Thomas Doll ist seit Dezember 2013 Trainer beim ungarischen Traditionsverein Ferencvaros Budapest. Der ehemalige Coach des Hamburger SV und von Borussia Dortmund spricht im Interview über seinen Job als Aufbauhelfer in Ungarn, die Probleme bei seinen vorherigen Stationen in Ankara und Saudi-Arabien und seinen Ruf in Deutschland.
SPOX: Herr Doll, zu Ihrer Zeit bei Genclerbirligi in Ankara trafen Sie sich einmal wöchentlich mit dem Vereinspräsidenten zu einer Tasse Tee und haben Bericht erstattet. Was trinken Sie denn nun in Budapest mit Gabor Kubatov?
Thomas Doll: Dieses Ritual fällt hier weg, weil die Wege deutlich kürzer sind. In Ankara mussten wir immer hinaus zur Mehl-Fabrik des Präsidenten fahren, um ihn zu treffen. Gabor Kubatov sehe ich dagegen fast täglich am Vereinsgelände. Wir sitzen beinahe Büro an Büro und laufen uns ständig über den Weg. Er ist ab und an auch mit dabei, wenn die Mannschaft im Trainingszentrum zu Mittag isst.
SPOX: Sie sind jetzt seit knapp über einem Jahr bei Ferencvaros Budapest und haben kürzlich Ihren Vertrag um zwei weitere Jahre verlängert. Gleicht Ihr Trainerjob im ungarischen Fußball einem Entwicklungshelfer?
Doll: Ich bin Aufbauhelfer, so würde ich das eher bezeichnen. In Ungarn boomt der Fußball natürlich nicht so sehr, wie man das aus den europäischen Top-Ligen kennt. In Sachen Stadien, Qualität der Spieler und Attraktivität der Partien hinkt man hier noch deutlich hinterher. Aber auch hier spielen wir vernünftigen und ehrlichen Fußball, der eben ein Stückchen vom internationalen Standard entfernt ist. Doch man ist dabei, den Status Quo zu verändern - und genau das macht die Arbeit so spannend und interessant. Nicht nur wir bei Ferencvaros haben ein modernes Stadion bekommen, auch an anderen Standorten bewegt sich einiges.
SPOX: Sie müssen konzeptionell sicherlich an viele Baustellen ran, wo aber ist der Handlungsbedarf für Sie am größten?
Doll: Ganz eindeutig bei der Athletik und Dynamik der Spieler. Am Ball können hier alle ein bisschen was. Wir müssen aber zusehen, dass künftig schon in den Jugendteams im athletischen Bereich professionell gearbeitet wird. Wir wollen Frequenz sowie Umfang der Trainingseinheiten grundsätzlich erhöhen und auch die Ausbildung der Trainer verbessern. Bei uns entsteht bis 2018 ein moderner Trainingskomplex mit neuen Plätzen und Internaten, auch die Eishockey- und Handball-Abteilung werden dort beheimatet sein. Man ist sich bei Ferencvaros sowohl der sportlichen Dringlichkeit, als auch der Tatsache bewusst, dass diese Maßnahmen Geduld erfordern, bis sie Früchte tragen können.
SPOX: Wie schwierig ist es unter diesen Bedingungen, eine Mannschaft mit Perspektive aufzubauen, wenn der eigene Nachwuchs noch Zeit braucht und man dazu nicht mit der attraktivsten Liga locken kann?
Doll: Es ist nicht einfach, da wir natürlich auf die Wirtschaftlichkeit achten müssen. Alles muss vernünftig gegenfinanziert werden, dazu sollen künftig auch noch mehr Sponsoren mit ins Boot geholt werden. Das Paket, das wir Spielern aktuell bieten, beinhaltet eine tolle Stadt, gute Trainingsbedingungen und eine moderne Infrastruktur. Es gibt hier die Perspektive, den Sprung in einer höherklassige Liga zu schaffen. Wir haben beispielsweise vor der Saison Muhamed Besic für 2,5 Millionen Euro an den FC Everton verkauft. Man kann sich bei uns also bestens präsentieren.
SPOX: Wenn Sie all diese Begebenheiten zusammen nehmen, wie fällt dann Ihr Zwischenfazit aus?
Doll: Als das Angebot aus Budapest vorlag und ich mir einen Eindruck vom Klub verschafft habe, sagte mir mein Bauchgefühl relativ zügig, dass das eine tolle Aufgabe ist. Es macht mir durchgehend Spaß, ich fühle mich rundum wohl und bin voll ausgefüllt. Mich beeindruckt es, mit welchem Engagement man im Verein an die Aufgaben herangeht. Wir wollen uns alle stetig weiter entwickeln, es muss jedoch alles behutsam wachsen. Das ist ein langer Prozess, aber die Geduld ist vorhanden.
SPOX: Sie sind andere Standards im Tagesgeschäft mittlerweile gewohnt, haben in Ankara, aber auch in Saudi-Arabien trainiert. Wie kam es jeweils dazu?
Doll: Ich hatte damals auch die eine oder andere Anfrage aus der 2. Liga vorliegen, das hatte mich zu dem Zeitpunkt aber nicht gereizt. Kurz bevor ich dann in Ankara unterschrieb, stand ich vor einem Engagement bei einem tollen Verein, den ich allerdings nicht nennen möchte. Da entschied man sich letztlich für den Gegenkandidaten, so wie das in diesem Geschäft einfach laufen kann. Nach dem Ende in Ankara wollte ich erst einmal eine Ruhephase einlegen. Das Angebot aus Saudi-Arabien hat sich dann sehr gut angehört und war definitiv ein großes Abenteuer.
SPOX: Damit man gerade an diesen Standorten kontinuierliche Entwicklungen vorantreiben kann, braucht es viel Geduld - ein Gut, das im Fußball sehr selten geworden ist. Wie sah es damit in Ankara und Riad aus?
Doll: Das Hauptproblem ist, dass der Trainer dort eine relativ unwichtige Person war. Die Oberen haben ihre Vorstellungen und möchten Eigeninteressen umgesetzt sehen. Dort kann man schnell das Gefühl bekommen, nur eine austauschbare Marionette zu sein. Es wird viel vom großen Fußball fabuliert, der Blick für die Realitäten ist aber verschwommen. In Riad sah sich beispielsweise ein Scheich gezwungen, den anderen Scheich mit Spielertransfers zu übertrumpfen, nur damit er politisch gut wegkommt.
SPOX: Ihr Vereinsboss bei Al-Hilal war ein Prinz, der viel Geld in den Verein gesteckt hat. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm, bislang haben Sie ja immer mit europäisch geprägten Präsidenten zusammengearbeitet?
Doll: Wir haben uns das erste Mal in Paris getroffen. Da wurde schnell klar, dass es sich um einen wirklich feinen Menschen handelt, die Gespräche gingen entspannt vonstatten. Gegenüber seiner Entourage trat er auch bisweilen dominant auf, weil es dort einfach nach klaren Hierarchien geht. Wenn ich bei ihm zum Essen eingeladen war, konnten wir uns auch gut über nicht-sportliche Themen unterhalten. Was den Fußball angeht, war er sowohl zurückhaltend, als auch sehr lernwillig. Da wurden Stühle aufgestellt, der Tee serviert und dann hat er beim Training zugeschaut.
SPOX: Wie sind Sie mit dem Gebetsrhythmus Ihrer Spieler umgegangen?
Doll: Ich habe das Training so gelegt, dass sie gerade in der Ramadan-Zeit nicht zu müde sind. Da ändert sich der komplette Ablauf, aufgrund des Fastens macht man die Nacht zum Tag. Wir haben meist am späten Nachmittag trainiert, die Jungs haben dann in der Nacht etwas gegessen und am Morgen geschlafen, wurden allerdings um schon 5.30 Uhr wieder geweckt, um erneut zu beten. Gebetet wurde fünf Mal am Tag, manche Male auch in der Kabine nach dem Aufwärmen und direkt vor dem Anpfiff. Es war in diesen Fällen eine Herausforderung, die Spieler aus ihrer Welt zu holen und die Spannung hoch zu halten.
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SPOX: In Saudi-Arabien herrscht Geschlechter-Trennung, Alkohol ist verboten, es gibt keine Kinos, Bars oder Diskotheken. Wie haben Sie unter diesen Bedingungen Ihre Freizeit verbracht?
Doll: Das war schon nicht so einfach, die Abende waren manchmal wirklich lang. Ich konnte ja nicht den ganzen Tag in der Shopping Mall herumlaufen (lacht). Man ist letztlich auf das Internet angewiesen. Ich habe mich oft via Skype mit Familie und Freunden unterhalten. Freizeit im üblichen Sinne konnte man das nicht unbedingt nennen. Allerdings war auch mein Trainerteam relativ groß, so dass wir zusammen viel Zeit in unserem Compound verbracht haben.
SPOX: Ein Compound ist so etwas wie ein abgeriegeltes Ausländerviertel. Was konnte man dort anstellen?
Doll: Erst einmal gab es strikte Einlasskontrollen, wenn man mit dem Auto hineinfuhr. Jedes Mal wurde das gesamte Fahrzeug durchleuchtet und nach Sprengstoff abgesucht. Wir hatten dort mehrere Restaurants oder auch ein großes Fitnesscenter. Das war alles vollkommen in Ordnung. Die Menschen waren sehr zuvorkommend und hilfsbereit, es war organisatorisch alles bestens geregelt. Ich habe dort sehr viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht, die ich aber als wertvoll empfinde und nicht missen möchte.
SPOX: Wie sah es außerhalb des Compounds aus, welchen Eindruck haben Sie von der dortigen Bevölkerung gewonnen?
Doll: Der Kontakt nach außen war auf ein Minimum eingeschränkt, weil ich eben auch beruflich stark beansprucht war. Letztlich ist es doch so: Wenn man in ein solches Land kommt und dort arbeitet, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich den Gegebenheiten anzupassen. Ich hatte mich im Vorfeld informiert, was auf mich zukommt und habe nicht lange gebraucht, um mich an alles zu gewöhnen. Natürlich herrschen dort andere Regeln und Standards, aber wir konnten uns alle gut damit arrangieren.
SPOX: Wieso haben Sie jeweils in Ankara und Riad zugesagt und in diesen Phasen nicht länger auf eine vermeintlich attraktivere Offerte gewartet?
Doll: Man ist ja auch abhängig von Angeboten. Es ist nicht so, dass sich die ganze Welt um Trainer reißen würde, die schon einmal in der Bundesliga gearbeitet haben. Auch der umgekehrte Weg, wieder in die Bundesliga zu kommen, ist nicht leicht. Die deutschen Klubs sind weiterhin mutig und bauen häufig auf Nachwuchstrainer, deren Arbeit sie aus dem Alltag genau kennen. Daher ist es in diesem Beruf normal, dass man sich auch einmal an Standorte begibt, die nicht so im Fokus wie die europäischen Top-Ligen stehen. Man muss einfach offen sein für neue Dinge, die man zuvor vielleicht noch nicht im Detail kennengelernt hat - das war und bin ich durchaus.
SPOX: Sie haben in Hamburg Champions League, in Dortmund UEFA-Cup gespielt und standen im DFB-Pokal-Finale - und waren danach bei Genclerbirligi und Al-Hilal in zwei vollkommen unterschiedlichen Welten unterwegs. Wie fremd war das damals unmittelbar nach Ihren Jahren in der Bundesliga?
Doll: Ich war gerade in Ankara anfangs sehr ungeduldig. Die sportliche Qualität im Vergleich zur Bundesliga veränderte sich natürlich enorm. Die Trainingseinheiten sehen unter diesen Voraussetzungen einfach anders aus, man muss andere Schwerpunkte wählen als gewohnt. Es gab Spieler, die Einsatzzeiten gefordert haben, bei denen ich mich aber fragte, wie die überhaupt in der ersten Liga gelandet sind (lacht). Es hat deshalb etwas gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe. Das hat man mir auch angesehen. Ich musste mich total umstellen und bin sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle angeeckt, so ehrlich bin ich.
SPOX: Ihr letzter Job bei einem deutschen Verein liegt bald sieben Jahre zurück. Von Ihren bisherigen Engagements, auch jetzt in Budapest, bekommt man in Deutschland kaum etwas mit. Stört es Sie, dass Sie etwas aus dem Fokus geraten sind?
Doll: Nein, überhaupt nicht. Mir reicht die Aufmerksamkeit, die ich im jeweiligen Land genieße. Wer es schade findet, nicht mehr regelmäßig in den deutschen Medien vertreten zu sein, der hat ein Problem mit sich selbst. Früher habe ich immer gehofft, schnellstmöglich wieder zurück in die Bundesliga zu kommen.
SPOX: Und jetzt?
Doll: Dieses Gefühl ist momentan ganz weit weg für mich. Ich brauche das nicht mehr, um glücklich zu sein und mache davon auch nicht meine Laune abhängig. Ich bin davon überzeugt, dass ich ein guter Coach bin. Mir ist wichtig, einen guten Job abzuliefern, mit dem man in Budapest zufrieden ist. Das ist keine Durchgangsstation für mich, das soll auch mein Arbeitgeber sehen und wissen. Ich lebe im Hier und Jetzt und habe gelernt, dass man mit hätte, wenn und aber nicht weit kommt.
SPOX: Sie hatten in Deutschland als Spieler und Trainer den Ruf, locker und nahbar zu sein. Glauben Sie, dass sich dieses Bild mittlerweile verändert hat?
Doll: Das weiß ich nicht und das ist mir auch völlig egal. Es zählen nicht die Schubladen, in die man als Trainer gesteckt wird, sondern letztlich die Ergebnisse. Als wir damals mit dem HSV in die Champions League eingezogen sind, hieß es, ich sei ein moderner Trainer. Die Sache mit der Lockerheit wurde dann herausgekramt, als wir Schwierigkeiten in der Liga bekamen. Daher kann ich mit diesen ganzen Attributen, die man Trainern in unterschiedlichen Phasen anheftet, überhaupt nichts anfangen. Da habe ich mir zu meiner Anfangszeit vielleicht mal ein paar Gedanken gemacht, aber jetzt ist das kein Thema mehr.
SPOX: Mussten Sie sich als Trainer auf eine gewisse Weise neu erfinden, um zu dieser Gelassenheit zu kommen?
Doll: Ich bin sicherlich ruhiger und realistischer geworden. Meine Arbeit auf dem Platz und mein fußballerisches Denken sind davon im Kern aber unberührt geblieben. Früher war ich ein sehr junger Trainer und habe teilweise zu viel Nähe zugelassen. Nun gelingt es mir besser, auf der einen Seite offen und ehrlich zu kommunizieren, auf der anderen aber auch eine natürliche Distanz zu wahren. Ich werde jetzt gesiezt, früher hatte mich der eine oder andere noch geduzt. In dieser Hinsicht habe ich sicherlich dazu gelernt, denke aber auch, dass es normal ist, durch solche Lernprozesse zu gehen.
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