Sebastian Prödl meinte mal, ein Auswärtsspiel bei den Bayern sei wie ein Zahnarztbesuch. Jeder müsse da mal hin. "Kann glimpflich ausgehen. Kann aber auch ziemlich wehtun."
Von der Deutschen Akademie für Fußballkultur in Nürnberg gab es dafür den undotierten Publikumspreis für den Fußball-Spruch des Jahres.
Ungeachtet dessen, dass Prödls Aussage wohl ziemlich ernst gemeint war, muss er es wissen. Für den Ex-Bremer setzte es mit Werder ein Debakel nach dem anderen in München.
Doch von den Schmerzen, die Prödl und so manch anderer Bundesliga-Profi bei oder nach einer Partie in der Allianz Arena empfindet, können die Akteure in Portugals vierter Liga nur träumen.
Dort, in der Region rund um Porto im Nordwesten der iberischen Halbinsel, verbreitet ein Verein dermaßen Angst und Schrecken, dass sich die Gegner bereits genötigt sahen, sich zurückzuziehen.
Der FC Bayern Portugals
Canelas 2010 hat sich der Klub getauft, der genauso gut als FC Bayern Portugals durchgehen könnte. Natürlich in nicht so hochklassig und (noch) nicht so bekannt. Achja, und in nicht so gut. Aber zumindest so erfolgreich.
Weil die Spieler von Canelas in ihren Partien so brutal und teilweise gewalttätig zu Werke gingen und nach wie vor gehen, reagierte der Großteil der restlichen Mannschaften der Liga. Die jeweiligen Klub-Präsidenten trafen sich zu einem inoffiziellen Meeting.
Man wolle gegen Canelas nicht mehr antreten, beschwerten sie sich mit nur einer Ausnahme. Diese Mannschaft trete, verprügle und beleidige nicht nur die Spieler, sondern auch die Schiedsrichter. Ein ehemaliger, nicht genannter Gegenspieler sagte gar aus, man hätte ihm gedroht, seiner Familie zu schaden: "Wir wissen, wo ihr wohnt."
Ein selbst zusammengestelltes, fünfminütiges Video auf Youtube sollte die Obersten davon überzeugen, einzugreifen. Doch die waren wenig beeindruckt.
Gegner treten nicht an - Canelas marschiert
Portos lokaler Verband machte die Vereine darauf aufmerksam, dass sie einen Boykott nicht akzeptieren würden. 750 Euro Strafe pro verpasster Partie und drei automatische Punkte für Canelas wären die Folge. Doch da war der Beschluss längst gefällt worden.
Und so nahm der "erfolgreiche" Lauf seinen Beginn. Ende Oktober 2016 war es, da durften die Spieler Canelas' dann mit ansehen, wie sie mühelos von Woche zu Woche in der Tabelle nach oben kletterten und sich dabei bis zum Jahresende zurücklehnen.
Wobei zurücklehnen relativ ist. Denn der Großteil der Mannschaft ist gleichzeitig Mitglied der "Super Dragoes", der größten, einflussreichsten und zugleich gefährlichsten Ultra-Gruppierung des FC Porto.
Canelas war überhaupt erst durch diese Personen gegründet worden, die sich neben den Besuchen der Heim- und Auswärtsspiele ihres Herzensvereins auch selbst wieder betätigen wollten. Auf dem Fußballfeld natürlich, abseits waren sie ohnehin schon recht aktiv.
Der Affe ergreift das Wort
Fernando Madureira, Kapitän des Teams und Anführer der Super Drachen, erinnerte sich im Gespräch mit der New York Times zurück, dass er eigentlich kein exzellenter Fußballer war, "aber ein sehr guter Anführer".
In der Szene rufen sie ihn bei seinem Spitznamen Macaco (Affe). Für seine Drachen tut der Affe einfach alles, erzählte Madureira weiter, auch wenn es da "gute und böse Jungs" gäbe. "Wir haben Drogendealer und Mörder, aber auch gute Menschen in unserer Szene."
Und dann stelle man sich vor, diese guten und schlechten Jungs verabredeten sich damals zum Kicken und am Ende blieb ein kleiner Teil übrig, überflüssig zu erwähnen, welcher. Das ist Canelas 2010. Ihr Motto lautet "nenhum passo atrás" - kein Schritt zurück.
Der Boykott gegen seine Mannschaft empfindet Macaco als ungerecht. "Es wäre diskriminierend, einen Afrikaner oder Chinesen nicht spielen zu lassen. Warum ist das bei den Super Drachen unterschiedlich?"
Vielleicht ja wegen der Tritte gegen Oberkörper und Gesichter der Gegenspieler, vielleicht wegen der Drohungen gegen deren Familien und vielleicht auch wegen unzähliger gebrochener Knochen. Vielleicht.
Nur eine schmutzige Kampagne?
Das Video zumindest, meinte der Affe, verzerre die Realität. Es sei ja nur ein Video gewesen und das liegt auch alles schon zwei Jahre zurück. "Immer wieder spielen sie das. Die Medien interessiert das sowieso nur wegen mir, den Super Drachen und dem FC Porto. Wenn ich nicht hier wäre und dieselben Sachen geschehen würden, würde nichts davon erwähnt werden."
Verdächtig käme es obendrein daher, dass die anderen Teams sich erst dann beschwert hätten, nachdem Canelas einen starken Saisonstart mit sechs Siegen aus den ersten sieben Saisonspielen hingelegt hatte.
"In dieser Liga gibt es viel Geld. Manche Klubs zahlen ihren Spielern eine Menge", so Madureira. "Sie haben ein viel größeres Budget als wir, um im Aufstiegskampf mitzureden. Canelas ist ohne Geld entstanden." Dann habe man entschieden, sie zu stoppen, als sie Erster waren.
Inzwischen stehen sie trotzdem in den Playoffs und kämpfen aktuell als Erster um den Aufstieg in die Drittklassigkeit, nachdem es einen zweiten, fünf Spiele andauernden Boykott gegeben hatte. Dieser wurde zwei Spieltage vor Schluss der regulären Saison beendet, weil zwei abstiegsbedrohte Gegner antreten mussten, sofern sie nicht nach unten wollten.
In diesen zwei Partien sei soweit nichts dramatisch passiert, berichtete Madureira. Sie hätten sich Disziplin jetzt als Regel notiert. Es habe lediglich ein paar Gelbe Karten gegeben. Achja, und eine Rote.
Ausnahmen bestätigen bekanntermaßen die Regel.
Polizei-Einsatz und eine Viereinhalb-Jahres-Sperre
Und Canelas wäre nicht Canelas, wenn nicht auch dieser Platzverweis eine besondere Geschichte zu bieten hätte.
Marco Goncalves, Anhänger der Super Drachen, durfte bereits nach zwei Minuten duschen gehen - weil er seinen Gegenspieler geschlagen hatte.
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Damit der Schiedsrichter seinen Fehler schnellstmöglich bemerkte, trat Goncalves ihm noch mit dem Knie ins Gesicht und brach ihm die Nase. Wie konnte er ihm auch Rot geben? Um den Unparteiischen zu schützen, rückte letztlich das Sonder-Kommando der Polizei an und nahm Goncalves in Gewahrsam.
Sofort wurde der Portugiese von allen landesweiten Fußballspielen verbannt, ob als Fan oder als Spieler. Ihm drohte gar eine Gefängnisstrafe. Vergangene Woche sprach ein Richter dann das erleichternde Urteil. Goncalves wird nur vom Fußball gesperrt. Und auch nur für viereinhalb Jahre.