SPOX: Herr Gressel, Sie sind 2013 im Alter von 18 Jahren aus ihrer Heimatstadt Neustadt an der Aisch ans Providence College in Rhode Island gewechselt. Wie kam es zu diesem Schritt?
Julian Gressel: Ich habe ein halbes Jahr vorher eine Facebook-Nachricht von einer Organisation bekommen, die Spieler aus Deutschland an die Colleges in den USA vermittelt. Das geschah eher zufällig, zuerst ist die Nachricht noch im Spam-Ordner gelandet. Nach ein bisschen Hin und Her haben die mir geholfen, ein Video zusammenzustellen und zu verschicken, sodass sich die Colleges bei mir gemeldet haben. Ich habe mich am Ende für Providence entschieden, weil das Gesamtpaket dort am besten war.
SPOX: Man sagt gerne, dass Spieler, die über den großen Teich wechseln, eine gewisse Eingewöhnungszeit brauchen. Ihre Zahlen (30 Tore und 26 Assists in 83 Spielen) widerlegen das deutlich, dabei ist der Fußball doch gerade auf College-Niveau vollkommen anders als zum Beispiel in der Regionalliga in Deutschland.
Gressel: Ganz anders! Ich hatte aber einen guten Einstand und habe als Sechser im ersten Spiel direkt zwei Tore gemacht. Von da an habe ich sofort gemerkt, dass der Trainer auf mich setzt und mir vertraut. Wir haben von Anfang an eng zusammengearbeitet, mit dem Ziel, dass ich es nach den drei Jahren und meinem Abschluss zum Profi schaffe. Das hat mir die Anpassung erleichtert.
SPOX: Das Ziel hieß Major League Soccer?
Gressel: Oder auch Deutschland, das wusste ich damals noch nicht. Ich wollte erst mal schauen, wie es sich entwickelt. Wenn ich in Providence nicht gut gespielt hätte, wäre ich auch so realistisch gewesen und hätte mich einfach für meinen Abschluss bedankt.
SPOX: Den Management-Abschluss hatten Sie schließlich in der Tasche. Welche Rolle hat diese Dualität aus Fußball und Ausbildung gespielt?
Gressel: Das war einer der wichtigsten Punkte für mich. Hätte es nur den Fußball gegeben, wäre ich nicht in die USA gegangen. Es war im Grunde die perfekte Vereinbarung zwischen der Möglichkeit, Profi werden zu können und auf der anderen Seite auch anderweitig für die Zukunft planen zu können. Wer weiß schließlich, was nach dem Fußball kommt?
SPOX: Generell ist es in den USA nicht so, dass man aus der vereinseigenen Nachwuchsakademie irgendwann den Sprung zu den Profis schafft, sondern im Draft von einer Franchise gepickt wird. Welche Vor- und Nachteile hat dieses System aus Ihrer Sicht?
Gressel: Da ich den Sprung in die MLS geschafft habe, finde ich das System positiv. Es gibt aber auch viele, die das gar nicht begrüßen. Was mir gefällt, ist die Zeit am College, sich neben dem Fußball noch weiter entwickeln zu können. Nicht wie in Deutschland, wo du heutzutage schon in der U17 um einen Profi-Vertrag spielst. Wenn du da nicht gut genug bist, wirst du aussortiert. Am College haben die dich vier Jahre lang an der Backe, ob du nun performst oder nicht. (lacht) Ich habe im letzten Jahr gut gespielt und mich auch bei der Combine vor dem Draft nochmal empfehlen können. Mein Trainer Tata Martino hat mich da zum ersten Mal spielen sehen und war sehr beeindruckt, wie er mir später sagte. Das ist gewissermaßen auch ein positiver Effekt, dass die Trainer sich ihren Wunschpick quasi direkt anschauen und mit ihm sprechen können.
SPOX: Mit wem durften Sie bei der Combine noch sprechen?
Gressel: Puh, ich glaube, das waren am Ende elf Teams. Aber meistens nicht die Trainer, sondern die Manager. Die wollen dich kennenlernen und natürlich erfahren, ob sie dich überhaupt brauchen. Das ist ziemlich interessant.
SPOX: Dann kam im Januar der Super Draft 2017. Atlanta United, neben Minnesota völlig neu in der Liga, wählte Sie mit dem achten Pick aus. Wo wären sie lieber gelandet?
Gressel: Atlanta stand ganz oben auf meiner Liste. Man schaut in der Offseason immer, was die Teams so treiben und wo man potenziell landen könnte. Da habe ich mich mit Atlanta schon anfreunden können. Toronto hätte mir auch sehr gut gefallen, auch wenn es in Kanada ist. Ich hatte bei der Combine ein sehr gutes Gespräch mit dem Trainer, der mir von der Mannschaft und den Trainingsmöglichkeiten erzählt hat. Das ist dort ein ganz anderes Niveau als bei vielen anderen Vereinen.
SPOX: Wie geht man emotional in so einen Draft. Man weiß vorher nicht, ob man ab dem kommenden Tag in Kanada Schnee schippt oder die Sonne in Los Angeles genießen darf?
Gressel: Das ist wirklich ein ganz komisches Gefühl. Ich habe versucht, gar nicht so oft darüber nachzudenken und einfach gehofft, dass irgendwer auf mich setzt und es dann so genommen, wie es kam.
SPOX: Aber nach den guten College- und Combine-Leistungen konnten Sie sich doch eher Gedanken darüber machen, wo es hingeht, anstatt zu grübeln, ob es überhaupt irgendwo hingeht.
Gressel: Ja schon, aber es kommt auch immer darauf an, was die Vereine brauchen. Es war ein bisschen glücklich für mich, dass Atlanta gleich zwei Picks in der ersten Runde hatte. Dadurch konnten sie erst das nehmen, was sie brauchten (Miles Robinson, Verteidiger, d. Red.), und später dann mit mir das, was sie wollten. (lacht)
SPOX: In der NFL gab es in diesem Jahr mit den San Diego Chargers und den Oakland Raiders schon zwei Umzüge. Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, was passiert, wenn Ihr Verein womöglich im nächsten Jahr den Standort wechselt und Sie beispielsweise plötzlich in Arizona spielen?
Gressel: In der MLS ist es eher so, dass neue Städte dazukommen. Die größere Angst ist, dass ich zu einem neuen Team getradet werde. Da kann ja alles passieren.
SPOX: Wie ging es für Sie nach dem Draft weiter?
Gressel: Ich war für meine All-American-Auszeichnung noch einen Tag länger in Kalifornien, danach ging es ziemlich schnell. Ich musste mir im Flieger zurück nach Boston die ganze Zeit neues Internet kaufen, um mir Wohnungen in Atlanta anzuschauen. Das war viel Planerei, weil von Anfang an klar war, dass meine Freundin mitkommt, egal wo ich lande. Da ich aber erst mal mit der Mannschaft in Trainingslagern unterwegs war und sie zuhause noch einiges zu klären hatte, sind wir erst kurz vor Saisonauftakt in unsere Wohnung gezogen.
SPOX: Ihr Trainer ist Gerardo "Tata" Martino, einst an der Seitenlinie des FC Barcelona und der argentinischen Nationalmannschaft. Wie ist er so drauf?
Gressel: Er ist ein cooler Typ. Er will, dass wir viel Spaß haben, weiß aber auch, wann er wieder Gas geben muss. Taktisch ist er überragend, findet immer den richtigen Mix. Und: Jetzt hat er Messi und mich trainiert! (lacht)
SPOX: Man hat das Gefühl, dass er Sie wirklich um jeden Preis dabei haben will. Immerhin haben Sie in dieser Spielzeit sowohl auf der Sechs, links, rechts und im offensiven Mittelfeld begonnen. Was denn nun?
Gressel: Ich würde sagen, er sieht mich als Nummer acht, aber mir ist es gleich. Ich habe noch nicht das Recht zu sagen: Ich will da und da spielen.