Robert Huth: The Stoke Wallbreaker

Von Matthias Faidt
Behauptet sich in der Premier League gegen Topstars: Robert Huth (r.) gegen Wayne Rooney
© Getty

Er befindet sich in guter Gesellschaft: Nicolas Anelka, Andrey Arschawin, Mario Balotelli und Frank Lampard gesellen sich zu Robert Huth. Sechsmal netzten diese Topstars bislang in der Premier League ein - genauso oft wie Verteidiger Huth. Bei Nationaltrainer Joachim Löw ist der Deutsche trotz beeindruckender Leistungen außen vor. Unverständlich, sagt ein Wegbegleiter.

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An Sebastian Kneißl erinnern sich inzwischen nur noch Fußballkenner, Robert Huth ist dagegen bekannt. Noch vor einem knappen Jahrzehnt war das so nicht abzusehen.

Die beiden haben viele Gemeinsamkeiten. Aber Huth kennen nicht nur die Fans von Stoke City. Er ist weit über die Midlands hinaus bekannt, in England sind die lang gezogenen "Huuuth"-Rufe inzwischen ein altbekanntes Stadion-Geräusch. Woche für Woche legt er die Top-Stürmer der Premier League an die Leine.

Der hochgeschossene Abwehrhüne hat großen Anteil daran, dass Stoke gegenwärtig fernab der unliebsamen Abstiegsränge auf Platz elf rangiert. In der Abwehrkette - zumeist in der Innenverteidigung oder auch schon auf der rechten Seite - ist er unumstrittener Stammspieler. In 30 von 31 möglichen Partien war er dabei.

Mit 16 reif für die Insel

Vor allem bei Standards sind die 188 Zentimeter des gebürtigen Berliners gefragt: Zu Beginn seines England-Abenteuers beim FC Chelsea trat er aber fast ausschließlich im eigenen Strafraum in Erscheinung, als kompromissloser Toreverhinderer. In England mag man seine Spielweise. Die Fans nennen ihn in Anlehnung an seine Herkunft Berlin "Wall".

Mit 16 Jahren fühlte er sich schon reif für die Insel. Chelsea-Scouts hatten ihn bei einem U-15-Länderspiel in Irland entdeckt. Huth war sofort Feuer und Flamme. Er verließ Berlin und sein Zuhause Biesdorf in Marzahn-Hellersdorf.

In London traf er mit Kneißl, der einst von Eintracht Frankfurt zu den Blues wechselte, auf einen weiteren deutschen Jungspund. Ein torgefährlicher Offensivspieler, der damals große Hoffnungen in die englische Ausbildung setzte und eine sportliche Herausforderung suchte.

Robert war mein bester Freund

Huth ging in die Fremde, in eine andere Millionen-Metropole. Im Vergleich zu Berlin war London nochmal ein Quantensprung. Doch alleine war er nie, Kneißl wurde zu seinem besten Freund: "Zu Beginn war Robert sehr schüchtern und ruhig", sagt Kneißl im Gespräch mit SPOX.

Aber auf dem Platz explodierte Huth vor Power. Kneißl erklärt das mit seiner Berliner Herkunft: "Es gibt bestimmt schönere Orte zum Aufwachsen. Das hat ihn geprägt, daher kam diese Willensstärke und dieses Durchsetzungsvermögen."

Die wenige Freizeit außerhalb des Trainingsgeländes verbrachten sie auf dem Golfplatz oder beim Tennisspielen. Hier blühte die Berlin-Hessen-Rivalität auf: "Robert ist beim Golf eher der Grobmotoriker, wie auf dem Fußballplatz geht es auch hier nur mit viel Kraft und eher hoch und weit."

Zur Feier des Tages

Sie verstanden sich prächtig, genossen das Abenteuer London gemeinsam und freuten sich über die Erfolge des anderen. Kneißl erinnert sich daran, als sie sich im Trainingslager das Zimmer teilten und er sein Profi-Debüt in einem Testspiel gegen Lazio Rom gab: "Abends kam Robert mit zwei Bier und Zigaretten aufs Zimmer und sagte: 'Glückwunsch zum inoffiziellem Debüt.'" Auch als Huth sein erstes Spiel machte, gingen die Freunde feiern. Ansonsten stand der Sport im Vordergrund.

Eine Zeit lang wohnten sie sogar unter einem Dach. Huth hatte Kneißl nach seiner Belgien-Ausleihe (KVC Westerlo) aufgenommen, ihm sogar ein Auto bereitgestellt. Das WG-Leben funktionierte prima: "Nur zum Schluss war Robert dann fauler und hat sich eine Putzfrau geleistet", flachst Kneißl. Sie hielten zusammen.

"Man brauchte schon Ellebogen und es war anstrengend, sich in so jungen Jahren zu behaupten. Es ging eben um Plätze in der Mannschaft, auch wenn man sich dann danach in der Kabine wieder gut versteht. Da musste man die eigenen Interessen in den Vordergrund stellen", erinnert sich Kneißl.

Fernab der Heimat, in einem unbekannten Land, mit einer neuen Sprache, in einem Alter, in dem man noch nicht ganz erwachsen ist.

Mehr Engländer als Deutscher

Die lange Zeit abseits der Bundesrepublik hatte auch Huth geprägt. In Berlin ist er nicht mehr so oft. Nach zehn Jahren ist er schon fast zum Engländer geworden. "Das ist normal. Irgendwann denkt und träumt man sogar englisch. Wir hatten zu 90 Prozent die Lebensweise übernommen. Schon allein beim Essen", so Kneißl. Über Brot aus Deutschland freute man sich dennoch.

Vor allem der britische Humor hatte es Huth angetan: trocken und knallhart - wie seine Spielweise.

In fünf Jahren bei den Londonern erzielte Huth keinen Treffer und war ausschließlich für seine Defensiv-Qualitäten bekannt. Auf dem Platz hat er sich weiterentwickelt, mittlerweile jagt er auch den gegnerischen Torhütern Angst und Schrecken ein. Acht Pflichspieltore schoss der Deutsche in dieser Saison bereits. Aus dem Defensivspezialisten wurde eine Offensivwaffe: The Stoke Wallbreaker.

Nach dreimal hochhalten ist es vorbei

Um als Abwehrspieler Tore zu erzielen, muss man nicht unbedingt ein Techniker sein. Kneißl lacht: "Nach dreimal hochhalten ist es vorbei. Spiel' ihn niemals auf dem linken Fuß an, dann fällt er um. Seine Stärke war es, den Ball zu gewinnen und dann jemandem zu geben, der etwas damit anfangen kann."

Mehr Torgefahr aus der Hintermannschaft würde auch der deutschen Nationalmannschaft gut zu Gesicht stehen. Schließlich kommen alle Abwehrspieler aus dem Kader des Australien-Länderspiels gemeinsam in knapp 200 Länderspielen auf gerade einmal drei Tore. Doch Huth scheint in den Planungen von Joachim Löw keine Rolle mehr zu spielen.

"Absolut unverständlich", findet das Kneißl und glaubt zu wissen, warum Löw auf ihn verzichtet: "Er spielt eben sehr englisch und nicht wie in Deutschland, wo der Innenverteidiger der erste Spielmacher ist. Robert ist kein Spielmacher, sondern ein Verteidiger, der rigoros seine Zweikämpfe gewinnt."

Nach seiner Absage für einen Leistungstest im Januar 2010 bekam er keine Einladung mehr. Gegen die Vereinigten Arabischen Emirate bestritt er vor zwei Jahren das bislang letzte seiner 19 Länderspiele. Die nächste Innenverteidiger-Generation um Holger Badstuber, Jerome Boateng, Mats Hummels und wohl auch Benedikt Höwedes haben Huth in der Zwischenzeit den Rang abgelaufen.

Nie wieder Deutschland

Nach Deutschland wird er nicht mehr wechseln, glaubt sein langjähriger Wegbegleiter: "In England hat sich Robert einen Namen gemacht. Das Spiel sagt ihm mehr zu. Ich denke, wenn er ein Angebot aus England hätte, würde er eher da zuschlagen ." Vor kurzem soll sogar der FC Liverpool Interesse bekundet haben.

Die Freundschaft der beiden ist mit der Zeit ein wenig in die Jahre gekommen, zum Geburtstag gratuliert man sich aber schon noch. "Ansonsten macht er sein Ding in England, ich mache mein Ding", klingt Kneißl ein bisschen wehmütig, "wir haben eine sehr intensive Zeit miteinander verbracht, vieles zusammen durchgemacht: Liebeskummer oder wenn die Frau weggelaufen ist. Klar ist man da ein wenig traurig, wenn man sich nicht mehr so oft sieht."

Zwei unterschiedliche Entwicklungen

Seinen Jugendfreund wird er weiterhin beobachten, doch für Kneißl war das nicht immer so klar: "Nach dem ersten Spiel und Training hätte ich niemals gedacht, dass es Robert soweit schafft. Es sah schon ziemlich unbeholfen aus. Schon wie er gejoggt ist war relativ lustig."

Ihre Karrieren nahmen letztlich einen sehr unterschiedlichen Verlauf. Irgendwann konnte Kneißl nicht mehr Schritt halten: "Die anderen haben eben die halbe Stunde mehr investiert. Ich bin dann auf der Massagebank gelegen."

Nach Stationen in Schottland, Belgien und der 2. Bundesliga verebbte die Karriere des einstigen Nachwuchstalents. Neid oder Missgunst gab es von seiner Seite nie: Inzwischen kickt der 28-Jährige in der Bayernliga für den FC Schweinfurt 05 und absolviert eine Ausbildung. Das Abenteuer London mit seinem Freund Robert Huth wird er trotzdem nie vergessen.

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