Es sind Zahlen, wie es sie in der Welt des Fußballs in diesem Zusammenhang noch nie gegeben hat: Für seine Vertragsverlängerung kurz vor Auslaufen des Kontrakts bei Paris Saint-Germain kassierte Kylian Mbappe ein kolportiertes Handgeld in Höhe von 300 Millionen Euro. Mit-Interessent Real Madrid hatte dem Vernehmen nach nur rund 130 Millionen Euro geboten.
Mbappes Vertragsverlängerung ist der vorläufige Höhepunkt einer interessanten Entwicklung: Top-Stars verlängern ihre Verträge oftmals nicht mehr vorzeitig, sondern lassen es letztlich auf ein Handgeld-Wettbieten unter den Interessenten ankommen. Vereinzelt führt das wie bei Mbappe zu einer späten Vertragsverlängerung, meist aber zu einem ablösefreien Transfer. Wie bei Gianluigi Donnarumma, David Alaba oder Antonio Rüdiger, bald auch Paul Pogba und Paulo Dybala und nächstes Jahr womöglich Serge Gnabry.
Michael Reschke erkennt diesbezüglich zwar "noch keine allgemeine Strategie", wie er im Gespräch mit SPOX und GOAL erklärt: "Aber ganz klar: In Einzelfällen wird es angestrebt, einen Vertrag auslaufen zu lassen, um vom neuen Klub ein hohes Handgeld zu kassieren." Reschke arbeitete einst jahrelang in verschiedenen Positionen für Bayer Leverkusen, den FC Bayern München, den VfB Stuttgart und den FC Schalke 04, ehe er zur Berateragentur Stellar wechselte.
Handgelder werden zu den neuen Ablösesummen
Handgelder gab es zwar immer schon, stiegen durch diese Entwicklungen aber enorm an und werden so gewissermaßen zu den neuen Ablösesummen. Letztlich handelt es sich dabei um Geld, das der neue Arbeitgeber ansonsten nicht dem Spieler, sondern dem abgebenden Klub entrichten würde.
Anders als Ablösesummen verlassen Handgelder den Fußball-Zyklus. Sie landen auf den Konten der Spieler sowie ihrer Berater und kommen nicht mehr zurück, was in der Branche durchaus Besorgnis auslöst. Langfristig könnte diese Entwicklung zur Gefahr werden, weil Ausgaben bleiben und Einnahmen wegfallen.
"Es ist ein Riesenproblem für die Klubs, dass immer mehr Spieler ablösefrei wechseln und das Geld zu ihnen wandert", klagte der Geschäftsführer von Borussia Dortmund Hans-Joachim Watzke in der Bild. Trainer Ralph Hasenhüttl vom FC Southampton sagte dem kicker: "Damit habe ich ein Riesenproblem, das sage ich ganz ehrlich, weil dieses Geld dem Fußball verloren geht."
Die Macht der Spieler nimmt kontinuierlich zu
Wie kam es zu dieser Entwicklung? Einerseits passt sie zum generellen Fußball-Zeitgeist. Die Macht der Spieler nimmt kontinuierlich zu, die der Klubs dadurch gleichzeitig ab. Ein Auslöser dessen war das Bosman-Urteil von 1995, wonach ablösefreie Transfers nach Vertragsende legal sind. Angetrieben wurde die Machtverschiebung seitdem sicherlich auch durch das Aufkommen der sozialen Medien, wodurch sich die Stars ihren Fans auf aller Welt (schein-)greifbar machen konnten und der Kult um sie zunahm.
Viele junge Fußball-Interessierte definieren sich heutzutage in erster Linie als Fans einzelner Stars, nicht mehr ihrer Arbeitgeber. Die Treue zum Spieler scheint mittlerweile oftmals größer als die zum Klub. Bei den Top-Stars führte das zu einem neuen Selbstverständnis. Sie wissen mittlerweile ganz genau, wie angewiesen die Klubs auf sie sind. Geht ein Star, geht mit ihm nicht nur ein herausragender Fußballer, sondern auch eine Fan-Schar. Oder: Trikot-Käufer und Social-Media-Follower.
Obwohl diese Entwicklung schon seit Jahren zu beobachten ist, setzte das Vorgehen, Verträge auslaufen zu lassen, um ein Handgeld-Wettbieten auszulösen, in dieser ausgeprägten Form erst kürzlich ein. Unverschuldet haben die Klubs daran sogar entscheidenden Anteil. "Als Corona aufkam, war die wirtschaftliche Situation für die Vereine so schwer einschätzbar, dass Verträge unter seriösen wirtschaftlichen Überlegungen schwer oder kaum verlängert werden konnten", erklärt Reschke. "Nicht einmal mit Spielern, von denen ein Klub völlig überzeugt war und mit denen man bereits in fortgeschrittenen Verhandlungen war."
Relativ unverhofft erlebten viele Stars und ihre Berater in Folge dessen, was bei Vertragsende so alles passieren kann und geboten wird - theoretisch möglich gewesen wäre ihnen dieses Vorgehen bei der längst etablierten Machtstellung aber auch schon davor.