Sie haben an der Ruhr-Universität in Bochum Sportwissenschaft mit Schwerpunkt Intervention und Diagnostik, aber auch anfangs noch Erziehungswissenschaften studiert. Was hat Sie daran gereizt?
Gaul: Ich wollte die pädagogische und psychologische Seite unbedingt auch machen, weil ich mehr über den Menschen herausfinden wollte. Das Sportwissenschafts-Studium drehte sich vor allem um den athletischen Bereich. Das wäre ein guter Schwerpunkt gewesen, um später als Athletik-Trainer zu arbeiten, aber ich denke, dass mir dieses Wissen auch als Cheftrainer viel weiterhelfen kann, wenn wir an Themen wie Belastungssteuerung denken. Die wichtigste Entscheidung zu der Zeit war für mich, ob ich mich eher im Breitensport oder im Leistungssport sehe. Ich habe mich sehr klar für Letzteres entschieden und bin all-in gegangen, weil ich mich dort mehr wiedergefunden habe.
Sie sind mit der Schalker A-Jugend Meister geworden, das war unter anderem mit Leroy Sané und Thilo Kehrer damals eine interessante Truppe. Was ist aus der Zeit hängen geblieben?
Gaul: Wir haben über die Bedeutung einer Teamkultur gesprochen, das haben wir damals auch in der U19 gesehen. Wir hatten eine sehr gute Mischung aus Überfliegern und Spielern, die es später in ihrer Karriere nicht nach ganz oben geschafft haben, die aber für das Team extrem wichtig waren. Generell ist mir aus dieser Zeit geblieben, dass man sehr gut zwischen Toptalent und "normalem" Talent differenzieren muss. Es gibt diese Ausnahmetalente, die du im Verein alle 15 oder 20 Jahre hast, denen musst du kein Dribbling beibringen. Da geht es um eine andere Art der Begleitung. Diesen Jungs musst du mehr in der Persönlichkeitsentwicklung helfen, in puncto Professionalität oder im Umgang mit schwierigen Situationen.
Sané ist einer der spannendsten und auch einer der streitbarsten Fußballer Deutschlands. Wie haben Sie seine Entwicklung verfolgt?
Gaul: Du konntest bei Leroy damals schon alle Themenfelder durchgehen, ob das jetzt die Technik oder die Athletik war, auf einer Skala von eins bis zehn war Leroy in ganz jungen Jahren überall schon bei einer Zehn fußballerisch. Er hat extrem viel mitgebracht, deshalb war es auch absehbar, dass er sehr schnell einen beeindruckenden Weg gehen wird, solange er gesund und klar im Kopf bleibt. Ich finde, dass die Bewertung von Leroy teilweise zu hart war in den letzten Jahren. Diese Jungs müssen in jungen Jahren unter enormem Druck ständig Topleistungen abrufen. Es ist völlig normal, dass sie auch Leistungslöcher haben, wir sollten ihnen das zugestehen. Und nicht jeder junge Spieler ist gleich. Thilo Kehrer war im Gegensatz zu Leroy jemand, der immer mehr und härter arbeiten musste für seinen Erfolg. Er hat sich über die Jahre gerade im mentalen Bereich hervorragend weiterentwickelt, weil er das als Potenzial für sich erkannt hat und es fokussiert angegangen ist. Ich bin sehr dankbar, dass ich beide ein wenig begleiten durfte.
Bartosch Gaul: Dieser VfB-Mann ist ein "absoluter Kreativkopf"
Nach Ihrer Zeit auf Schalke sind Sie in die Nachwuchsabteilung von Mainz gewechselt. Wie kam es dazu?
Gaul: Ich wollte nach einer sehr intensiven Zeit mit der Arbeit auf Schalke und dem Studium den nächsten Schritt gehen, hauptberuflich im Fußball arbeiten und zum ersten Mal selbst eine Mannschaft leiten. Ich wollte auch aus meiner Komfortzone heraus. Insofern war das Angebot, in Mainz die U15 übernehmen zu können, sehr reizvoll. Zumal Mainz damals wie heute ja einen exzellenten Ruf in der Trainerausbildung genossen hat und einfach eine Top-Adresse ist. Mainz hat finanziell im Nachwuchsbereich nicht die Möglichkeiten, um mit den Topklubs mitzuhalten, daraus hat man aber eine Tugend gemacht. In Mainz wird sehr stark in Lösungen gedacht, statt sich darüber zu beschweren, was woanders möglich ist. Dann muss ich kreativer sein als die Konkurrenz. Innovativer, noch akribischer. Diese Denkweise habe ich mir in der Mainzer Schule angeeignet - das war sicher eine gute Vorbereitung für meine weiteren Stationen.
Es gibt viele schlaue Köpfe, die in Mainz sind und waren. Einer davon ist Thomas Krücken, der inzwischen beim VfB schon vieles bewegt hat im Nachwuchsbereich. Sie haben ihn auch kennengelernt, was zeichnet ihn aus?
Gaul: Thomas Krücken ist für mich ein absoluter Kreativkopf. Jemand, der um die Ecke denkt. Der vor allem grenzenlos denkt. Der bereit ist, grenzenlos zu träumen. So entstehen die besten Ideen und dann schaut man, welche davon realisierbar sind. Was ich so von außen mitbekommen habe, hat er auch in Stuttgart schon eine neue Qualität in den Nachwuchsbereich hinein bekommen.
Sie waren dann in Mainz jahrelang Trainer der U23, eine Aufgabe mit ganz besonderen Herausforderungen. Wie wichtig war diese Zeit für Sie?
Gaul: Brutal wichtig. U23-Coach zu sein bedeutet auch, einen sehr komplexen Aufgabenbereich managen zu müssen. Du hast Spieler, die von der ersten Mannschaft nach unten kommen, du hast hoffnungsvolle Talente, die aus der Jugend nach oben kommen, und du hast die erfahrenen U23-Spieler, die teilweise sogar älter als ich waren. Zu einigen habe ich bis heute guten Kontakt. Und die Regionalliga Südwest ist jetzt auch nicht die schlechteste Liga. Das war ein Job, bei dem du viele Dinge unter einen Hut bekommen musst, auch viele Spieler auf unterschiedlichen Leitungsebenen abholen musst, das hat es aber auch so spannend gemacht. Eine U23-Mannschaft ist immer auch eine Mannschaft der Kompromisse, bei der du lösungsorientiert, da sind wir wieder bei dem Punkt angekommen, arbeiten musst.