Er versagt als Post-Beamter, Stiefvater und Ex-Ehemann. Sein Haus ist so heruntergekommen wie er selbst. Er klaut von seinem renitenten Sohn Dope und raucht es selbst, um dem allzu tristen Alltag in Manchester zu entfliehen. 25 Jahre nach dem größten Fehler seines Lebens versucht er, sich umzubringen.
Eric Bishop ist der Urtypus des englischen Working-Class-Versagers. Jemand, der zu stolz ist, um Hilfe zu bitten, aber ohne Hilfe nicht wieder glücklich werden kann. Eric sucht nach einem Ausweg - und findet Eric. Eric Cantona.
Es sind die Anfangsminuten des Films "Looking for Eric". Der sonst für harte, sozialkritische Milieudramen bekannte Regisseur Ken Loach ("The Wind that Shakes the Barley") inszenierte eine überraschend unterhaltsame, romantische, fast schon märchenhafte Tragikkomödie mit Steve Evets als Eric Bishop und Eric Cantona als, nun ja, Eric Cantona.
Parabel auf die eigene Karriere
Zwölf Jahre sind seit Cantonas Rücktritt als Fußball-Profi vergangen. Seitdem übernahm er die französische Beachsoccer-Nationalmannschaft und wurde 2005 Weltmeister, er spielte in über einem Dutzend französischen Filmen mit, bekam an der Seite von Cate Blanchett eine Nebenrolle in der Oscar-prämierten Biografie "Elizabeth" - und setzt sich nun mit "Looking for Eric" ein filmisches Denkmal.
Der 43-jährige Franzose spielt sich selbst. Ein Idol für Menschen wie Eric Bishop. Ein Held, der auf wundersame Art in Bishops Leben tritt und wie ein Motivationstrainer den am sozialen Abgrund taumelnden Verlierer zurück ins Leben zieht ("Ohne Gefahr können wir die Gefahr nicht überwinden").
"Der König ist zurück", lobte "Le Figaro" Cantonas schauspielerische Leistung. "Er ist kein Künstler geworden, er war schon immer einer", sagt Schauspiel-Kollege Daniel Russo. Cantona agiert überzeugend. Vielleicht auch, weil "Looking for Eric" im Grunde eine Parabel auf die eigene Karriere ist. Selbstironisch sagt er im Film: "Ich bin kein Mensch, ich bin Cantona."
"Am schönsten war der Tritt"
Cantonas gottähnlicher Status bei den Fans von Manchester United wird ebenso thematisiert wie seine distanzierte Haltung zur Kommerzialisierung der Premier League und die Abneigung gegenüber der Glazer-Familie, den amerikanischen Besitzern von ManUtd.
Ein zentraler Leitfaden des Films ist Cantonas legendärer Kung-Fu-Tritt von 1995, als er einen pöbelnden Fan (oder besser einen rechtsradikalen Hooligan) von Crystal Palace mitten im Spiel per Flugkick niederstreckte, fast im Knast gelandet wäre und für neun Monate gesperrt wurde.
Um die Zeit zu überbrücken, trat er erstmals als Schauspieler auf ("Das Glück liegt in der Wiese" von Etienne Chatiliez) und beschäftigte sich intensiv mit der Musik von Miles Davis und Chet Baker, woraufhin er anfing, Trompete zu lernen. Er musste Wege finden, um seiner Einsamkeit zu entfliehen, erinnert sich Cantona.
Die Attacke jedoch bereue er nicht: "Ich hatte viele schöne Momente, der schönste war aber, als ich den Hooligan getreten habe."
In Frankreich nicht vermittelbar
Bereits zu Beginn seiner Laufbahn offenbarte Cantona einen Hang zum Wahnsinn. So genial er Fußball spielen konnte, so unberechenbar und exzentrisch trat er auf. Bereits mit Anfang 20 schlug er sich mit Torwart Bruno Martini, wurde nach einem bösen Foul in einem Ligaspiel für drei Monate gesperrt und beschimpfte den damaligen Frankreich-Coach Henri Michel als "Haufen Scheiße", woraufhin er für ein Jahr aus der Equipe flog. Nach zahlreichen Eskapaden wurde er auch von Olympique Marseille rausgeschmissen und landete über Umwege in England.
In Frankreich war er wegen seines Jähzorns schlicht nicht mehr vermittelbar, obwohl er mit Michel Platini einen wichtigen Befürworter an seiner Seite wusste. Bei seinem letzten französischen Klub Nimes warf Cantona einem Schiedsrichter den Ball ins Gesicht und bezeichnete daraufhin die Sportrichter als "Idioten". Mit 25 Jahren stand Cantona, der sich stets missverstanden fühlte, bereits vor dem Rücktritt.
Doch Platini überredete ihn zum Weitermachen und half dabei, mit Leeds United einen neuen Verein zu finden. Der Beginn eines neuen Kapitels. 1992 gewann er mit Leeds gleich in der ersten Saison sensationell den Liga-Titel, woraufhin er von Manchester United abgeworben und erneut in seinem Premieren-Jahr Meister wurde.
Es war die erste Championship von ManUtd nach 26 Jahren - und aus Cantona, dem impulsiven Exzentriker, wurde ein Fußball-Heiliger.
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Selbst George Best verehrte "King Eric"
Cantona ließ zwar auch in Manchester weiter seiner Wut freien Lauf, bespuckte Fans und prügelte sich wahlweise mit der türkischen Polizei, einem französischen Journalisten oder angeblich nach der verpassten WM-Quali 1994 mit David Ginola. Doch für die Fans der Red Devils blieb er "King Eric".
Ein König, der zum "Fußballer des Jahrhunderts" des Klubs gewählt und dem ein Lied gewidmet wurde: "Uh, ah, Cantona, what a friend we have in Jesus, and his name is Cantona!"
Die mittlerweile verstorbene United-Legende George Best, ein ehemaliger Alkoholiker, erklärte einst, dass er jedes getrunkene Glas Champagner dafür hergegeben hätte, um einmal mit Cantona in einem wichtigen Spiel auf dem Platz zu stehen.
"Ich war jüngst mit ihm bei einem Spiel im Old Trafford und es wurden Cantona-Songs gesungen", sagt Regisseur Loach. "Einfach so, Jahre nach seiner aktiven Zeit und ohne, dass jemand mitbekommen hätte, dass er da ist. Als sie ihn entdeckten, begannen erwachsene Männer zu weinen."
Karriereende mit 31 Jahren
Cantona begründete zusammen mit Manager Alex Ferguson die Dynastie der Red Devils, mit denen er in den folgenden vier Jahren drei weitere Meistertitel holte. Ohne Cantona würde es den Weltklub Manchester United womöglich nicht geben. "Cantona hat den englischen Fußball stärker geprägt als irgendein anderer Spieler im modernen Zeitalter", sagt sein Biograf Philippe Auclair.
Im Jahr 1997 jedoch gab Cantona, erst 31-jährig, völlig unerwartet das Ende seiner Karriere bekannt. Einerseits habe ihn der Fußball mit all den finanziellen Interessen desillusioniert, andererseits "habe ich aufgehört, weil ich so viel Fußball gespielt habe, wie es ging. Ich musste mir etwas Neues suchen, das mich genauso in den Bann zieht wie früher der Fußball", so Cantona.
"Denn wenn jemand nur den Fußball als einzige Leidenschaft im Leben hat, wird es gefährlich. Nicht mehr Fußball zu spielen würde gleichbedeutend sein mit dem Tod. Daher strebe ich nach neuen Möglichkeiten, um mich auszudrücken."
Denkwürdige Pressekonferenz
Seitdem versteht er sich vordergründig als Künstler sowie Philosoph und sagt Dinge wie: "Ich suche abstrakte Wege, um die Realität auszudrücken. Abstrakte Formen, die mein eigenes Mysterium erleuchten." Oder: "Kunst ist die Fähigkeit, einen dunklen Raum zu erhellen."
Bereits bei der legendären Pressekonferenz nach dem Kung-Fu-Tritt 1995 deutete er an, wie sehr sich Cantona nicht nur als Fußballer, sondern als Kunstfigur versteht. Statt sich zum Vorfall erstmalig zu äußern, setzte er sich vor die zahlreichen Kameras, sagte lediglich den Satz: "Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie glauben, dass die Sardinen wieder ins Wasser geworfen werden", stand auf und verließ den Raum.
Nach seinem Durchbruch mit "Looking for Eric" arbeitet Cantona weiter an der Schauspiel-Karriere, ab Januar 2010 steht er im Pariser Theatre Marigny für das Stück "Face au Paradis" auf der Bühne. Eine Rückkehr in den Fußball sei nicht angedacht, da ihm die Lust am Fußballgucken längst vergangen sei.
Nachfolger von Ferguson?
Ein Angebot von Olympique Marseille, als Manager einzusteigen, lehnte er 2001 ab. Eine Herausforderung jedoch würde ihn reizen: Alex Fergusons Erbe bei Manchester United. "Ich weiß nicht, in wie vielen Jahren sich das verwirklichen wird, aber mein Name ist bereits auf der Bank von United eingraviert. Es ist ManUtd oder nichts", sagt Cantona.
Alternativ käme wenn überhaupt nur die englische Nationalmannschaft in Frage. Cantona: "Der englische Fußball fließt durch meine Adern, und ich würde ihnen gerne mit meinen Visionen weiterhelfen. Denn ich habe eine große und prächtige Vision. Ich habe Überzeugungen, deshalb möchte ich auch als Trainer ein Künstler sein."
Eric Cantona im Steckbrief: Seine Stationen, seine Tore
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