Auf der Position, auf der Thomas Tuchel ihn beim FC Bayern München nicht sah: Ryan Gravenberch ist wieder im Aufwind

Von Oliver Maywurm
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Das Kapitel FC Bayern München wollte Ryan Gravenberch schnell hinter sich lassen. Beim FC Liverpool ist der niederländische Nationalspieler, der am Dienstag mit Oranje auf das DFB-Team trifft, nun drauf und dran, sein Potenzial zu entfalten.

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Es ist wirklich schade, dass Ryan Gravenberch in der Bundesliga derart wenige Spuren hinterlassen konnte. Sein riesiges Potenzial, seine enorme Spielfreude, seine Streicheleinheiten für den Ball sind im Trikot des FC Bayern München leider nur sehr selten mal aufgeblitzt.

"Von Ryan bin ich ehrlich gesagt am meisten begeistert. Der verliert fast keinen Ball. Der wird uns viel Freude bereiten", sagte Joshua Kimmich im Sommer 2022, als Gravenberch gerade von Ajax Amsterdam zum FCB gewechselt war. Das mit dem viel Freude bereiten klappte bekanntlich aber nicht.

Sowohl unter Julian Nagelsmann als auch unter Thomas Tuchel bekam Gravenberch kaum einmal die Chance, sich von Beginn an zu zeigen. Meist blieben ihm nur Jokereinsätze, in denen man ihm häufig anmerkte, dass ihm Vertrauen fehlte. Ja bisweilen wirkte er sogar gehemmt.

Nur ein Jahr blieb der Niederländer bei Bayern. Und so wenig man von ihm aus seiner Zeit in München in Erinnerung behalten hat, so wenig hat der aktuelle Ryan Gravenberch mit dem FCB-Gravenberch zu tun. Denn beim FC Liverpool zündet der 22-Jährige seine verheißungsvolle Karriere mit einem Jahr Anlaufzeit gerade noch einmal ganz neu ...

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Ryan Gravenberch auf dem aufsteigenden Ast: "Endlich kommt es raus"

Erörtern zu wollen, woran genau es lag, dass Gravenberch in München nicht glücklich wurde, wäre müßig. Wahrscheinlich wäre es ihm unter Trainern, die ihm häufiger lange Einsatzzeiten gegeben hätten, leichter gefallen. Aber wahrscheinlich war zum größten Teil Gravenberch selbst dafür verantwortlich, dass wir in der Bundesliga von seinem Können so wenig sehen durften.

"Ich habe das Potenzial, das in ihm steckt, immer gesehen. Aber ich glaube, es fehlte ihm der Fokus", sagte der niederländische Nationaltrainer Ronald Koeman jüngst. "In diesem Bereich musste er sich verbessern und jetzt wirkt es so, als habe er endlich gemerkt, was von ihm verlangt wird."

Dass Gravenberch offenbar einen Schalter umgelegt hat, kommt natürlich auch Koeman zugute. Seit seinem Wechsel zu Bayern im Sommer 2022 spielte der hochveranlagte Mittelfeldakteur im Nationalteam lange kaum noch eine Rolle. Anfang Juni lief Gravenberch im Testspiel gegen Kanada erstmals seit fast zwei Jahren wieder für Oranje auf. Für die EM in Deutschland schaffte er es dann in den Kader, spielte allerdings keine Minute.

Doch künftig könnte Gravenberch für die Elftal möglicherweise doch noch die Rolle spielen, die man vor einigen Jahren rund um seinen Durchbruch bei Ajax schon für ihn auserkoren hatte. Beim 5:2 gegen Bosnien-Herzegowina zum Nations-League-Auftakt am Samstag stand er erstmals seit der EM 2021, also seit über drei Jahren, wieder in einem Pflichtspiel in der Startelf der Niederlande.

Und Gravenberch überzeugte in einer etwas offensiveren Rolle als zu Saisonstart in Liverpool, gab gemeinsam mit Tijjani Reijnders eine Art Doppelacht im Mittelfeld der Koeman-Elf. "Ryan Gravenberch hat sehr gut gespielt", lobte der frühere niederländische Nationalspieler Rafael van der Vaart in seiner Funktion als Experte beim TV-Sender NOS. "Super griffig, er agierte als eine Art freier Mann, sehr dynamisch, immer zwischen den Linien. Er spielt mit so viel Vertrauen, endlich kommt es raus."

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Ryan Gravenberch beim FC Liverpool: Die Holding Six, die Thomas Tuchel nicht in ihm sah?

Am Dienstag hat Gravenberch die Chance, auch gegen einen absoluten Top-Gegner unter Beweis zu stellen, wie gut er momentan drauf ist. Ausgerechnet gegen Deutschland, ausgerechnet trainiert von Julian Nagelsmann, der bei Bayern ebenso wenig auf ihn setzte wie Nachfolger Thomas Tuchel.

Dessen verzweifelte Bitte um die Verpflichtung einer "Holding Six", wie er das Profil seines Wunschspielers benannte, mutierte im Sommer 2023 zu einer Art Running Gag beim FC Bayern. Gravenberch sah Tuchel auf jener Position des primär defensiv orientierten, klassischen Sechsers nicht. Zugegeben, mit Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Konrad Laimer hatte Tuchel seinerzeit drei Spieler im Bayern-Kader, die dem damals gesuchten Profil eher entsprachen als der filigrane Gravenberch, dessen natürliche Stärken bevorzugt im Spiel mit Ball liegen.

Auch Jürgen Klopp sah das wohl so, setzte Gravenberch in Liverpool vergangene Saison meist als einen der beiden offensiveren Parts in seinem Dreiermittelfeld ein. Klopps Nachfolger Arne Slot stellt Gravenberch nun aber genau auf die Position, für die Tuchel damals bei Bayern unbedingt einen teuren Neuzugang wollte, den dafür auserkorenen João Palhinha letztlich aber nur fast bekam.

Es ist eine kuriose Randgeschichte, dass Palhinha, der diesen Sommer dann doch zu Bayern wechselte, beim FCB bisher kaum zum Zug kam. Und Gravenberch in Liverpool die "Holding Six" gibt, als sei er exakt dafür bestimmt. An den ersten drei Premier-League-Spieltagen der neuen Saison spielte der gebürtige Amsterdamer jeweils als defensivster der drei Mittelfeldspieler der Reds, war dabei einer der Hauptverantwortlichen für die gute Stabilität Liverpools, das bisher noch ohne Gegentor ist.

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Arne Slot gab Ryan Gravenberch neues Vertrauen

Gravenberch ist bis dato der Spieler der Slot-Elf mit den meisten Tacklings und Ballgewinnen, steht zudem auch bei gewonnenen Zweikämpfen teamintern ganz oben. Insbesondere Gravenberchs Auftritt beim 3:0 bei Manchester United stach heraus. Neben der extrem guten Defensivarbeit brachte er auch das, wofür er ohnehin steht - höchste Ballsicherheit, kluges Passspiel, Spielintelligenz, Dynamik im Spiel nach vorne und überragende Übersicht - zuverlässig auf den Platz.

"Er muss sich noch entwickeln auf dieser Position, das ist klar", schränkte Trainer Slot zwar ein, lobte aber auch: "Er ist sehr ruhig am Ball, kann laufen, kann immer weiter laufen."

Dass sein niederländischer Landsmann Slot enormen Anteil an seinem Aufschwung hat, betonte Gravenberch vor einigen Tagen bei ESPN Netherlands. "Er gibt mir jetzt Selbstvertrauen, stellt mich einfach von Beginn an auf. Als Spieler will man natürlich Minuten bekommen - und das Selbstvertrauen, das ich mir dadurch erarbeiten kann, sorgt dafür, dass ich mich wohler fühle."

Die Stationen von Ryan Gravenberch im Überblick

ZeitraumVereinAblöse
2010 bis 2019Ajax Amsterdam (Nachwuchs)-
2019 bis 2022Ajax Amsterdam-
2022 bis 2023FC Bayern München18,5 Millionen Euro
2023 bis heuteFC Liverpool40 Millionen Euro