Warum haben sich 2018 die Wege von Guardiola und Ihnen getrennt?
Torrent: Es war ein riesiges Privileg, mit und für Pep zu arbeiten. In elf Jahren haben wir alles gewonnen, was es im Vereinsfußball zu gewinnen gibt. Dann hat sich für mich die Chance ergeben, in New York zu arbeiten. Ich wollte sie mir nicht entgehen lassen. Und Pep hat mich auch darin bestärkt, diesen Schritt zu machen.
Hat sich der Schritt in die USA für Sie ausgezahlt?
Torrent: Ohne jeden Zweifel. Ich habe sehr viel über den Fußball in den USA gelernt. Und in einer Metropole wie New York zu leben, war für meine Frau und ich schon immer ein Traum.
Wie fällt Ihre sportliche Bewertung aus?
Torrent: Ebenfalls positiv. Wir haben mit 64 Punkten in der MLS und der Qualifikation für die CONCACAF-Champions-League die beste Saison der Geschichte des FC New York City hingelegt. Die Entwicklung der Mannschaft war absolut zufriedenstellend. Für mich war nach einem Jahr aber relativ schnell klar, eine neue Liga kennenlernen zu wollen.
Sie sind nach Brasilien gegangen. Nach drei Monaten hat Sie Flamengo aber schon wieder entlassen. Warum?
Torrent: In Brasilien laufen die Dinge anders als in Europa. Man hat dort keine Geduld mit Trainern. Wenn Sie sich die Statistiken ansehen, stellen Sie fest, dass die Klubs in Brasilien alle drei bis vier Monate den Trainer wechseln. Das gehört dort leider zur Normalität. Und mit sportlichen Gründen hat das in der Regel eher wenig zu tun.
Auch in Ihrem Fall?
Torrent: Ja. Wir waren zum Zeitpunkt meiner Entlassung in der Liga nur einen Punkt hinter dem Tabellenführer, standen im Viertelfinale des nationalen Pokals und führten unsere Gruppe in der Copa Libertadores an - und das alles in einer Phase, in denen uns etliche Spieler wegen Corona nicht zur Verfügung standen. Einmal hatten wir 19 positive Fälle. 19! In Europa wäre das Spiel abgesagt worden. Wir mussten trotzdem spielen - von unseren elf Spielern auf dem Platz waren nur drei Profis.
Torrent: "Die einen wollten Dome, die anderen Klopp"
Hatten die Verantwortlichen dafür kein Verständnis?
Torrent: Flamengo ist mit 40 Millionen Anhängern der größte und wichtigste Klub in Südamerika. Verlierst du ein Spiel, ist alles eine Katastrophe. Die Verantwortlichen hatten unterschiedliche Vorstellungen. Die einen wollten Dome als Trainer, die anderen Jürgen Klopp oder sonst wen. So läuft das in Brasilien eben. Mein Trainerteam und ich wussten das nicht, als wir dorthin kamen. Uns war aber schon nach ein paar Wochen klar: Wenn wir ein, zwei Spiele verlieren, sind wir weg.
Bereuen Sie den Wechsel nach Brasilien?
Torrent: Nein, Flamengo ist ein wunderbarer Klub mit wunderbaren Fans. Und auch die Mannschaft ist mir ans Herz gewachsen.
Seit Ihrer Entlassung ist fast ein halbes Jahr vergangen. Haben Sie sich eine kleine Auszeit vom Fußball genommen?
Torrent: Warum sollte ich? Ich liebe Fußball. Und in Corona-Zeiten schaue und analysiere ich sowieso noch mehr Spiele als sonst. Zwei bis drei am Tag.
Welche Ligen und Mannschaften verfolgen Sie am liebsten?
Torrent: Ich interessiere mich für alle europäischen Top-Ligen. Bei meinen Ex-Klubs schaue ich natürlich genau hin. Ich verpasse fast kein Spiel von Barca, Bayern und City. Aber einen Favoriten habe ich nicht. Ich schaue mir auch gerne Spiele von Mannschaften an, die etwas unter dem Radar laufen, aber den Fußball spielen, den ich liebe. Mannschaften, die nicht nur spielen, um zu gewinnen, sondern um eindrucksvoll zu gewinnen. Mannschaften, die den Ball haben wollen.
Torrent: "Das ist vor allem Peps Vermächtnis"
Können Sie ein Beispiel nennen?
Torrent: Bayer Leverkusen hat mir unter der Leitung von Peter Bosz sehr gefallen. Schade, dass er entlassen wurde.
Die Folge eines krassen Leistungseinbruchs in der Rückrunde.
Torrent: Ja, im Fußball zählen letzten Endes die Ergebnisse. Aber Mannschaften, die nur auf Ergebnisse spielen, schaue ich mir gar nicht mehr an. Das ist nicht attraktiv für den Zuschauer, der Zuschauer will unterhalten werden. Deshalb ist mir das "Wie" so wichtig. Und deshalb mag ich Bosz' Philosophie. Sauber hinten rauszuspielen und hoch zu verteidigen - das ist auch das, was ich in New York oder bei Flamengo habe spielen lassen. Und das, was Pep seit Beginn seiner Trainerkarriere spielen lässt.
Dank Johan Cruyff.
Torrent: Genau. Cruyff hat uns inspiriert. Aber ohne Pep wäre seine Philosophie nicht so in Mode gekommen. Vor 15 Jahren war es nicht normal, einen mitspielenden Torhüter zu haben. Heute wollen alle einen mitspielenden Torhüter. Das habe ich nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und Brasilien gemerkt: Kaum eine Mannschaft will mehr den Ball hinten rausbolzen, sondern das Feld mit technisch starkem Kombinationsspiel überbrücken. Das ist vor allem Peps Vermächtnis, er hat diese Entwicklung maßgeblich vorangetrieben. Leider wird seine Idee von Fußball oft missverstanden.
Inwiefern?
Torrent: Viele denken, es ist damit getan, wenn ich den Ball vom Torwart zum Innenverteidiger, vom Innenverteidiger zum Außenverteidiger und vom Außenverteidiger zurück zum Torwart spiele. So einfach ist es nicht. Es geht nicht um Ballbesitz allein, denn es ist weder schön noch Erfolg versprechend, den Ball ohne Raumgewinn im ersten Drittel zirkulieren zu lassen. Die Kunst ist, das Mittelfeld zu dominieren und den Ball durch die Zwischenräume ins letzte Drittel zu bringen. Dafür brauche ich ein gutes Positionsspiel. Ob ich 4-4-2, 4-3-3 oder 3-4-3 spielen lasse, ist nicht entscheidend. Das System spielt keine Rolle, weil es sich mit gutem Positionsspiel - gerade im Mittelfeld und Angriff - sowieso immer wieder während eines Spiels verändert. Was zählt, ist der Plan. Und die Bereitschaft meiner Spieler, diesen umzusetzen.
Torrent: "Ein gutes Positionsspiel ist die Basis"
Trotzdem steht Guardiolas Fußball auch dafür, den Gegner mit möglichsten vielen Pässen müde zu spielen. Das Tiki-Taka.
Torrent: Auch das halte ich für ein Missverständnis. Wenn Sie einen Spieler des FC Bayern fragen, was wir in den drei gemeinsamen Jahren am häufigsten trainiert haben, wird die Antwort "Gegenpressing-Momente" lauten. Pep geht es darum, den Ball zu haben. Hat er ihn nicht, will er, dass der Ball schnell erobert wird und die Mannschaft ohne große Umwege zum gegnerischen Tor und zum Abschluss gelangt. Er sagt seinen Spielern nicht, dass sie erst einmal hintenrum spielen sollen. Nur, wenn der Gegner zu gut gestaffelt steht, ist es aus seiner Sicht besser, geduldig zu bleiben und den Gegner mit kontrolliertem Passspiel müde zu machen. Ich teile diese Sicht. Lieber lasse ich den Ball im Mittelfeld flach von der einen bis zur anderen Seite laufen, anstatt ihn hoch nach vorne zu spielen, weil ich mir dann sicher sein kann, dass ich weiter im Besitz des Balles bleibe und ihn nicht zurückerobern muss. Bei hohen Bällen stehen die Chancen eigentlich immer 50 zu 50, dass ich den Ball verliere. Warum also dieses Risiko eingehen und nicht geduldig bleiben, bis eine Lücke da ist und ich dann in die Tiefe kommen kann?
Trainer, die eine andere Philosophie verfolgen, würden Ihnen jetzt sicher entgegnen: Man überbrückt mit hohen Bällen schneller das Spielfeld und hat die Chance, über gewonnene zweite Bälle rasch in die Nähe des gegnerischen Strafraums zu gelangen.
Torrent: Ich komme schon oft genug in Strafraumnähe, wenn ich Spieler habe, die sich gut bewegen - vor allem in den Zwischenräumen. Auch Pep hat seinen Spielern immer klar gemacht: "Wenn sich eine Lücke auftut, spielt in diese Lücke. Ansonsten lasst euch Zeit." Grundsätzlich muss ich natürlich immer das Ziel verfolgen, die Linien zu durchbrechen, sonst ist meine Aussicht auf Erfolg gering. Ein gutes Positionsspiel ist die Basis. Dann brauche ich - in der Regel - auch keine hohen Bälle.
Es hängt auch immer von den Spielern ab, die einem zur Verfügung stehen.
Torrent: Genau. Bei Bayern konnten wir ab und zu auch mal einen höheren Ball spielen, weil wir vorne Robert Lewandowski hatten. Bei Barca hatten wir Leo Messi, den spielst du nicht hoch an. Jede Mannschaft hat nun einmal unterschiedliche Spielertypen. Unser Bayern war auch anders als unser Barca, weil wir physisch stärkere Spieler hatten, die das Spielfeld noch etwas schneller überbrückt haben als Spieler wie Xavi, Iniesta oder Busquets. Es war ein Genuss, mit solchen Mannschaften zu arbeiten.