Hätte er nicht seinen Nadelstreifenanzug angehabt, Dario Conca wäre in der Masse nicht besonders aufgefallen. Der durchschnittliche Chinese mag nicht besonders groß sein, aber weil der Argentinier selbst nur 1,68 Meter misst, ging er bei seinem Empfang in Guangzhou beinahe unter.
Conca war überwältigt, vielleicht auch eingeschüchtert ob der Aufmerksamkeit in diesem für ihn so fremden Land. Zunächst wurde er am Flughafen der 3,5-Millionen-Metropole nahe Hong Kong abgeholt, dann ging es weiter zur einführenden Pressekonferenz, bevor der Tag mit einer Party auf einer Yacht endete. Überallhin begleitet von Fans seines neuen Klubs Guangzhou Evergrande.
"In meiner Zeit in Brasilien wurde ich nie mit Blumen am Flughafen begrüßt. Ich glaube, ich werde diese Stadt mögen. Es ist ein Abenteuer, aber ich bin froh, in China und in Guangzhou zu sein. Ich werde hart arbeiten und alles daran setzen, dass diese Fans sich über tolle Ergebnisse freuen können", sagt der 28-Jährige und lächelt dabei vorsichtig.
Zeitenwende für chinesischen Fußball
Seine Statur ist zierlich und sein Auftreten zurückhaltend, Evergrande jedoch erwartet von ihm nichts Geringeres als Wundertaten. Conca ist viel mehr als nur ein kostspieliger Neuzugang, der zu Siegen verhelfen soll. Sein Kommen markiert eine Zeitenwende für den Klub und für den gesamten chinesischen Fußball.
Beim 5:0-Sieg gegen Nanchang erzielte Conca gleich zum Debüt ein spektakuläres Tor aus 32 Metern.
"Neben dem Rücktritt von NBA-Star Yao Ming und Li Nas French-Open-Sieg ist Concas Transfer die Sportnachricht schlechthin in China", erzählt Fußball-Experte Wang Shu von der größten chinesischen Sportzeitung "Titan Sports" im Gespräch mit SPOX.
Aber auch im Ausland war die Resonanz immens, immerhin sind die finanziellen Dimensionen des Wechsels für eine im internationalen Vergleich dritt- oder viertklassige Liga einzigartig. So zahlt Guangzhou an Concas vorherigen Klub Fluminense als Ablöse rund sieben Millionen Euro.
Noch imposanter fällt jedoch das Gehalt des neuen Stars für seinen Vertrag über dreieinhalb Jahre aus: Mit mindestens fünf Millionen Euro netto pro Jahr gehört Conca unversehens zu den bestbezahlten Fußballern des Planeten. "Das Geld ist gut, daher habe ich das Angebot angenommen. Aber ich war auch davon beeindruckt, wie aufrichtig Evergrande zu mir war", sagt Conca.
Guangzhou plant weitere Transfers
Über die sportliche Wertigkeit des in Europa weitestgehend unbekannten Argentiniers dürften keine Zweifel bestehen. Conca, an dem Hertha BSC vor drei Jahren interessiert war, kam unerklärlicherweise zwar noch nie in der argentinischen Nationalmannschaft zum Einsatz, doch für Fluminense gehörte er zu den prägenden Spielern der brasilianischen Liga. 2010 wurde er als bester Profi des Landes ausgezeichnet.
Eine beeindruckende Vita, weswegen Evergrande für Conca zum dritten Mal in kürzester Zeit einen neuen chinesischen Ablöserekord aufstellte. Den Anfang machte Muriqui (Atletico Mineiro), der 2,5 Millionen Euro kostete, daraufhin wurde Anfang des Jahres dessen brasilianischer Landsmann Cleo von Partizan Belgrad für 3,3 Millionen Euro verpflichtet. Nun Conca und seine sieben Millionen Euro.
Evergrande-Präsident Liu Yongzhuo kündigt an: "Wir werden uns weiter umschauen. Unser Ziel ist es, innerhalb von fünf Jahren die asiatische Champions League und irgendwann auch die FIFA-Klubweltmeisterschaft zu gewinnen. Sollten wir keine Titel holen, werden wir immer weiter ausländische Spieler kaufen, die das allerhöchste Niveau verkörpern." Zuletzt wurde Manchester Uniteds Koreaner Ji-Sung Park eine Offerte vorgelegt, die ihm eine Verdopplung seines Gehalts verspricht.
Conca: "Guangzhou ein Klub mit großen Visionen"
Für Guangzhou ist die chinesische Liga mittlerweile keine große Herausforderung mehr, nicht zufällig führt Evergrande die Tabelle mit neun Punkten Vorsprung auf den Zweiten an.
Den Klub dürstet es erst nach kontinentalen und später nach globalen Erfolgen - und dabei helfen soll Conca. Als Fußballer und als Symbolfigur des Aufbruchs.
"Ich weiß, dass es meine Aufgabe ist, das Image des chinesischen Fußballs in der Welt zu verbessern. Ich habe bei einem Klub mit großen Visionen unterschrieben", sagt Conca.
Die Allmachtspläne von Evergrande gründen auf dem Reichtum der gleichnamigen Besitzergesellschaft "Evergrande Real Estate Group", eine der größten Immobilien-Firmen Chinas unter Vorsitz eines gewissen Xu Jiayin, der wiederum zu den einflussreichsten und wohlhabendsten Wirtschaftstycoons des Landes zählt.
Mischung aus Chelsea und Arsenal
Fußball-Fan Juayin verfährt nach der Devise: "Investieren wie Chelsea, aber junge Spieler verpflichten wie Arsenal" - weswegen sich der Verein angeblich auch dazu entschloss, das Angebot für den ehemaligen Nürnberger und zukünftigen Bremer Andreas Wolf zurückzunehmen, weil dieser mit 29 nicht ganz dem Profil entspricht.
Neben dem Kader verbesserte Evergrande auch die Infrastruktur, indem in kürzester Zeit ein Trainingszentrum mit 72 luxuriösen Zimmern, Büros, sechs Fußball-Plätzen, ein großes Gym, Sauna, Spa-Bereich und allen erdenklichen Annehmlichkeiten errichtet wurde.
Immobilien-Boom in China
Evergrande ist jedoch keine Ausnahme, sondern nur das plakativste Beispiel eines grundsätzlichen Trends. So engagieren sich etliche Geschäftsrivalen von Evergrande ähnlich im Fußball, insgesamt 13 der 16 Erstligisten gehören großen Immobilien-Firmen. Die Unternehmen konkurrieren zwar untereinander, davon dürfte am Ende aber die gesamte Liga profitieren.
So gab mit Dalian Wanda ein weiterer Immobilien-Gigant fast zeitgleich zum Conca-Wechsel bekannt, dass es für die nächsten drei Jahre als Sponsor der Liga auftritt und dafür 53 Millionen Euro zahlt. Angeblich plant Dalian Wande, in den nächsten zehn Jahren zwischen 200 und 300 Millionen Euro zu investieren. Es geht um nicht weniger als die Vorherrschaft in einem möglichen Boom-Land des Weltfußballs.
"Es erinnert fast an ein Wettrüsten im kalten Krieg", sagt Experte Wang Shu. "Zurzeit geht es Schlag auf Schlag und jeder will mitmischen. Für den chinesischen Fußball an sich sollte es aber gut sein. Zurzeit zeigt alles nach oben." Zum Vergleich: Anfang des Jahres hatte die Liga überhaupt noch keinen Hauptsponsor und die nationalen TV-Rechte waren nicht zu verkaufen.
Geld als Argument
Nun hat sich die Situation jedoch grundlegend geändert. Im Fußball wird es zwar wohl nie so weit kommen wie im Basketball: So planen zahlreiche NBA-Stars, im Falle eines zeitraubenden Lockouts in China ein mehrwöchiges Turnier abzuhalten, einige können sich sogar einen längeren Verbleib vorstellen.
Aber: Auch die Fußball-Liga hat einen enormen Reiz, weil schlichtweg die Bezahlung stimmt. Und das nicht nur für große Namen wie Conca.
So stand Osnabrücks aussortierter Spielmacher Björn Lindemann kurz vor einem Wechsel zum abstiegsbedrohten Nanchang Hengyuan FC. Nach SPOX-Informationen wurde dem zwar talentierten, aber in der letzten Saison suspendierten Lindemann ein Jahresgehalt von 400.000 Euro mit zusätzlichen Prämien offeriert - in Deutschland in der Größenordnung undenkbar.
Doch so verführerisch es klang - Lindemann sagte ab, weil ihm die gesamte Konstellation wenig vertrauenswürdig erschien. Die Kontaktaufnahme verlief undurchsichtig und auch sonst soll sich das Klischee über chaotische und unseriöse Zustände im chinesischen Fußball bewahrheitet haben.
Manipulation und Skandale
Denn bei aller neu gewonnener Begeisterung und aller Millionen, die in den Markt fließen: Innerhalb weniger Monate wird sich eine Fußball-Szene, die seit Jahren von Manipulation, Wettskandalen und Geldwäsche förmlich zersetzt ist, nicht selbst gereinigt haben.
Nur zur Verdeutlichung: Concas Klub Guangzhou wurde noch im Februar 2010 in die zweite Liga zwangsversetzt, weil ihm nachgewiesen wurde, ein Spiel manipuliert zu haben. Der neue Liga-Sponsor Dalian Wanda wiederum stieg 2000 aus dem Fußball aus, weil man zermürbt war von all den Skandalen in der Liga. Im Januar 2010 wurden der damalige Verbandschef und einige seiner wichtigsten Mitarbeiter verhaftet, nachdem ihnen Korruption nachgewiesen wurde.
Hinzu kommt das Gewaltproblem: Massenschlägereien zwischen gegnerischen Mannschaften auf dem Platz und zwischen gewaltbereiten Fans auf den Tribünen sind nicht alltäglich, aber ein wiederkehrendes Übel.
Um all dem Herr zu werden, soll der chinesische Fußball endlich professionell strukturiert werden. So sind die Sponsoren-Gelder von Dalian Wanda auch dafür gedacht, dass Schiedsrichter besser entlohnt werden, damit diese weniger für Bestechung anfällig sind. Im Zuge der Neureformierung soll auch die brachliegende Jugendarbeit gefördert werden, indem unter anderem Nachwuchsligen von der U 19 bis U 13 eingeführt werden.
Die Risiken des Aufschwungs
Damit die Klubs seriöser wirtschaften, wurde außerdem ein Lizensierungsverfahren verabschiedet, welches den Bau eines Trainingszentrums, die Förderung der eigenen Jugend, die Installierung einer zweiten Mannschaft oder das Entwickeln eines Business-Plans vorschreibt.
Es sollen zwei Ziele erreicht werden: Die Konsolidierung der Liga - und die Stärkung der seit Jahren wegen fehlender Talente desolat spielenden Nationalmannschaft. Damit diese kompetent geführt wird, stellt Dalian Wanda auch Mittel zur Verfügung, um einen hochkarätigen Auswahltrainer zu finden. Als Kandidaten werden unter anderem Marcello Lippi und Christoph Daum genannt, im Gespräch ist ein fürstliches Salär von 4,3 Millionen Euro pro Jahr.
Die Immobilien-Millionen machen das möglich. Wobei genau darin aber auch die größte Gefahr für den chinesischen Fußball besteht. Zur Erinnerung: Der Liga-Sponsor und 13 der 16 Erstligisten werden von Immobilien-Unternehmen finanziert.
Derzeit blüht das Geschäft mit Grundstücken - doch was geschieht, sollte es sich wie in der Vergangenheit erlebt als Bubble, als Blase erweisen? Dann würden all die Träume zerplatzen - und China bliebe, was es derzeit noch ist: ein Fußball-Schwellenland mit einem sündhaft teuren Argentinier.
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