Karim Benzema steht nach durchaus beschwerlichen Jahren bei Real Madrid in der Blüte seines Schaffens. Der 33-Jährige bricht einen Rekord nach dem anderen, könnte endlich Torschützenkönig werden und ist jetzt schon eine der letzten großen Attraktionen der Liga.
Schon mal von Pahino gehört, im echten Leben Manuel Fernandez Fernandez? Von Enrique Castro Gonzalez, den alle Welt nur Quini nennt? Oder von Cesar Rodriguez Alvarez? Sie alle zitterten nun ein wenig vor Karim Benzema - wenn sie denn noch leben würden. Pahino, Quini, Cesar: Das sind die Spieler in der ewigen Torschützenliste der ersten spanischen Liga, die unmittelbar vor Benzema liegen - und die der Franzose sehr wahrscheinlich noch in dieser Saison allesamt überholen wird.
Am Mittwoch letzter Woche hat sich Karim Benzema mit einem Doppelpack gegen Real Mallorca unter die zehn besten Torjäger aller Zeiten in Spaniens Eliteklasse geschossen, er hat die 200-Tore-Marke durchbrochen und hört einfach nicht auf, Treffer an Treffer zu reihen und mit Real Madrid auch Sieg an Sieg.
Acht Tore und sieben Vorlagen waren es in den ersten sechs Ligaspielen, Statistiken wie diese war man in Spanien stets von Cristiano Ronaldo und Leo Messi gewöhnt. Aber die sind ja beide nicht mehr da, also übernimmt Benzema, mittlerweile auch schon 33 Jahre alt, kurzerhand deren Job als größte Attraktion der Liga.
Den des fleißigsten ausländischen Arbeitnehmers hat er sich ja im letzten Jahr schon gekrallt, als Benzema im Dezember Roberto Carlos und dessen 527 Spiele für Real Madrid pulverisiert hat. Mittlerweile sind es 566 Spiele ganz in Weiß und damit so viele wie Klublegende Santillana.
Benzema notorisch unterschätzt - und ausgepfiffen
Karim Benzema hat vier Mal die Champions League geholt und vier Mal die Klub-WM, er hat vier Mal die Ligue 1 gewonnen und drei Mal die spanische Meisterschaft. Und das sind jetzt nur die wichtigsten von insgesamt 28 Mannschaftserfolgen. Und dennoch blieb Benzema außerhalb des Real-Kosmos immer ein Unverstandener, ein notorische unterschätzter Spieler. Einer mit einem Phlegma so groß wie die Aura des Klubs, für den er spielt.
Selbst bei einigen der eigenen Fans war Benzema immer nur ein schöner Sidekick. Neben Raul, Ronaldo, Xabi Alonso, Kaka, Sergio Ramos oder Iker Casillas hatte Benzema zu Beginn seiner Zeit in Madrid nicht viel zu bestellen und selbst in Reals überaus erfolgreicher Zeit Mitte der Zehnerjahre fiel es Benzema schwer, in der öffentlichen Wahrnehmung den Stellenwert zu erlangen, den er sich verdient hatte.
Benzema wurde immer als braver Zulieferer gesehen, für Ronaldo, für Gareth Bale oder James Rodriguez. Ein Rollenspieler, der im Starensemble in erster Linie für die Mannschaft denkt und arbeitet. Und den die Gunst des Publikums nie verwöhnte, ganz im Gegenteil: Noch im Frühjahr 2018 wurde Benzema von den eigenen Fans gnadenlos ausgepfiffen, die Journalisten der großen spanischen Sportzeitungen forderten seinen Rauswurf.
Absolut unverzichtbar für Real Madrid
Seit Ronaldos Abgang einige Wochen später aber blüht Benzema förmlich auf. Seitdem hat er 30, 27 und wieder 30 Tore pro Saison geschossen, davor waren es an der Seite des allmächtigen CR7 nur 19 und einmal sogar nur zwölf Treffer. Spätestens mit der abgelaufenen Saison hat sich Benzema für Real Madrid auch offiziell in den Stand des unverzichtbaren Spielers geschossen. Fast im Alleingang hielt er seine meist biedere Mannschaft lange in der Champions League und im Rennen um die Meisterschaft. Und nun dieser Start in die neue Saison - die erste der Post-Messi-Ära. In einer um einige Größen ausgedünnten Liga ist er vielleicht der letzte verbliebene Superstar.
Vielleicht beflügelt den Spieler auch der Sprung fast ganz nach oben in der teaminternen Hierarchie. Benzema ist offiziell "nur" Vize-Kapitän - aber die anderen Granden Luka Modric oder Toni Kroos sind das eben nicht. Und weil der eigentliche Kapitän Marcelo derzeit erstens verletzt, zweitens auch im fitten Zustand kaum noch spielt und leider zu einem besseren Maskottchen zu verkommen droht, trägt Benzema stolz die Binde des größten Klubs der Welt in die Schlacht.
Unter seinem Landsmann Zinedine Zidane hat Benzema den Leistungssprung eingeläutet, mit dem neuen Trainer Carlo Ancelotti veredelt er diesen Zustand aktuell. Ancelottis großzügiger Stil lässt der Mannschaft viele Freiheiten, was insbesondere bei den Offensivspielern zu nachhaltigen Effekten führt. So haben Benzema und Vinicius Junior endlich zusammengefunden. Den Brasilianer hatte Benzema in der Vergangenheit immer auch mal öffentlich getadelt, nun scheinen die beiden die besten Freunde der Welt.
Endlich die Chance auf die Torjägertrophäe
Jedenfalls ist Vinicius nun der Zulieferer für Benzema, der Bezema seinerzeit für Ronaldo oder Bale war. Seine Rolle hat sich verändert, Benzema ist keine reine Arbeitsbiene und Teilzeit-Torjäger mehr, er ist die wichtigste Figur in Real Madrids Offensivspiel. Kein Rädchen mehr im großen Real-Stellwerk, sondern der Fixpunkt - und erstmals auch der große Favorit auf den "Pichichi", die Torjägerkanone in La Liga.
In den letzten zwölf Jahren teilten sich Ronaldo und Messi die Torjägerkanone in Spanien auf, einmal funkte Luis Suarez dazwischen. Benzema hatte über ein Jahrzehnt nie den Hauch einer Chance, auch nur in die Nähe der Außerirdischen zu gelangen. Nun scheint der Weg aber frei: Ronaldo und Messi sind nicht mehr da und Suarez dürfte es mit Atleticos Spielweise schwer haben, deutlich über die 20-Tore-Marke zu klettern.
Karim Benzema hat in den letzten Zügen seiner Karriere die Kurve hin zur absoluten Weltspitze bekommen, aktuell dürfte es jedenfalls keinen besseren Torjäger geben als ihn und Bayerns Robert Lewandowski. Und Benzema hat ja noch ein paar Dinge zu erledigen: Die Torjägerkanone soll es bitteschön in der Liga sein und natürlich der Meistertitel mit Real. Und auch das latent schwierige Kapitel mit der französischen Nationalmannschaft könnte doch noch ein Happy-End nehmen.
Nach einigen Eskapaden, der unsäglichen Sex-Tape-Affäre, der Prozess um Sex mit einer minderjährigen Prostituierten oder dem öffentlich ausgetragenen Streit mit Didier Deschamps und dem französischen Verband inklusive einer Rassismus-Debatte ist Benzema zurück im Kreis der Equipe Tricolore. Rund sechs Jahre war er verbannt, verpasste deshalb auch den WM-Triumph 2018. Benzema hat noch einiges aufzuholen - aber eben auch nicht mehr allzu viel Zeit.