Im fernen Australien stellt Thomas Broich mit Brisbane Roar einen nicht für möglich gehaltenen Rekord auf und wird als bester Ausländer aller Zeiten gefeiert. Nach 36 unbesiegten Spielen in Folge setzte es nun die erste Niederlage: Ohne den angeschlagenen Broich verlor Brisbane mit 0:2 beim FC Sydney. Anlässlich der DVD-Veröffentlichung des Kinofilms "Tom meets Zizou", in dem sein Aufstieg und sein Absturz fast in die Depression von Grimme-Preisträger Aljoscha Pause aufgearbeitet wird, spricht Broich über Soccer als Medienphänomen und den gefährlichen Hype.
SPOX: Mit 4:0 gegen Perth Glory am vergangenen Wochenende haben Sie und Brisbane Roar einen Rekord womöglich für die Ewigkeit aufgestellt: Noch nie blieb eine australische Mannschaft Sportarten-übergreifend in 36 Spielen in Serie unbesiegt. Das Rugby-Team Eastern Suburbs hatte den vorherigen Bestwert aufgestellt - vor 74 Jahren, 1937. Wie groß ist die Aufregung?
Thomas Broich: Das Thema ist allgegenwärtig. In der Stadt wird man überall darauf angesprochen und in den Medien wird über nichts anderes mehr geschrieben. Selbst Leute, die mit Fußball ansonsten nichts am Hut haben, wissen von unserer unheimlichen Serie.
SPOX: Ist es tatsächlich so, dass es noch nie so eine landesweite Begeisterung und Neugierde gab für Soccer?
Broich: Wenn Sportgeschichte geschrieben wird, wächst naturgemäß das Interesse. Fußball fristet ja normalerweise ein Dasein im Schatten von Rugby, Australian Football und Cricket, deshalb ist die vorübergehende Aufmerksamkeit schon recht ungewöhnlich. Mit deutschen Verhältnissen ist es dennoch nicht ansatzweise zu vergleichen. Das wäre ungefähr so, wie wenn ein Handball-Team in Deutschland für Furore sorgen würde. Man würde davon Notiz nehmen, sich auch ein wenig anstecken lassen, aber im Herzen und zuvörderst bliebe man Fußballfan.
SPOX: Sonst gilt der australische Fußball als rustikal, aber Brisbane spielt attraktiv und spektakulär. War es Zufall oder war es damals Bestandteil der Sondierungsgespräche, dass Brisbane auch Wert auf schönen Fußball legt?
Broich: Ganz ehrlich, das war reines Glück. Als ich mich mit Ange (Roar-Trainer Ange Postecoglou, Anm.d.R.) in Nürnberg zu einem Kaffee traf, hatte das Team die Saison gerade als Vorletzter beendet und war im Umbruch begriffen. Natürlich legte der Trainer damals seine Vision dar, allein die Umsetzung steht bekanntlich auf einem anderen Blatt Papier. Dass Ange sich als dermaßen fähig erweisen würde, war seinerzeit nicht abzusehen. Ich mochte ihn als Person gut leiden und das war mir mit meiner Vorgeschichte das wichtigste.
SPOX: In Australien ist nun die Rede von "Roarcelona". Freut es einen Fußball-Ästheten wie Sie besonders?
Broich: Absolut. Bei uns steht immer die spielerische Lösung im Vordergrund. Laufwege und Ballstafetten sind teilweise herrlich anzuschauen. Unser Stil ist an die Spielidee Barcelonas und Arsenals angelehnt und in der A-League lässt sich das auch erfolgreich praktizieren. Trotzdem klingt es irgendwie lächerlich und anmaßend, in einem Atemzug mit dieser Übermannschaft genannt zu werden.
SPOX: Sie wissen nur zu gut, wie es ist, Teil eines Hypes zu sein. Begegnen Sie daher der Begeisterung mit einer gewissen Skepsis?
Broich: Oh ja. Wir generieren gerade eine enorme Fallhöhe. Und bei derartiger Überlegenheit lauert die Überheblichkeit um die Ecke. Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir uns bewegen. Es versteht sich von selbst, dass wir unseren momentanen Erfolg sehr genießen. Doch sich immer vor Augen zu halten, was uns dorthin gebracht hat, ist tausendmal wichtiger als sich an der eigenen Leistung zu berauschen.
Broich-Filmemacher Pause im Interview: "Thomas sind etliche Szenen saupeinlich"
SPOX: Ihre 5 Scorer-Punkte nach 8 Spielen geben nicht wieder wie wertvoll Sie für Brisbane sind. Wie lässt sich Ihre Leistung einordnen? Vor allem im Vergleich zu Ihren Glanzzeiten in Burghausen oder Gladbach?
Broich: Da bin ich überfragt. Zwar bin ich gut in Form und effektiv wie nie zuvor, doch das Niveau in Deutschland ist einfach beträchtlich höher.
SPOX: Sie wollten unbedingt raus aus der Knochenmühle Bundesliga. "Fühlt" sich der Fußball in Australien anders an?
Broich: Ganz anders. Wobei ich mit Verallgemeinerungen vorsichtig sein will, vielleicht ist Brisbane im Augenblick auch nur die große Ausnahme. Wie dem auch sei, ich habe hier gefunden, was ich kaum mehr für möglich gehalten habe. Kein Brimborium abseits des Rasens, harte Arbeit auf dem Platz, astreine Jungs in der Kabine.
SPOX: In Deutschland waren Sie innerhalb einer Mannschaft häufig ein Exot. Ist das in Australien anders? Oder sind Sie dort der "crazy german"?
Broich: In Deutschland steht man sehr schnell unter Generalverdacht, wenn man Ungewöhnliches tut oder sagt. Hier reißen die Jungs zwei, drei Witze, wenn sie die Gitarre im Gepäck sehen, und lassen es dabei bewenden.
SPOX: Sie werden als bester Ausländer der australischen Fußball-Historie gefeiert, noch vor Dwight Yorke oder Robbie Fowler. Was bedeutet Ihnen so etwas?
Broich: Auch wenn es mich bis zu einem gewissen Grad mit Stolz erfüllt, für mich ist entscheidend, dass mein Trainer einverstanden ist mit dem, was ich tue. Das mag banal und abgedroschen klingen, ergibt jedoch viel Sinn, wenn man meine Geschichte kennt.
SPOX: Haben Sie sich als Mensch verändert?
Broich: Bislang haben mich nur Freunde besucht, die unisono den Eindruck gewonnen haben, ich sei als Person wieder viel zugänglicher.
SPOX: Ist mit der wiedergewonnenen Reputation eine Rückkehr in die Bundesliga oder 2. Liga denkbar?
Broich: Unwahrscheinlich. Zum einen: Warum sollte ich mein spätes Glück aufs Spiel setzen? Zum anderen: Wer sollte auf die Idee kommen, einen bald 31-Jährigen, der sich in der Bundesliga wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, aus Australien zurückzuholen?
SPOX: Welche Reaktion gab es von den ehemaligen Mitspielern auf Ihren Film "Tom meets Zizou"? Bekamen Sie Mitgefühl im Sinne von: "Wir wussten gar nicht, welche Probleme du hattest!"? Oder gab es kritische Stimmen: "Du übertreibst und stellst uns in ein schlechtes Licht!"?
Broich: Die Jungs kennen die Tücken des Geschäfts nur zu gut. Viele wissen ganz Ähnliches zu berichten. Eine interessante Erkenntnis des Films war, dass Menschen und Spieler unterschiedlichster Couleur, ganz anders gestrickt, als ich es bin, sich in manchem wiedererkannt haben.
SPOX: Christoph Daum dürfte dem Film kritischer gegenüberstehen. Im Film hat er die Rolle als Gegenfigur zu Ihnen.
Broich: Es entsteht immer der Eindruck, Daum und ich stünden uns feindselig gegenüber. Das stimmt einfach nicht, wir sind schlicht zwei Menschen auf unterschiedlichen Wellenlängen. Reaktion seinerseits gab es keine.
SPOX: Sie wurden in Köln von Daum trainiert und erlebten den Personenkult um ihn. Heute konzentriert sich vieles auf Lukas Podolski. Wie sehen Sie die Fokussierung auf Einzelne?
Broich: Ich stehe jeder Form von Personenkult kritisch gegenüber. Zu leicht leitet sich davon ein Bild ab, welches der Person nicht gerecht wird und sich im schlimmsten Fall verselbstständigt.
SPOX: Wolfgang Overath inszenierte sich regelrecht bei seinem überraschenden Rücktritt als FC-Präsident. Wie haben Sie den umstrittenen Machtmenschen in Erinnerung?
Broich: Overath hat sich sehr um den Verein verdient gemacht. Es steht außer Frage, dass der FC für ihn tatsächlich die vielzitierte Herzensangelegenheit ist. Grundsätzlich stellt sich mir aber die Frage, ob ehemalige Stars tatsächlich die besseren Funktionäre sind. Manche sind im Innern noch zu sehr Spieler und glorifizieren gerne die Vergangenheit.
Thomas Broich im Steckbrief