Patrick Helmes trainiert seit Sommer die Reservemannschaft des österreichischen Erstligisten Admira Wacker Mödling. Im Interview mit SPOX und Goal berichtet der 37-jährige ehemalige Nationalstürmer von seiner bisherigen Trainerkarriere, seiner Tätigkeit bei der Admira und dem Terroranschlag von Wien, den er aus nächster Nähe miterlebte.
Außerdem spricht Helmes über Florian Wirtz, dessen Karriere er intensiv verfolgt, und seinen Einsatz als Interimstrainer der Admira-Profis. Nach einer 0:5-Niederlage hatte es Kritik von den Admira-Verantwortlichen gegeben - nun kontert Helmes entschieden.
Herr Helmes, Sie arbeiten seit vergangenem Sommer bei Admira Wacker Mödling. Wie gefällt es Ihnen in Österreich?
Patrick Helmes: Wien ist eine wunderschöne Stadt. Wir wohnen in der Nähe des Schlosses Schönbrunn, gleich neben dem Tiergarten. Ein großes Plus in diesen Corona-Zeiten ist auch, dass es im Umkreis von ein, zwei Stunden mehrere Skigebiete gibt. Das ist ein Luxus, den wir sehr schätzen. Es ist nicht selbstverständlich, in diesen Zeiten Skifahren zu dürfen.
Fahren Sie schon immer gerne Ski oder ist das eine neuentdeckte Leidenschaft?
Helmes: Als Kind bin ich sehr oft mit meiner Familie in den Skiurlaub gefahren, während meiner Zeit als Profi habe ich es gelassen. Meine Klubs haben es mir nicht verboten, aber ich wollte das Risiko nicht eingehen. Wobei eigentlich alles im Leben ein Risiko ist: Meinen ersten Kreuzbandriss habe ich mir beispielsweise bei einem privaten Fußballspiel zugezogen.
Was wussten Sie vor Ihrem Wechsel von der Admira?
Helmes: Als ich im Februar 2020 mit meiner U15 von Bayer Leverkusen ein spielfreies Wochenende hatte, habe ich mit meiner Frau eine kleine Österreich-Reise gemacht. Ich wollte den österreichischen Fußball kennenlernen und Kontakte pflegen. In Wien habe ich mich mit meinem ehemaligen Köln-Trainer Peter Stöger getroffen und das Spiel seiner Austria gegen Red Bull Salzburg angeschaut. Zufälligerweise hat am Tag davor die Admira gegen Sturm Graz gespielt. Da bin ich dann mit meiner Frau auch hin, um weitere Eindrücke zu gewinnen. Zu diesem Zeitpunkt war es aber absolut noch nicht geplant oder davon auszugehen, dass ich letztlich bei der Admira landen werde.
Wie kam das Engagement dann zustande?
Helmes: Genau wie mit anderen ehemaligen Trainern von mir wie Peter Stöger oder Bruno Labbadia habe ich nach meinem Karriereende auch mit Felix Magath (Leiter von Flyeralarm Global Soccer, das Anteile an der Admira besitzt, Anm. d. Red.) den Kontakt gehalten. Wir haben uns oft darüber ausgetauscht, wie ich über den Fußball denke und wie ich ihn lehre. Offenbar hat ihm das gefallen und so kam es dann sehr kurzfristig zum Engagement bei der Admira. Ich fand das Projekt spannend.
Über Flyeralarm Global Soccer hat die Admira eine Kooperation mit dem deutschen Zweitligisten Würzburger Kickers. Was sind die Ziele der Zusammenarbeit?
Helmes: In erster Linie kann es nur darum gehen, dass beide Profi-Mannschaften die Klasse halten. Langfristig geht es um die Entwicklung der Akademien, die letztlich voneinander profitieren sollen.
Inwiefern unterscheiden sich die beiden Akademien aktuell?
Helmes: Anders als Würzburg spielt die Admira mit ihren Jugendteams in den höchsten Klassen und hat in der Vergangenheit schon den einen oder anderen Spieler in den Profibereich gebracht. Eine Akademie kann man aber nicht wie eine Profimannschaft in einer Transferperiode kurzerhand verstärken, indem man neue, bessere Spieler holt und somit kurzfristig Dinge verändern will. Das muss über mehrere Jahre langfristig aufgebaut werden.
Wie läuft der Austausch zwischen den Klubs?
Helmes: Der Würzburger Akademieleiter Jochen Seuling schaut aktuell hin und wieder bei uns vorbei und arbeitet daran, dass Abläufe verbessert werden. Aktuell wird viel besprochen und diskutiert. Ich bin gespannt, wann die ersten richtungsweisenden Neuerungen präsentiert werden. Abgesehen von Seuling habe ich aus Würzburg nur mit Stefan Maierhofer (hier geht es zum Interview mit ihm) regelmäßigen Kontakt. Er ist Anfang Januar gewechselt und erzählt mir seitdem, was dort vonstattengeht.
gettyMagath fungiert als Leiter von Flyeralarm Global Soccer. Wie eng stehen Sie mit ihm in Kontakt?
Helmes: Im Sommer war Felix ein paar Mal vor Ort und hat sich auch die Spiele meiner Juniors (die Reservemannschaft in der drittklassigen Regionalliga Ost, in der der Spielbetrieb seit Monaten ruht, Anm. d. Red.) angeschaut. Wegen der Einreisebeschränkungen sind seine Besuche seitdem natürlich seltener geworden. Wir stehen in sehr regelmäßigem und offenem Austausch und bei Bedarf gibt er mir Denkanstöße.
Können Sie einen konkreten Denkanstoß nennen?
Helmes: Als Trainer kann es vorkommen, dass man zu voreilig handelt, Dinge zu schnell entscheiden will - aber hinter jeder Entscheidung stecken viele Konsequenzen. Felix hat mir beigebracht, mir bei gewissen Entscheidungen Zeit zu lassen und immer einen oder mehrere Schritte voraus zu denken. Das versuche ich seitdem umzusetzen und es klappt wirklich gut.
Nach dem Abschied von Trainer Zvonimir Soldo betreuten Sie die Admira-Profis im Oktober interimistisch für ein Spiel und verloren mit 0:5 gegen den SKN St. Pölten. Was lief da schief?
Helmes: Wir hatten eine sehr gute Trainingswoche. Das Ergebnis war nach diesen Eindrücken nicht zu erwarten. Wir lagen nach zwei Minuten 0:1 zurück, vergaben eine Riesenchance auf den Ausgleich, kassierten postwendend das 0:2 und dann ging es Schlag auf Schlag. Der Einbruch war der angeschlagenen mentalen Verfassung der Spieler und dem sehr unglücklichem Spielverlauf geschuldet. Das sogenannte Momentum sollte an diesem Tag nicht auf unserer Seite sein.
Magath kritisierte anschließend, dass Sie sich im Vorfeld kein Feedback geholt hätten.
Helmes: Nicht nur Felix kritisierte mich, sondern auch unser Sportdirektor Franz Wohlfahrt, der meinte, dass alles "Harakiri" gewesen sei. Er war während der gesamten Woche vor Ort und auch über alle unsere Pläne für das Spiel informiert. Wir haben in diesen Tagen zu 100 Prozent transparent gearbeitet. Mit Felix habe ich, wie bereits erwähnt, einen regelmäßigen Austausch. Auch in dieser Woche haben wir telefoniert, uns sogar getroffen und ich habe ihn über meine gesammelten Eindrücke informiert. Bei der Beurteilung von einzelnen Spielern und konkreten Trainingseindrücken habe ich mich gegenüber ihm bewusst zurückgehalten, um mir mit meinem Trainerteam einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Ich habe die elf Spieler aufgestellt, bei denen ich in der Trainingswoche die besten Eindrücke gesammelt habe. Die kritischen Aussagen am Tag nach dem Match kamen für mich dann doch sehr überraschend.
Worum ging es konkret?
Helmes: Es ging darum, dass ich den Innenverteidiger Emanuel Aiwu auf die Sechs gestellt habe - wo er mittlerweile sehr oft spielt - und, dass ich Nikola Pejovic, Phoenix Missi und Felix Kekoh zu den Juniors geschickt habe. Pejovic hat den Klub mittlerweile verlassen und die anderen beiden sind fix in meinem Juniors-Kader wiederzufinden. Außerdem wurde ich dafür kritisiert, dass ich Tomislav Tomic nicht in den Kader berief, aber er hatte in der Woche davor weit unter seinen Möglichkeiten trainiert. Andere Spieler haben mehr Gas gegeben. Der Höhepunkt war aber die Diskussion über den trainingsfreien Montag danach, an dem ich - anders als es von Vereinsseite dargestellt wurde -, nicht aus familiären Gründen in Deutschland war. Der Trainingsplan hatte klar vorgegeben, dass wir nach dem Match wie immer bei einer ganz normalen Spielwoche einen Tag frei haben. Ergebnisunabhängig nutze ich diesen Tag immer, um das Spiel mit meinem Trainerteam nochmals ohne Emotionen zu analysieren. Mit diesem Rhythmus habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Außerdem brauchen auch Profis Zeit mit ihren Familien, um solche Rückschläge zu verarbeiten. Die Mannschaft hatte alles versucht, aber sie konnte nicht so wie sie wollte.
Nach dem Spiel übernahm Damir Buric das Cheftraineramt. Hatten Sie insgeheim auf den Posten spekuliert?
Helmes: Es war klar ausgemacht, dass ich nur Interimstrainer bin. Wenn du das Spiel gewinnst, ist es aber natürlich eine ganz andere Ausgangslage. Wahrscheinlich hat das 0:5 die Suche nach einem neuen Trainer eher beschleunigt. (lacht)
Bei Würzburg und der Admira gab es in den vergangenen Monaten etliche Trainerwechsel. Finden Sie, dass Trainer generell zu wenig Zeit bekommen?
Helmes: Es ist schon eine eigenartige Entwicklung bei vielen Vereinen, wie schnell Trainer entlassen werden. Besonders befremdlich finde ich aber auch die Entwicklung, dass Trainer heute hier geschmissen werden und morgen bei einem Konkurrenten unterschreiben. Letztlich muss aber jeder für sich entscheiden, ob er das cool findet oder eben nicht.
Sie wurden noch nie entlassen. Fürchten Sie sich vor dem ersten Mal?
Helmes: Selbst die besten Trainer werden irgendwann entlassen, also muss man sich damit beschäftigen. Mit einem langjährigen Bundesliga-Trainer habe ich mich mal über dieses Thema sehr intensiv unterhalten. Er hat mir erzählt, wie fertig ihn eine Entlassung macht. Ich hoffe, dass ich möglichst lange davon verschont bleibe. Aber irgendwann wird es wohl auch mich erwischen.
Wollen Sie langfristig Cheftrainer einer Profimannschaft werden?
Helmes: Obwohl wir in der höchsten Amateurliga spielen, sehe ich meine Juniors als Profis an. Zumindest gehe ich mit den Spielern wie mit Profis um. Aber natürlich ist es mein Ansporn, später höher zu trainieren. Ich bin 37 und erst seit sechs Jahren Trainer, es bleibt also noch viel Zeit. Genau wie man als Spieler über mehrere Jahre Leistung nachweisen muss, um nach oben zu kommen, sollte man das als Trainer auch.
Nach Engagements als Cheftrainer der Reserve des 1. FC Köln und Co bei Rot-Weiß Erfurt arbeiteten Sie zwei Jahre lang in der Akademie von Bayer 04 Leverkusen. Warum?
Helmes: Ich wollte auch den Nachwuchsbereich kennenlernen. Im ersten Jahr habe ich meinen Fußballlehrer gemacht und mir alles parallel angeschaut. Im zweiten Jahr gemeinsam mit einem zweiten Cheftrainer die U15 trainiert. Es ist nicht einfach, wenn zwei Trainer gleichzeitig ihre Ideen vom Fußball implementieren wollen, egal wie wieviel sie sich miteinander austauschen. Gleichzeitig hat sich bei mir immer mehr herauskristallisiert, dass ich zurück in den Herrenbereich will.
Im Januar 2020 wechselte Florian Wirtz von Köln nach Leverkusen. Wie haben Sie seinen Werdegang verfolgt?
Helmes: Zum ersten Mal wahrgenommen habe ich Flo während meiner Zeit als Trainer der Kölner Reserve. Damals hatte er viel mit Verletzungen zu kämpfen. Als er 2019 mit der Kölner B-Jugend im Finale gegen Borussia Dortmund Deutscher Meister wurde, war ich im Stadion. Flo war mit Abstand der beste Spieler auf dem Platz. Köln hat ihm danach vielleicht den falschen Weg aufgezeigt. Leverkusen bietet Flo ein sehr gutes Umfeld, um sich an die Bundesliga anzupassen. Das wäre beim Überlebenskampf in Köln sicherlich schwieriger gewesen.
Was zeichnet ihn Ihrer Meinung nach aus?
Helmes: Flo hat eine wahnsinnige Spielübersicht und löst Situationen instinktiv richtig. Das ist eine besondere Gabe, über die auch Kai Havertz verfügt.
Wie beurteilen Sie seine Entwicklung in der Bundesliga?
Helmes: Bisher präsentiert er sich trotz seines jungen Alters sehr stabil. Aber auch bei ihm wird sich ein Alltag einstellen und alles etwas schwerfälliger. Die Erwartungen werden hochgeschürt und es gilt, die ersten Eindrücke zu bestätigen. Es gibt genügend Spieler, die genau damit ihre Probleme hatten. Aber er wird das schaffen.
IMAGO / GEPA picturesAbschließend zu einem traurigen Thema: Als sich in Wien Anfang November ein tragischer Terroranschlag ereignete, waren Sie nur wenige Meter entfernt. Können Sie die Erlebnisse schildern?
Helmes: Ich war mit meiner Frau und meinen Kindern in einem Restaurant in der Nähe des Schwedenplatzes 30 Meter von dem Ort des Attentats entfernt essen. Als der Laden auf einmal schlagartig voller wurde, dachten wir zuerst, dass es sich um eine Überraschung handelt für eine Geburtstagsparty, die am Nachbartisch zugange war. Plötzlich wurde es aber immer hektischer und Leute schrien: "Draußen wird geschossen!" Alle Gäste sind wild durcheinander gerannt und haben nach Verstecken gesucht.
Wie ging es weiter?
Helmes: Wir haben uns zwei Stunden lang in einem Müllraum verschanzt, dann lagen wir in der Küche und zum Schluss unter den Tischen. Während wir uns versteckt haben, hat die Polizei-Sondereinheit WEGA den Laden gestürmt und besetzt. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon jegliches Zeitgefühl verloren. Insgesamt waren wir siebeneinhalb Stunden in dem Restaurant, von halb sieben bis zwei Uhr in der Nacht. Dann wurde Entwarnung gegeben und der Laden nach und nach evakuiert. Weil wir die einzigen Gäste mit Kleinkindern waren, durften wir als Erstes raus. Mein Team-Manager, der auch dabei war, hat uns dann heimgefahren.
Was ging Ihnen in diesen Momenten durch den Kopf?
Helmes: Das Gefühl ist schwer zu beschreiben. Man funktioniert, weil man seine Kinder schützen will. Interessant zu beobachten war es, wie sich Menschen mit Todesangst verhalten: Als Eltern haben sich meine Frau und ich als erstes um unsere Kinder gekümmert. Alle anderen haben natürlich nur versucht, sich selbst zu schützen.
Wie gingen Sie in den darauffolgenden Wochen mit den Erlebnissen um?
Helmes: Wir waren einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Die Gedanken an diesen Tag fühlen sich weiterhin völlig surreal an. Sie werden immer nur dann real, wenn wir am Schwedenplatz vorbeikommen und all die Kreuze und Kerzen und Blumen sehen. Zum Glück ist uns nichts passiert und wir sind mit dem Schrecken davongekommen.