Abstieg mit dem FC Schalke 04, Suspendierung beim FC Ingolstadt: Nassim Boujellab hat schwierige Zeiten hinter sich. Aktuell rehabilitiert er sich in Helsinki, wo ihn SPOX und GOAL zum Interview trafen. Der 23-jährige Mittelfeldspieler erzählt vom durchtrainierten Norbert Elgert, von der Fan-Attacke auf die Schalker Mannschaft und seiner FIFA-Leidenschaft.
Herr Boujellab, Sie spielen seit vergangenen Winter per Leihe bei HJK Helsinki in Finnland. Wie sind Ihre bisherigen Eindrücke?
Nassim Boujellab: Auf der Straße haben mich bisher mehr Schalke- als Helsinki-Fans angesprochen: mindestens 20 Schalker, aber nur ein Finne. Fußball ist hier deutlich unwichtiger als beispielsweise Eishockey. Wir sind die beste Mannschaft Finnlands, das Niveau der Liga ist aber kein Vergleich zur Bundesliga.
Wie kam der Wechsel nach Finnland zustande?
Boujellab: Anfang der vergangenen Saison hat mich Schalke nach Ingolstadt verliehen. Dort lief es aus unterschiedlichen Gründen leider nicht, wie es sich alle Parteien vorgestellt haben. Deswegen habe ich den Klub im Winter verlassen. Als diese Entscheidung getroffen wurde, war das Transferfenster in Deutschland aber nur noch wenige Tage offen. Weil meine sportliche Perspektive auf Schalke nicht optimal war, haben wir uns nach Alternativen umgeschaut. Als mich meine Berater über die mögliche Option Helsinki informierten, habe ich sofort zugeschlagen. Sportlich gesehen war der Wechsel für mich möglicherweise ein halber Schritt zurück, aber das Wichtigste ist durch Spielpraxis wieder zwei Schritte nach vorne zu machen.
Was ist in Ingolstadt genau vorgefallen? Der Klub hatte Sie nach eigener Auskunft wegen "wiederholten Verstößen gegen klub- und mannschaftsinterne Regeln" suspendiert.
Boujellab: Der Trainer hatte mich als seinen absoluten Wunschspieler verpflichtet, und anfangs kam ich auch zu meinen Einsätzen. Als sich die sportliche Situation jedoch zuspitzte, durfte ich auf einmal nicht mehr spielen. Rückblickend habe ich mir auch einige Dinge anzukreiden, die ich heute anders handhaben würde. Die Zeit in Ingolstadt war schwierig für meinen Kopf. Am Ende kann ich aber auf jeden Fall sagen, dass sie mich persönlich extrem weitergebracht hat. Meine Frau, meine Eltern und mein Berater haben mir dabei sehr geholfen.
Wie hat Schalke auf die Vorfälle in Ingolstadt reagiert?
Boujellab: Sie hätten mich fallen lassen können, aber genau das Gegenteil ist passiert. Asa (Gerald Asamoah, Anm. d. Red) und Mike (Büskens, Anm. d. Red.) haben lange mit mir über die Gründe gesprochen. Sie haben immer ein offenes Ohr für mich. Ich würde behaupten, dass ich zu Asa und Mike eine speziellere Beziehung habe als andere Spieler. Wir drei leben für Schalke, das verbindet. Seit meinem Abschied vor einem Jahr ist es mein größtes Ziel, zu Schalke zurückzukehren. Ich liebe den Verein und würde am liebsten mein restliches Leben bei Schalke verbringen.
Nassim Boujellab: Seine bisherige Profi-Karriere
Saison | Klub | Pflichtspiele | Tore | Assists |
2018/19 | FC Schalke 04 | 8 | - | 1 |
2019/20 | FC Schalke 04 | 13 | - | - |
2020/21 | FC Schalke 04 | 13 | 1 | - |
2021/22 | FC Ingolstadt 04 | 8 | - | - |
2022 | HJK Helsinki | 18 | 1 | - |
Gerald Asamoah fungiert bei Schalke als Leiter des Lizenzbereichs. Wie tickt er?
Boujellab: Asamoah liebt Menschen, die das Beste aus sich herausholen. Ob er dich wirklich mag, zeigt er anfangs aber nicht. Ich habe mich oft gefragt: Mag er mich? Mag er mich nicht? Besonders in Erinnerung geblieben ist mir ein Gespräch mit ihm, als ich nach meinen ersten Profieinsätzen zur Reserve zurückgestuft wurde. Ich hatte damals ein sehr gutes Angebot von Bochum, das ich annehmen wollte. Doch dann kam Asa auf mich zu und hat gesagt: "Bleib hier! Du wirst hier Profi! Du schaffst das!" Ich habe auf Asa gehört und habe es geschafft. Ich habe ihm viel zu verdanken, genau wie meinen ehemaligen Trainern Mike, Huub Stevens, Torsten Fröhling, Frank Fahrenhorst und Norbert Elgert.
Norbert Elgert gilt als der Talente-Entwickler schlechthin. Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Zeit mit ihm denken?
Boujellab: Wenn du nicht umsetzt, was er von dir fordert, dann spielst du keine Sekunde. Einmal hat er mir gesagt, dass ich körperlich stärker werden soll. Deshalb bin ich vor und nach jedem Training wie ein Verrückter ins Gym gegangen. Er selbst kam regelmäßig vorbei - und hat immer mehr Klimmzüge geschafft als ich und alle anderen Spieler. Du willst natürlich nicht schwächer sein als dein Trainer und arbeitest deswegen umso härter. Er ist ein super Vorbild. Wenn ich eines Tages in diesem hohen Alter noch so einen Körper habe, bin ich mit meinem Leben sehr zufrieden. Ich hatte schon viele Trainer, aber keiner war körperlich fitter als er.
In der Saison 2020/21 sind Sie mit Schalke aus der Bundesliga abgestiegen. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
Boujellab: Das war die härteste Zeit meiner Karriere, deutlich schlimmer als Ingolstadt. Wir haben immer Vollgas gegeben, aber wieder und wieder verloren. Jeder wollte helfen, aber nichts hat funktioniert. Es war unbegreiflich. Unsere Führungsspieler Benjamin Stambouli, Matija Nastasic, Mark Uth und Sead Kolasinac haben permanent versucht, zu pushen. Aber man hat gemerkt, dass es ihnen zunehmend schwerer fiel. Alle waren richtig sauer und aggressiv, was sich im Training gezeigt hat.
Inwiefern?
Boujellab: Unsere Aggressionen mussten irgendwo raus. Wenn man sie im Spiel rauslässt, kriegt man eine Rote Karte. Deswegen haben wir uns im Training gegenseitig richtig gefetzt. Es war schwierig, mit diesen Emotionen umzugehen.
Den Fans ging es wohl ähnlich: Nach einer Niederlage bei Arminia Bielefeld haben einige die Mannschaft bei der Rückkehr vor der Arena tätlich angegriffen.
Boujellab: Ich bin sehr dankbar, dass ich zu der Zeit verletzt und nicht dabei war. Diese Vorfälle wünsche ich keinem. Der Frust der Fans war für uns alle absolut nachvollziehbar, kann und darf jedoch nicht die Gewalt an uns Spieler und Verantwortliche rechtfertigen. Ich kann jedem Schalker Fan garantieren, dass mein blau-weißes Herz in dieser Zeit extrem gelitten hat.
Wie wurde mannschaftsintern mit den Vorfällen umgegangen?
Boujellab: Am nächsten Tag haben wir in der Kabine lange darüber gesprochen. Alle hatten unglaublich Angst davor, was noch passieren könnte. Man hat gemerkt, dass diese Erlebnisse nicht spurlos an einem vorbeigehen. Wir hatten viele Spieler, für die Schalke eine Herzensangelegenheit ist. Für sie war es umso emotionaler. Wir hatten jedoch einen sehr guten Psychologen, der uns geholfen hat. Wir haben die Situation gemeinsam gemeistert. Nicht jeder Spieler wäre bereit dazu, das zu verdrängen und weiter alles für den Verein zu geben. Das muss man dieser Mannschaft hoch anrechnen.
imago imagesWarum haben Sie den Klub nach dem Abstieg verlassen?
Boujellab: Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gerne ich bei der Mission Wiederaufstieg mitgeholfen hätte. Aber der Klub wollte mich verleihen. Das musste ich so akzeptieren, ich hatte keine andere Wahl.
Wie haben Sie den Wiederaufstieg und die anschließenden Feierlichkeiten miterlebt?
Boujellab: Am liebsten wäre ich hingeflogen, doch das ging aus zeitlichen Gründen leider nicht. Stattdessen hat mich Malick (Thiaw, Anm. d. Red.) via Facetime angerufen: So war ich auch mit dabei. Ich habe alle Eindrücke vom Feld und der Kabine miterlebt.
War es schwierig, mit womöglich den gleichen Fans zu feiern, die ein Jahr zuvor Spieler körperlich attackiert haben?
Boujellab: Schalke ist einfach verrückt, das zeichnet den Klub aber auch aus. Wenn ich hier in Finnland jemandem erzähle, was beim Abstieg und dann beim Aufstieg abgegangen ist, glaubt mir das keiner. Ich hätte bei der Aufstiegsfeier auch mit den gleichen Fans gejubelt, die damals die Mannschaft attackiert haben, als wäre nichts gewesen.
Sie haben im November 2020 drei Länderspiele für Marokko absolviert, wurden seitdem aber nicht mehr berufen. Sehen Sie noch Chancen auf einen Platz im WM-Kader?
Boujellab: Auf jeden Fall. Ich stehe in Kontakt mit dem marokkanischen Verband. Sie verfolgen meinen Werdegang genau.
Sie wurden in Deutschland geboren, spielen aber für das Land Ihrer Vorfahren. Warum?
Boujellab: Eigentlich wollte ich für Deutschland spielen. Der DFB hat mich immer wieder zu Stützpunkttrainings eingeladen, aber nie für Nationalmannschaften nominiert. Marokko hat sich sehr um mich bemüht, also habe ich die Chance ergriffen. Für meine Familie war das eine riesige Freude.
Wie eng ist Ihr Bezug zu Marokko?
Boujellab: Ich habe dort viele Verwandte, die ich oft besuche. Alle sind fußballverrückt und Fans von RS Berkane. Meinem Vater reicht das aber nicht: Ich kenne niemanden, der mehr Fußballspiele anschaut. Er verfolgt jede Liga. Als er erfahren hat, dass ich nach Helsinki wechsle, hat er mir gleich gesagt, was in der finnischen Liga so abgeht. (lacht)
Sie haben in der marokkanischen Nationalmannschaft mit Noussair Mazraoui zusammengespielt. Wie haben Sie den Neuzugang des FC Bayern München erlebt?
Boujellab: Mazraoui ist ein super Typ: sehr nett, sehr familienbezogen, sehr offen, für jeden Spaß zu haben. Ich spiele gerne mit ihm zusammen und fühle mich an seiner Seite sehr wohl.
Ebenfalls dabei war bei Ihren Einsätzen Achraf Hakimi. Mit ihm haben Sie eine FIFA-Vorgeschichte ...
Boujellab: Ja, während des ersten Lockdowns haben wir bei der FIFA Bundesliga Home Challenge gegeneinander gespielt. Jeder Klub musste einen Profi nominieren: Ich habe für Schalke gespielt, er für Dortmund - und ich habe das Derby gewonnen. Als wir uns danach bei der Nationalmannschaft trafen, haben wir uns kaputtgelacht.
Wer ist der beste FIFA-Spieler unter den Bundesliga-Profis?
Boujellab: Ich wüsste keinen, der besser ist als ich - zumindest von denen, die während meiner Zeit in der Bundesliga schon da waren. (lacht)
Woher rührt Ihre FIFA-Leidenschaft?
Boujellab: Als Kind hatte ich nur Fußball im Kopf. Wenn ich abends nicht mehr trainieren konnte, habe ich mit meinen FIFA-verrückten Cousins eben FIFA gespielt. Ich wollte lieber zocken, als planlos eine Serie gucken. Ich bin so gut geworden, weil ich so früh angefangen habe. Mittlerweile habe ich aber etwas nachgelassen. Aktuell spiele ich nur sehr selten, weil es einmal negativ auf mich zurückgefallen ist.
Sie meinen die Kritik vom damaligen Schalker Sportvorstand Jochen Schneider, der Sie während der Abstiegssaison für übermäßigen FIFA-Konsum öffentlich gerügt hat?
Boujellab: Viele Fußballer zocken regelmäßig FIFA. Nur weil ich meine Spiele auch gestreamt habe und gleichzeitig besser als die anderen war, hieß es, dass ich mehr Zeit investiere. So war es aber nicht. Ich konnte die Kritik in der schwierigen sportlichen Situation trotzdem nachvollziehen und habe sofort damit aufgehört. Ich will niemals etwas machen, was Schalke oder mir selbst schadet. Nicht verstanden habe ich aber, dass er seine Kritik so drastisch in der Öffentlichkeit formuliert hat. Ich hatte schon damit aufgehört, als er mir das zuvor in einem persönlichen Gespräch gesagt hat.
Hat Sie FIFA irgendwann abgelenkt?
Boujellab: Nein, auf keinen Fall. Für mich ist das eher ein Ausgleich.
Fehlt Ihnen das regelmäßige FIFA-Spielen?
Boujellab: Nein, ich bin ja nicht süchtig. Wenn ich mal nichts zu tun habe, schmeiße ich die Konsole immer noch hin und wieder an und genieße es.