ich bin in einer anderen Welt jetzt, aber die Leute von Anschi tun alles, damit ich mich hier wohlfühlen kann."
Russischer Meister in drei Jahren
Ende Mai schickte Kerimow den gesamten Anschi-Tross für ein Wochenende nach London. Wichtigster Programmpunkt: Der Besuch des Champions-League-Finals zwischen Barcelona und Manchester United im Wembley Stadion.
"Die Klubführung ist daran interessiert, dass die Spieler ein gemeinsames Ziel haben", erklärte Trainer Gadschi Gadschiew. "Wir wollen, dass sie die Atmosphäre des großen Fußballs spüren." Denn sein Mäzen Kerimow will hoch hinaus. Spätestens in drei Jahren ist der Gewinn der Meisterschaft vorgesehen.
Bis dahin dürfte es noch ein Stückchen sein, aber immerhin: Nach zwölf Spieltagen liegt Anschi derzeit punktgleich mit ZSKA Moskau an der Spitze der Premier Liga.
Es besteht also durchaus die Chance, dass schon in dieser Saison Kerimows Titelprämie fällig wird: Ein Luxus-Sportwagen für jeden Spieler. Bis jetzt hat den nur Roberto Carlos.
Die aktuelle Tabelle der russischen Premier Liga