Wie weiß ein Fußballer, wann der richtige Moment gekommen ist, um seine Karriere zu beenden? Thierry Henry überlegte auf diese Frage kurz und antwortete dann: "Ich weiß es nicht."
Die Aussage, die der Superstar vor wenigen Tagen im Interview mit "The Blizzard" machte, klingt nicht unbedingt nach den Worten eines scheidenden Sportprofis. "Ich denke, es ist der Moment, in dem du anfängst, dich zum Sport zu zwingen", fügte Henry kurze Zeit später hinzu.
Derartige Gedanken schloss er für sich aber vorerst aus: "Ich selbst denke nicht: 'Ich muss jetzt zum Training.' Wenn man atmet, denkt man auch nicht darüber nach, dass man atmet. Es ist natürlich. Genauso geht es mir mit dem Fußball. Ich würde es merken, wenn das Herz nicht mehr bei der Sache wäre." Henry ist noch mittendrin.
Nächstes Kapitel beendet
Bei den New York Red Bulls hat der mittlerweile 37-Jährige ein weiteres Kapitel seiner erfolgreichen Profi-Karriere zu Ende geschrieben. Nach viereinhalb Jahren im Land der endlosen Möglichkeiten hat der Ausnahmekönner seinen Abschied verkündet.
Im Anschluss an das Halbfinal-Aus seiner Bulls in den Conference-Finals gegen New England teilte Henry via "Facebook" mit: "Ich habe leider mein letztes Spiel für New York bestritten. Es stand schon immer fest, dass ich gehe, sobald mein Vertrag ausläuft, aber ich wollte mit dieser Nachricht nicht von den Fortschritten des Teams ablenken."
Das, was sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet hatte, wurde schlussendlich Gewissheit. Und auch, wenn im und um den Verein viele ihrem Hoffnungsträger hinterhertrauern, nimmt ihm die Entscheidung keiner übel. Im Gegenteil: Mit 51 Toren hat Henry maßgeblichen Anteil an New Yorks sportlicher Entwicklung der letzten Jahre. Viermal in Folge qualifizierte sich der ambitionierte Klub für die MLS-Playoffs, ein Titelgewinn scheint in den nächsten Jahren nicht nur Wunschdenken, sondern realistisch zu sein.
"Macht mich stolz"
Auf diese Fortschritte ist Henry stolz. Guten Gewissens bricht er seine Zelte in Übersee ab: "Es ist ein tolles Gefühl, dass diese Mannschaft nun an dem Punkt ist, an dem man sagt: Yes we can! Wir können es in ein MLS-Finale schaffen. Das ist eine wunderbare Entwicklung, die mich stolz macht."
Im gesamten Teamgefüge sah er sich selbst weniger als Leistungsträger, vielmehr als Freund und Unterstützer: "Es gibt nichts besseres, als zu versuchen, einem Mitspieler zu helfen und ihn zu einem besseren Spieler zu machen. Das habe ich versucht, als ich herkam: Leute besser zu machen."
Doch viel mehr als den sportlichen Erfolg in New York hat Henry dazu beigetragen, die öffentliche Wahrnehmung der gesamten MLS zu fördern. In seiner Funktion als Spieler in der Millionen-Metropole fungierte er stets - bewusst wie unbewusst - auch als Botschafter. Dass die Liga und der amerikanische Verband in großen Schritten voranschreiten, ist dem Franzosen bewusst, wenngleich er keine Verbindung zu seiner Person herstellt.
Förderer des amerikanischen Fußballs
"Es hat sich viel verändert, während ich hier war. Das Spiel hat sich entwickelt, die Liga hat sich verändert, die Teams haben mittlerweile ihre eigenen Stadien. Du siehst heutzutage Fans das Trikot ihrer amerikanischen Lieblingsmannschaft tragen. Als ich herkam, gingen die Leute in Manchester- oder Barcelona-Trikots zu den MLS-Spielen. Die Identifikation mit dieser Liga ist immens gestiegen", so Henry auf der Vereins-Webseite der Roten Bullen.
Speziell seinem Klub wünscht er, dass die zunehmende Begeisterung für den Fußball weiter anhält und sich durch seinen Abgang kein Rückgang der Begeisterung einstellt: "Ich hoffe, dass die Fans in den viereinhalb Jahren auch ein wenig Freude an mir hatten. Es wäre schön, wenn sie sich daran erinnern und das Team weiter unterstützen. Die Mannschaft, wir Fußballer brauchen das."
Das nächste Karriere-Kapitel
20 Jahre Profifußball auf höchstem Niveau hat Thierry Henry schon hinter sich gebracht. Wenngleich er nicht mehr die Spritzigkeit und Physis früherer Jahre besitzt, so hat er zuletzt dennoch bewiesen, dass er mit seiner Klasse und Erfahrung auch auf hohem internationalen Level noch weiterhelfen kann - und sei es nur durch mentales Mitwirken.
Das Au Revoir in New York bedeutet für Henry sicherlich bald wieder ein Bonjour andernorts. Ob ihn sein Weg dabei zu einem altbekannten Arbeitgeber führt oder ob sich "Titi" noch einmal neu orientiert, ist die Frage, über die sich der Stürmer nun in Ruhe Gedanken machen will: "Ich werde mir die nächsten Wochen Zeit zum Reflektieren nehmen und über das nächste Kapitel meiner Karriere nachdenken", schreibt Henry auf "Facebook".
Dass er noch einmal auf europäischem Top-Niveau spielen könnte, hält Gerard Houllier, früherer Nationaltrainer Frankreichs und aktuell Global Sports Director bei Red Bull, für absolut denkbar: "Er sieht so aus, als würde er nie älter werden, außerdem schießt er noch immer Tore. Könnte er nochmals in der Ligue 1 spielen? Absolut, ohne Probleme."