Zwischen Ihrem Abschied aus Barcelona 2003 und dem Dienstantritt beim FC Bayern 2009 haben Sie nicht mit van Gaal zusammengearbeitet. Warum?
Jonker: Louis hat danach bei Ajax das Amt des technischen Direktors übernommen und mir direkt gesagt, dass er für mich niemanden wegschicken kann. Als er 2005 Trainer von AZ Alkmaar wurde, wollte er mich wieder als Co-Trainer holen. Da war ich aber bei MVV Maastricht, wo es mir gut gefallen hat. Später ging ich zu Willem II Tilburg. Beim Angebot des FC Bayern konnte ich genau wie damals bei Barcelona nicht absagen.
Van Gaals Amtszeit gilt beim FC Bayern in Sachen Spielkultur als Beginn der Moderne.
Jonker: Louis hat genau das gemacht, was er bei all seinen anderen Klubs auch gemacht hat. Er hat ein System spielen lassen, das bei eigenem Ballbesitz auf eine Raumvergrößerung durch schnelle, genaue Pässe ausgelegt ist. Bei Ballverlust sollte der Ball so schnell wie möglich zurückgewonnen werden. Die Spieler mussten sich erst daran gewöhnen, dass sie nicht nur gewinnen, sondern auch schönen Fußball spielen müssen. Irgendwann hat es funktioniert und wir haben fast jedes Spiel gewonnen. Jupp Heynckes meinte später zu mir, dass er Louis' Ansatz einfach weitergeführt hat. Und alle darauffolgenden Trainer haben das auch gemacht. Das ist schön zu sehen. Von Seiten des FC Bayern spüre ich bis heute große Dankbarkeit für unsere Arbeit. Wir haben ein anderes, ein schöneres Bayern geschaffen.
Während Ihrer Zeit beim FC Bayern schafften Holger Badstuber und Thomas Müller den Durchbruch.
Jonker: Vor der Saison haben sich Louis, Hermann Gerland und ich zusammengesetzt. Louis hat den Namen von jedem Spieler der Reservemannschaft vorgelesen, Hermann hat zu jedem etwas gesagt und ich habe mitgeschrieben. Irgendwann ist Louis bei Müller angekommen und Hermann sagte: "Er wird Nationalspieler." Louis wollte wissen, warum. Hermann meinte: "Weil er immer trifft - egal, wo er spielt." Dann hat er erzählt, dass er mit Uli Hoeneß eine Wette darüber laufen hatte, dass Müller Nationalspieler wird. Bei dieser Wette ging es nicht um zehn Euro, da ging es um einiges mehr. Bei Badstuber meinte Hermann wieder, dass er Nationalspieler wird. Louis hat wieder gefragt warum und Hermann meinte: "Weil er jeden Pass an den Mann bringt." Daraufhin hat Louis gefragt, ob er wegen Badstuber auch eine Wette mit Hoeneß laufen habe - und ja, das hatte er.
Wie eng war Ihr Verhältnis zu Uli Hoeneß?
Jonker: Bis zur Winterpause war er als Manager immer dabei, in der Rückrunde ist er als Präsident etwas auf Distanz zur Mannschaft und zum Trainerteam gegangen. Für mich war seine Anwesenheit am Anfang wichtig, weil er viel über die deutsche Gesellschaft und den deutschen Fußball weiß. Ich habe bei ihm oft nachgefragt, warum die Dinge hier so laufen, wie sie laufen.
Haben Sie ein Beispiel?
Jonker: Einmal habe ich Uli gefragt, warum er immer die besten Spieler der Bundesliga-Rivalen kauft, damals zum Beispiel Mario Gomez vom VfB Stuttgart. Er meinte, dass Bayern in solchen Fällen nicht verhandle, sondern immer das zahle, was der andere deutsche Verein wolle. Der jeweilige Klub würde das Geld dann in einen guten Ersatz und den Rest in die eigene Jugendarbeit stecken, was wiederum Bayern helfen würde, wenn der nächste gute Spieler von dem jeweiligen Klub geholt werde. Das fand ich eine schöne Erklärung.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit zwischen den Alphatieren Hoeneß und van Gaal erlebt?
Jonker: Prinzipiell gehört der FC Bayern dem FC Bayern. Die Verantwortlichen sind es gewohnt, die Kontrolle über alles zu haben. Dann kam auf einmal ein ausländischer Trainer, der auch alles bestimmen wollte. Natürlich war die Zusammenarbeit manchmal schwierig, natürlich sind Uli und Louis manchmal aneinandergeraten.
Haben Sie eine konkrete Szene im Kopf?
Jonker: Kurz nach seiner Ankunft kritisierte Louis, dass der Rasen nicht kurz genug gemäht sei. Er sagte: "Der muss kürzer werden." Daraufhin sind Uli und Kalle richtig böse auf ihn geworden. Sie meinten, dass noch kein Trainer jemals von Ihnen verlangt hätte, dass der Rasen kürzer sein sollte. Louis ist aber stur geblieben. Am Ende haben Sie den Rasen doch schneiden lassen.
Im Laufe der Saison 2009/10 spielte sich die Mannschaft in einen Rausch und holte beinahe das Triple. Wie viel von Ihren Ideen haben Sie in dem Fußball gesehen?
Jonker: Das kommt für die Öffentlichkeit vielleicht überraschend, aber ich habe schon einige meiner Ideen gesehen. Louis will die Meinungen von allen Mitarbeitern hören. Wenn man ihn mit Argumenten überzeugt, dann übernimmt er die Ideen seiner Assistenten - sowohl während der Trainingswoche, als auch während den Spielen.
Welche Idee von Ihnen wurde umgesetzt?
Jonker: Der damalige Kader war eigentlich auf ein 4-4-2 ausgelegt, Bastian Schweinsteiger dabei auf der rechten Außenbahn eingeplant. Während eines Testspiels haben wir ihn aber links auf der Doppelsechs getestet. Ich fand, dass er die Bälle dort mit seinem Körper gut abgedeckt und das Spiel mit seinen Pässen gut verlagert hat. Ich habe Louis darauf hingewiesen und ihn gefragt, ob wir das nicht längerfristiger testen sollten. Deshalb haben wir auf ein 4-3-3-System umgestellt, das wir die restliche Saison beibehalten haben: Müller auf der Zehn, dahinter Schweinsteiger und van Bommel. Es war ein schönes Gefühl, dass diese Idee umgesetzt wurde und so gut funktioniert hat. So oder so ähnlich lief es bei vielen Sachen.
Haben sich bei Ihnen mal Spieler über van Gaal beschwert?
Jonker: In der erfolgreichen Saison 2009/10 hatten wir eine kleine Gruppe von Spielern, die selten zum Einsatz gekommen sind und am Tag nach den Spielen immer mit Hermann und mir trainieren mussten: Pranjic, Braafheid, Altintop, Gomez, Ottl, Klose. Die Jungs haben richtig gut gearbeitet und sich nie beschwert. Louis hat vor der Mannschaft oft gesagt, wie wichtig diese Jungs für den Erfolg sind. Bei Ausfällen musste er auf sie vertrauen.
Weil Franck Ribery gesperrt fehlte, spielte im Champions-League-Finale beispielsweise Hamit Altintop. Welche Erinnerungen haben Sie an das 0:2 gegen Inter Mailand?
Jonker: Die haben genau so gespielt und die Tore genau so geschossen, wie wir es erwartet hatten. Es tut sehr weh, dass wir das nicht verhindern konnten. Wir waren die beste Mannschaft in Europa. Von zehn Spielen gegen Inter hätten wir mindestens sieben gewonnen.
In der darauffolgenden Saison ist die Mannschaft eingebrochen.
Jonker: Das kam nicht überraschend. Die Jungs hatten eine erfolgreiche Saison, dann eine WM gespielt und keine richtige Vorbereitung. Sie waren in keiner guten Verfassung, wirklich müde im Kopf und müde im Körper. Im Winter ging es wieder, aber da war es schon zu spät.