Was gab dann den Ausschlag für Ihre Zusage?
Heister: Als ich die Mannschaft kennengelernt und mein erstes Training gemacht habe, begrüßten mich alle, als hätte ich schon längst unterschrieben und wäre der neue Star des Teams. Ich habe mich auf Anhieb extrem wohlgefühlt, das war wirklich schön. Irgendwie dachte ich zwar, das könne doch alles nicht sein, aber am nächsten Tag habe ich zugesagt.
Vier Jahre nach dem Aus in Hoffenheim standen Sie dann als Spieler von Beitar in einem Europa-League-Qualifikationsspiel beim AS St. Etienne auf dem Platz. Konnten Sie diese doch ungewöhnliche Entwicklung mal richtig reflektieren?
Heister: Das war insgesamt alles ziemlich verrückt. In Jerusalem war es sehr besonders. Ich hatte eine unglaubliche Unterstützung vom Verein und den Fans. Als ich dann noch das eine oder andere schöne Tor schoss, wurde ich von den Anhängern regelrecht vergöttert. Auf einmal haben 30.000 Fans in Israel meinen Namen geschrien. Oft dachte ich mir: Ich bin doch nur der Marci von der Schwäbischen Alb, ein ganz normaler Junge. Die Leute dort sind so fanatisch, für sie ist Fußball alles. Wenn ich in Jerusalem in ein Restaurant gegangen bin, rannte der Koch aus der Küche und wollte ein Bild machen. Die Leute küssen dich, umarmen dich, heben dich in die Höhe - Fußball ist dort eine ganz andere Geschichte als in Deutschland.
Beitar ist ein Traditionsklub, der auch für die rassistische Ultra-Gruppierung "La Familia" bekannt ist. Diese schlagen immer wieder deutlich über die Stränge. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Heister: Ich konnte die Sprache nicht, daher habe ich auch nicht verstanden, was skandiert wurde. Anfangs war ich verwundert, wenn sie auf einmal gar nicht da waren, weil sie eine Strafe vom Verband bekommen hatten. Grundsätzlich freut man sich Spieler natürlich, wenn eine laute und hitzige Stimmung herrscht. Alles andere muss man im Grunde ignorieren, denn es liegt nicht in der Hand der Spieler, was die Fans tun. Die machen ihr Ding und als Spieler geht man seinem Job nach. Mir persönlich gegenüber waren sie immer positiv und haben mich unterstützt.
Heister: "Warum? Wieso tut jemand so etwas?"
Jerusalem ist eine sehr religiöse und geteilte Stadt, der Konflikt zwischen Muslimen und Juden ist allgegenwärtig. Wie hat das auf Sie gewirkt?
Heister: Der Konflikt wird im Alltag ignoriert und totgeschwiegen, man geht sich aus dem Weg. Es ist augenscheinlich, dass die einzelnen Gruppen genau wissen, wo sie hingehen können und wo nicht. Vieles ist einfach abgesperrt. Auch ich als Christ durfte manche Moscheen, die ich mir anschauen wollte, nicht betreten, weil das eventuell zu Problemen führen könnte. Ich habe zwar direkt im Zentrum gewohnt, aber nie etwas davon gemerkt, wenn es zu Ausschreitungen oder sogar Schießereien kam. Insgesamt geht dort alles sehr hektisch, laut und schnell zu. Eine richtige Großstadt eben. Man merkt schon nach ein paar Minuten, dass man nicht in seiner gewohnten Umgebung ist und das nichts mit Europa zu tun hat.
Waren Sie eigentlich schon immer eher der Typ, der auch auf Abenteuer steht und in seiner Karriere etwas fürs Lebens erleben möchte, wie Sie vorhin sagten?
Heister: Auf jeden Fall. Ich habe noch nie Probleme gehabt, mich irgendwo anzupassen. Ich bin auch nicht schüchtern oder zurückhaltend, sondern gehe gerne auf die Menschen zu und habe kein Problem, mit einem Fremden ein Gespräch anzufangen. Das war und ist für meinen Lebensweg sicherlich ein großes Plus. Ich liebe es, wenn ich wie hier in Budapest mit vielen Spielern aus anderen Kulturen zusammenspiele.
Nach eineinhalb Jahren in Jerusalem, wo Sie um die Meisterschaft kämpften, lagen Ihnen im Januar 2018 Angebote vor. Unter anderem von Ludogorez Rasgrad, das in der darauffolgenden Spielzeit in der CL-Gruppenphase spielen sollte. Beitars Besitzer Eli Tabib lehnte jedoch ab und es kam zum Eklat. Was ist geschehen?
Heister: Es gab über die gesamte Zeit mehrere Offerten für mich. Anfangs hat er alles abgelehnt und wollte nicht mit den Vereinen sprechen. Also habe ich ihn zum Gespräch gebeten, weil ich wieder nach Europa wollte. Ich wollte, dass er wenigstens gesprächsbereit ist und mir keine Türen zuschlägt, sollten wieder Angebote eintreffen. Er hat das auch eingesehen und gab mir seine Hand darauf. Das Gespräch war total positiv.
Wieso ist die Situation dann eskaliert?
Heister: Der Verein hatte die einseitige Option, meinen Vertrag verlängern zu können. Nach meinem Gespräch mit Tabib erhielt ich plötzlich eine Whatsapp-Nachricht, in der stand, dass man genau dies getan hat. Ich konnte es nicht glauben. Er hatte mich einfach angelogen. Das war wieder so eine Situation wie in Hoffenheim, in der ich mich fragte: Warum? Wieso tut jemand so etwas?
Wie sind Sie in der Folge damit umgegangen?
Heister: Ich habe mir gesagt, dass ich kein einziges Spiel mehr für den Verein mache, solange Tabib noch etwas zu sagen hat. Ich wurde ohnehin nur noch selten eingesetzt. Als die Saison vorbei war, flog ich nach Deutschland. Von dort aus habe ich dann eine Art Streik abgehalten, denn als die Vorbereitung losging, bin ich nicht mehr zurückgereist. Ich habe mich einfach unfair behandelt gefühlt und dachte: Er hört nicht auf mich, also höre ich nicht auf ihn. Ich konnte schlichtweg nicht wieder zum Training kommen, als sei nichts geschehen.
Marcel Heister: "Wir hätten uns gegenseitig erschlagen"
Durch die Verlängerung lief Ihr Vertrag noch ein Jahr. Sie hätten also eine ganze Saison nicht gespielt, wenn Sie das durchgezogen hätten. Hätten Sie?
Heister: Hundertprozentig. Die Fronten waren am Ende extrem verhärtet. Wenn wir uns gesehen hätten, wir hätten uns glaube ich gegenseitig erschlagen. Ich wäre lieber ein Jahr lang zu Hause gesessen, als noch einmal irgendwie auf ihn zuzugehen. Das ließ mein Stolz nicht zu.
Was für ein Typ ist Tabib denn?
Heister: Ein reiner Geschäftsmann, dem es nur um sein Geschäft geht. Er will nicht, dass sich jemand einmischt - kein Trainer, kein Manager und kein Vorstand. Er macht sehr deutlich, dass er der Chef ist und das Sagen hat. Im Grunde macht er auch die Aufstellung. Ich habe mich lange sehr gut mit ihm verstanden, er hat mich ja auch zu Beitar geholt. Es tat mir leid, dass wir im Streit auseinandergehen mussten. Ich war aber nicht der einzige Spieler, der unter ihm zu leiden hatte. Er war damals auch sehr umstritten, im Stadion forderten die Leute vehement seinen Rauswurf.
Wie gelang schließlich der Wechsel nach Budapest?
Heister: Die Sache ging über unsere Anwälte und artete in einen Rechtsstreit aus. Es ging hin und her. Irgendwann haben sie mir Vereine vorgeschlagen, zu denen sie mich verkaufen wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber schon mit Thomas Doll telefoniert, der damals Trainer von Ferencvaros war. Ich war so dermaßen hin und weg von diesem Gespräch. Er hatte mich in nur zehn Minuten komplett überzeugt, zu ihm zu wechseln.
Wie ist ihm das gelungen?
Heister: Er hat eine total coole und sehr freundliche Art an sich. Ich sprach mit ihm wie mit meinem besten Kumpel. Er habe sich meine Spiele angeschaut, mochte meinen Spielstil und meinte, ich würde perfekt in sein System passen. Das gab mir sofort ein sehr positives Gefühl, so dass die Frage nicht war ob, sondern wann ich den Vertrag unterschreiben werde.
Wie sahen denn zwischenzeitlich die Rückmeldungen aus Deutschland aus: Gab es von dort auch Interesse an Ihnen?
Heister: Nein. Aus Deutschland kam nie etwas, was irgendwie offiziell gewesen wäre. Das waren immer nur ganz seichte Anfragen oder Interessenbekundungen. Es ist aber nie darüber hinaus gegangen oder zu einem Gespräch mit mir gekommen.