"China hat Fußball-Business entdeckt"

Marco Pezzaiuoli trainert unter anderem die U19, U18 und U17 von Guangzhou Evergrande
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SPOX: Das Scouting in China beginnt schon im Alter von sieben Jahren. Macht es wirklich Sinn, bereits solch junge Spieler zu beobachten und in die Vereine zu holen?

Pezzaiuoli: In China macht das Sinn, da hier generell wenig Fußball gespielt wird. Im Jugendbereich gibt es nicht wie in Deutschland Meisterschaften oder einen geregelten Spielbetrieb. Außerdem spart man durch das Scouting viel Geld.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Pezzaiuoli: In China werden für die Kleinsten schon Ablösen fällig. Sobald die Kinder in einem Stadt- oder Provinzverband, Akademien oder Sportvereinen registriert sind, müssen wir Geld dafür zahlen, um sie zu uns zu holen. Ich spreche hier nicht von kleinen Summen, das ist viel Schotter. Deshalb ist es wichtig, Bewegungstalente schon in der Grundschule, auf der Straße oder bei Freizeitturnieren zu entdecken.

SPOX: Das heißt, der Wettbewerbsgedanke beginnt schon im frühen Kindesalter?

Pezzaiuoli: Die Mentalität, gewinnen zu wollen, ist bei den meisten Kindern schon von Geburt an da. Leider stelle ich fest, dass auf die Jugendtrainer ein Mordsdruck ausgeübt wird, siegen zu müssen. Selbst in der E-Jugend bekommt der Trainer einen auf den Deckel, wenn seine Mannschaft verliert. Das ist in China leider so. Alle wollen hier den schnellen Erfolg, dabei wäre vielmehr langfristiges Denken im Kindes- und Jugendbereich angebracht.

SPOX: Ist diese extreme sportliche Förderung überhaupt mit der Schullaufbahn vereinbar? Die hat in China bekanntlich einen ganz besonderen Stellenwert.

Pezzaiuoli: Das war jahrelang ein schwieriges Thema. Die größte Problematik ist das chinesische Schwarz-Weiß-Denken in "Schule oder Sport". Beides zusammen betrachteten die Chinesen als nicht kombinierbar. Eltern haben ihre Kinder oftmals nicht zum Fußball geschickt, weil sie befürchteten, dass die schulischen Leistungen darunter leiden würden.

SPOX: Und Sie betreiben sozusagen Aufklärung?

Pezzaiuoli: Wir versuchen, den Kindern eine Möglichkeit zu geben, die Bereiche zu vereinen. Bildung ist extrem wichtig, allerdings leiden viele Sportverbände unter den langen Schultagen, da die Jugendlichen am Abend kaum mehr Zeit für sportliche Aktivitäten haben. Bei Guangzhou Evergrande haben wir den Schultag so konzipiert, dass er sich nach dem Fußball richtet. Dort haben wir sogar einen Vorsprung gegenüber anderen Verbänden und Ländern. In Deutschland wurden die Leistungszentren und Schulen dezentralisiert.

SPOX: Dort waren Sie Teil der Entwicklung, durch die der DFB an anderen großen Nationen vorbeizog. Ist das auch das langfristige Ziel Chinas?

Pezzaiuoli: Auf jeden Fall ist das das Ziel. China will eine Fußball-Großmacht werden, aber dafür braucht es Zeit. Bei Chinas aktuellem Stand fehlen mindestens 30 Jahre akribische Arbeit. Vielleicht gibt es 2040 auch chinesische Topspieler in den europäischen Ligen, man kann sie aber nicht von heute auf morgen hervorbringen. Doch den Chinesen fehlt oftmals die Geduld. Der deutsche Fußball hat sich über viele Jahrzehnte entwickelt, um so zu werden, wie er heute ist. Der Fußball in China ist noch jung, der langfristige Erfolg steht und fällt mit der Nachwuchsförderung. Da hilft auch das schnelle große Geld nicht auf Anhieb.

SPOX: Umgerechnet etwa 390 Millionen Euro investierten die Vereine der Super League in der jüngsten Transferperiode in neue Spieler wie Jackson Martinez, Alex Teixeira, Ramires, Gervinho oder Ezequiel Lavezzi - das ist mehr als die Premier League ausgab und viel mehr als die Bundesliga. Den eigenen Nachwuchs bringt das nicht weiter, oder?

Pezzaiuoli: Erst einmal muss man es positiv finden, dass die Vereine in Qualität investieren. In den letzten Jahren holte man ja auch schon den einen oder anderen Star aus Europa, meistens waren das aber Spieler, die schon am Ende ihrer Karriere standen. Das Niveau der Super League steigt dadurch natürlich und davon profitieren auch die heimischen Spieler. Außerdem schafft man für den Nachwuchs neue Vorbilder.

SPOX: Durch diese Zugänge von externen Märkten steigen aber auch die Ablösesummen der nationalen Spieler.

Pezzaiuoli: Genau an diesem Punkt muss man die Entwicklung kritisch hinterfragen. Dass plötzlich zweistellige Millionenbeträge auch für mittelprächtige chinesische Spieler gezahlt werden, ist horrend. Die Dimensionen stimmen nicht mehr überein. Dieser Effekt strahlt bis in die untersten Bereiche aus. Für einen Jugendspieler muss man schon anderthalb oder zwei Millionen Euro zahlen. Das ist sicherlich nicht gut.

SPOX: Immerhin gibt es eine Begrenzung für ausländische Spieler.

Pezzaiuoli: Darüber bin ich auch wirklich froh. Pro Team dürfen nur drei ausländische Spieler auflaufen. Im Jugendbereich dürfen überhaupt keine ausländischen Talente spielen. Gäbe es diese Regelungen nicht, bin ich mir sicher, dass China in einen kompletten Kaufrausch verfallen würde. Und das wäre absolut kontraproduktiv. Der italienische Fußball hat gezeigt, welche Ausmaße das annehmen kann. Nach dem Bosman-Urteil spielten eine Zeit lang kaum noch italienische Spieler in der Serie A, Italien brachte auch keine Talente mehr hervor. Das ist ein abschreckendes Negativbeispiel.

SPOX: Woher kommt in China das plötzliche Interesse an der Sportart und demzufolge auch das Geld in den Vereinen?

Pezzaiuoli: Die chinesische Bevölkerung, die traditionell eine große Begeisterung für Einzelsportarten aufweist, hat den Fußball angenommen. Die Stadien werden immer voller, die Zuschauer sind wirklich fanatisch. Das kommt auch daher, dass man hier intensiv die Bundesliga und die Premier League verfolgt und die Atmosphäre aufsaugt. Das Fernsehen transportiert ganze Heldenbilder nach Asien: Jedes Kind kennt Ronaldo oder Messi, alle tragen deren Trikots. Auch Mario Götze ist hier schon eine Marke. Dank dieser Idole wollen die Jugendlichen selbst spielen. China ist geil auf Fußball geworden.

SPOX: Allen voran Staatspräsident Xi Jinping, wie es scheint.

Pezzaiuoli: Die Politik spielt natürlich eine große Rolle. Die unterstützt den chinesischen Fußball seit einiger Zeit im höchsten Maße. Das lockt immer mehr Geldgeber an, die merken, dass sich die investierten Mittel refinanzieren. Man hat den Fußball als Business entdeckt - was in Europa schon vor Jahrzehnten passiert ist. Jetzt will man die Liga auch bestmöglich vermarkten.

SPOX: Also sind die spektakulären Transfers vor allem PR für den chinesischen Fußball?

Pezzaiuoli: Das ist schon viel PR, ja. Werbung ist aktuell ganz wichtig. Die Frage ist aber, wie nachhaltig diese Ausgaben sein werden. Es kommt auf die Geduld der Investoren an. Wie lange sind sie bereit, Gelder für eine langsame Entwicklung zur Verfügung zu stellen?

SPOX: Andersherum ziehen auch europäische Top-Klubs ihren Nutzen aus dem chinesischen Fußball. Die spanischen Trainer bei Evergrande, die Sie angesprochen haben, sind alle von Real Madrid. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...

Pezzaiuoli: Natürlich bedeutet diese Kooperation für Real Madrid vor allem Merchandising, die Talente und die Klubpräsenz vor Ort lassen sich natürlich gut vermarkten. Wir bei Guangzhou profitieren aber auch davon, dass einige Jugendspieler immer wieder nach Spanien geholt werden, dort mittrainieren und sich dank des europäischen Fußballs weiterentwickeln. Es ist also auch für die Spieler sehr lukrativ. Diese Kooperationen gibt es aber auch bei anderen Vereinen, im heutigen Fußballgeschäft ist das gang und gäbe.