Er ist hier der Boss

Stefan Rommel
31. Juli 201409:33
Manchester United ist die erste Station in England für Louis van Gaalgetty
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Manchester United startet nach einer desaströsen Saison mit Louis van Gaal einen Neuanfang. Der Niederländer ist noch keine zwei Wochen im Old Trafford und hat doch schon für mächtigen Wirbel gesorgt. United soll wieder ganz nach oben - auf die Louis-van-Gaal-Art.

"Es war eine Entscheidung zwischen Karriereende und einem englischen Klub. Meine Frau Truus wollte den Rücktritt. Jetzt ziehen wir nach England." Louis van Gaal ist Trainer bei Manchester United. Einer der größten Trainer der Welt hat sich einem der größten Klubs der Welt verschrieben.

United steckt in ernsthaften Schwierigkeiten nach einer Saison des Grauens und der Fehlentscheidungen, jetzt soll der 62-Jährige den Red Devils den Weg aus der Krise zeigen: Mit seinem Fachwissen, seiner Aura, seinem Charisma und seinem untrüglichen Gespür für junge Talente. Aber auch mit seiner Härte und einer Geradlinigkeit, an die sich einige erst gewöhnen müssen.

Die ersten Eindrücke, die van Gaal in Manchester hinterlassen hat, bestätigten so ziemlich jede Vorahnung, was auf die Verantwortlichen, die Spieler, die Fans und die Medien zukommen würde.

Die Ausgangslage:

Manchester United hat die schwächste Saison seit Jahrzehnten hingelegt. Seit Einführung der Premier League Anfang der 90er holten die Red Devils 13 ihrer 20 Meistertitel und rutschten nie aus den Top drei der Liga. Im Mai beendete United die Saison dann als Tabellensiebter, der entthronte Meister hatte am Ende 24 Punkte Rückstand auf Lokalrivale City.

Innerhalb von zwölf Monaten schien auch der letzte Funke Selbstvertrauen entwichen. Besonders die Heimspiele gerieten selbst gegen kleine Gegner zu angsterfüllten Veranstaltungen einer am Ende komplett verunsicherten Mannschaft. Erstmals überhaupt fuhr United weniger Siege (neun) als Niederlagen und Unentschieden (sieben und drei) im Old Trafford ein. Von der ehemaligen Festung war nicht mehr viel geblieben.

Im Jahr eins nach Ferguson machten die Verantwortlichen jede Menge Fehler, nicht nur Trainer David Moyes. Während ein Vierteljahrhundert um United herum der Trainerzirkus teilweise groteske Züge annahm, hatte Manchester seinen Alex Ferguson. Die Notwendigkeit, sich einen neuen Manager suchen zu müssen, bestand nicht - und beim ersten Griff nach Fergusons Karriereende langte United dann komplett daneben.

Die Wunden, die die letzte Saison hinterließ, sind groß. Auf den ersten Blick ist der Kader im Vergleich zur heimischen und internationalen Konkurrenz nicht auf Top-Level gebastelt, das Selbstverständnis, die "United Attitude", Angst und Schrecken bei Gegner zu verbreiten, muss erst wieder zurückgewonnen werden.

Es dürfte van Gaals erste große Aufgabe sein, dem gesamten Klub dieses Selbstvertrauen wieder einzuimpfen. Davon hat United unter Ferguson auch in schwierigen Phasen gelebt, Moyes wurde dessen Erbe von Woche zu Woche mehr zum Verhängnis. "Ich habe eine kaputte Mannschaft übernommen", sagt van Gaal. "Es gibt keine Balance. Es ist schwerer, in einer solchen Situation Erfolg zu haben, als wenn alles fantastisch ist."

Selbst für den erfahrenen van Gaal, der bei Ajax, in Barcelona und in München einige der größten Klubs der Welt zu Erfolgen geführt hat, ist dieses United ein ganz besonderer Auftrag. Dass United zuletzt weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, sei für ihn eher ein Nachteil, denn ein Vorteil.

"In Barcelona war es einfach auf Bobby Robson zu folgen, der drei Titel geholt hatte. In Holland war es dagegen schwer, Bert van Marwijk zu beerben. Er hat eine zerrissene Mannschaft hinterlassen, das war schwieriger, als man sich vorstellen kann. Ich wurde auch in der Vergangenheit schon von United angefragt, als Ferguson aufhören wollte. Ich denke, es wäre einfacher für mich gewesen, gleich auf ihn zu folgen."

Dennoch ist es keine große Überraschung, dass van Gaal trotz aller Widrigkeiten nach dem Höchsten strebt. "Mein Ziel ist es, Manchester United zurück an die Tabellenspitze zu bringen. Warum? Weil das unter Sir Alex Ferguson auch so war!"

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Seite 3: Das ist neu bei United

Seite 4: Das Personal

Der Trainer:

"Ich bin sehr glücklich, bei einem Klub wie Manchester United zu sein." Das sagte David Moyes bei seiner Vorstellung vor rund einem Jahr. Zurückhaltend und demütig präsentierte sich der Schotte. "Manchester United ist einer der größten Klubs der Welt. Deshalb verdient dieser Klub auch einen der größten Trainer der Welt." Das sagte Louis van Gaal auf seiner ersten Pressekonferenz vor wenigen Tagen.

Der Niederländer ist der Chef und er ist unumstritten. Van Gaal lässt das alle wissen und er lässt es jeden spüren, vom ersten Tag an. Er ist sich des größten Respekts aller handelnden Personen sicher - ein Privileg, das Moyes von der ersten Minute an fehlte.

Moyes haftete das Image des Duckmäusers an, der dazu noch jede Menge Spieler verlor. Van Gaal ist der komplette Gegenentwurf und erinnert jetzt schon einige an den schmerzlich vermissten SAF.

"Ferguson und van Gaal fordern von den Spielern Eigenverantwortung und sie verlangen Respekt. In der kurzen Zeit, in der ich mit Louis zusammenarbeite, kann ich sehen, warum er so erfolgreich ist. Er ist mitreißend. Beide umstrahlt eine Aura, die von den Titeln kommt, die sie geholt haben", sagte Ryan Giggs dem "Telegraph".

Giggs ist ein gutes Beispiel dafür, wie clever van Gaal bereits die Dinge im Hintergrund lenkt. Die Ikone machte er zu einem seiner Co-Trainer. Er fragte Giggs dabei erst gar nicht nach dessen Einwilligung, sondern bestimmte ihn einfach zum Mitglied seines Stabs.

Van Gaal hat auch anderen Mitgliedern der "Class of 92" in Aussicht gestellt, bald bei United unterzukommen oder ihre Jobs hier zu behalten. Phil Neville bleibt Co-Trainer, Paul Scholes hat zwar jüngst einen langfristigen Vertrag als Experte bei "ITV" unterschrieben, soll aber ebenso bei United eingebunden werden wie Gary Neville. So etwas kommt an bei den Fans.

Ab sofort gibt er die Richtung und den Takt vor. "Wir müssen Dinge verändern, weil wir einen anderen Fußball spielen wollen als zuletzt. Das ist schwer für meine Spieler. Sie müssen unter Druck Leistung abrufen, auf dem Platz müssen sie innerhalb einer Sekunde die richtigen Entscheidungen treffen. Das ist nicht einfach", sagt van Gaal. Was er nicht laut sagt, aber durch die Blume dabei erkennen lässt: "Das müssen sie auch. Denn das ist Profifußball."

Dass auch seine Ideen Zeit brauchen, um bei den Spielern anzukommen und zu reifen und letztlich auch zu den entsprechenden Erfolgen zu führen, das kündigte van Gaal bereits mehrfach an.

"Meine Philosophie ist immer auf mittelfristige Sicht ausgelegt. Ich bin kein Trainer, der in kurzen Zeitabständen denkt. Bei jedem meiner Klubs musste ich in den ersten drei Monaten kämpfen. Danach wussten alle, was ich von ihnen wollte und wie ich als Mensch und als Trainer bin - denn ich kann sehr direkt sein. Ich spreche die Dinge so an, wie sie sind. Also müssen sich alle an diese Art des Trainings gewöhnen."

Seine Spieler müssten ihn verstehen lernen. Dafür muss er in die Köpfe der Spieler eindringen, sagt van Gaal. Und das dauert. Immerhin haben ihm die Spielplaner der Premier League einen kleinen Gefallen getan: Das Auftaktprogram ist auch für eine neu konzipierte United-Mannschaft absolut machbar (Swansea, Sunderland, Burnley, QPR, Leicester, West Ham, Everton, WBA), erst Ende Oktober wartet mit dem FC Chelsea das erste Team der Big Five.

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Das ist neu bei United

Der Umgangston hat sich verändert. Van Gaal scheut nicht davor zurück, auch einzelne Personen bei seiner Kritik öffentlich an den Pranger zu stellen. Es wird für den einen oder anderen Spieler eine große Umstellung werden, sich nach dem Konsenstrainer Moyes auf van Gaal einzustellen.

Als der noch in München war, gab es etliche Trainingseinheiten mit gestandenen Welt-Stars, die Van Gaal im Duktus eines D-Jugendtrainers durchführte. Unzählige Wiederholungen selbst einfachster Passkombinationen und Laufwege, stets unterbrochen und lautstark kommentiert vom Trainer. Für Spieler, die es nicht gewohnt sind und es nicht akzeptieren können, oft gemaßregelt zu werden, wird van Gaal eine unnahbare Person bleiben.

Alle diejenigen, die seiner Idee und seinen Anforderungen folgen, ohne dabei blind und ohne zu hinterfragen seine Anweisungen ausführen, wird der Niederländer zu kompletteren Spielern machen. "Viele Profis spielen rein nach Intuition. Aber ich will, dass sie nachdenken und verstehen, warum sie bestimmte Dinge tun. Das ist ein Prozess, der besonders zum Beginn schwierig ist. Dafür braucht es Zeit. Die ersten drei Monate werden schwierig werden", prophezeit van Gaal.

Immerhin scheint er das Gros seiner Belegschaft bereits nach wenigen Tagen zu erreichen. "Der Trainer ist sehr ehrlich zu den Spielern, sagt, was er denkt und hat eine klare Vorstellung vom Fußball. Wir spüren, dass unser Trainer ein großer Trainer ist", sagt Juan Mata. "Dieser Verein ist prädestiniert für eine Siegermentalität und ich denke, er besitzt sie."

Sein Helfer Giggs, der fast seine komplette Karriere als Spieler nur unter Ferguson absolviert hat, ist geradezu begeistert von van Gaals ersten Tagen im OT. "Er verlangt im Training alles, von der ersten bis zur letzten Minute. Alles was er tut ist verständlich und er ist gerade heraus. Er hat eine einzigartige Art und Weise, die Dinge rüberzubringen. Das ist brillant zu sehen. Das ist alles sehr einfach, aber machst du einen Fehler, sagt er es dir sofort. Machst du etwas gut, sagt er es dir sofort. Er macht keinen Hehl daraus, was er von dir hält. Für manche Spieler mag dies ungewohnt sein, aber er ist ein anderer Trainer, mit einer anderen Philosophie."

Was van Gaal in spieltaktischer Hinsicht vorhat, ist schwer zu deuten. Sicher ist, dass der Van Gaal ähnlich wie bei der niederländischen Nationalmannschaft zuletzt sehr auf Flexibilität und Variabilität setzen wird.

Er wird sein Spielsystem auch immer am Gegner ausrichten und scheut in Manchester auch nicht davor zurück, die in Stein gemeißelte Viererkette in der Abwehr bei Bedarf aufzuweichen und auf eine Dreierkette mit pendelnden Außenbahnspielern umzustellen.

"Wir haben nur drei Wochen bis Saisonstart, deshalb muss ich alle meine Trainingseinheiten nutzen, um das neue System einzuüben", sagt van Gaal über das aktuell favorisierte 3-5-2. "Die anderen Systeme 4-4-2 oder 4-3-3 kennen die Spieler schon, die spielen sie seit ihrer Jugend, das ist einfach."

Mata sagt: "Alles ist neu, aber wir passen uns allmählich seinem Spielstil an. Er verlangt sehr viel. Aber als Spieler wünscht man sich einen solchen Trainer, der immer mehr fordert, eine bessere Performance verlangt und die Spiele früher oder auf andere Weise gewinnen will."

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Das Personal:

Die Transferperiode vor einem Jahr geriet für United zum Desaster. Einzig Marouane Fellaini konnte Manchester verpflichten - und selbst der Belgier wurde wegen verpasster Fristen völlig überteuert gekauft. Der Abgang von CEO David Gill rächte sich auf schlimmste Weise, zusammen mit Ferguson hatte der 56-Jährige über ein Jahrzehnt lang jeden Transfers eingefädelt und durchgeführt.

Im Sommer 2013 mussten Moyes und Ed Woodward in die Bresche springen - und waren damit heillos überfordert. Woodward war der Mann der großen Sponsorendeals, aber kein ausgewiesener Fachmann für den sportlichen Bereich. Und Moyes im internationalen Vergleich ein zu kleiner Name mit zu wenig Strahlkraft, als dass er eine stattliche Zahl an Hochkarätern hätte anziehen können.

Woodward hat aus seinem ersten Jahr die entsprechenden Lehren gezogen und mit van Gaal nun einen Trainer an seiner Seite, der sehr überzeugend argumentieren und langfristige Pläne offerieren kann.

Bisher stehen mit Ander Herrera (rund 36 Mio. Euro Ablöse, von Athletic Bilbao) und Luke Shaw (37 Mio., von Southampton) zwar auch erst zwei neue Spieler bei den Zukäufen, van Gaal hat aber bereits angekündigt, weiter zu investieren. Ob die ganz dicken Fische wie Arturo Vidal oder Angel di Maria ins OT kommen, ist auch nicht sicher - die Chancen auf Spieler dieser Kategorie sind aber im Vergleich zum letzten Jahr deutlich gestiegen.

Die Opta-Statistiken von ManUnited und ManCity der Saison 2013/14

Als mögliche Zugänge kursieren zudem die Namen von Arsenals Thomas Vermaelen, Stefan de Vrij (Feyenoord) und Daley Blind von Ajax. "Wir reden nicht über Geld, oder wie viel ein Spieler kostet. Wir reden darüber, welche Spieler ich haben will. Und dann müssen wir prüfen, ob wir sie bekommen können. Wir haben auch besprochen, wer gehen kann", sagt van Gaal.

Ein beträchtlicher Teil der alten Garde hat abgedankt. Mit Nemanja Vidic, Rio Ferdinand und Patrice Evra sind drei Viertel der alten Viererkette nicht mehr dabei, Standby-Profi Giggs ist ins Trainerfach gerutscht. "Der Abgang von Rio und Vida ist eine große Chance für Phil Jones, Chris Smalling und Jonny Evans, bei uns das nächste Level zu erreichen", sagt Giggs.

Das hatte zuletzt fast keiner mehr geschafft. Unter Moyes setzte die große Stagnation ein, einige Spieler wie Tom Cleverley, Ashley Young, Shinji Kagawa oder Fellaini wurden sogar Rückschritte in ihrer Entwicklung nachgesagt. Auch das ist eine Baustelle, die van Gaal abarbeiten muss - und kann.

Besonders gespannt sein darf man auf van Gaals Umgang mit den vielen hoffnungsvollen Talenten im Team. Adnan Januzaj (19) war einer der wenigen Lichtblicke der vergangenen Saison und soll seine Entwicklung unter van Gaal fortsetzen. Dazu gibt es in Reece James (20), Nick Powell (20) oder Jesse Lingard (21) ein paar aufstrebende Youngster.

"Wenn man junge Spieler aus dem eigenen Klub aufbaut, kann man sich sicher sein, dass sie die Kultur des Klubs auswendig kennen. Sie wollen diese Kultur verteidigen und mit Stolz mit sich tragen. Wenn du einen Spieler von einem anderen Klub dazu holst, musst du immer erst schauen und abwarten, ob er deine Erwartungen erfüllen kann. Das macht es für alle Seiten schwieriger", erklärt van Gaal sein Bestreben, immer auch die Talente aus dem eigenen Stall nach vorne zu bringen.

Dass aber auch die Jungen keinen besonderen Welpenschutz genießen und schon gar keinen Freifahrtschein haben, machte ihr neuer Trainer unmissverständlich klar. Während der USA-Reise setzte van Gaal immer wieder zusätzliche Einheiten an, weil "keiner meiner Spieler fit ist".

Namentlich pickte er Shaw heraus. Der 19-Jährige ist eines der größten Talente Englands, seine Ablöse erscheint trotzdem viel zu hoch und sein Wochensalär mit kolportierten 100.000 Pfund astronomisch. Van Gaal ließ den bisher teuersten Transfer des Sommers Einzelschichten absolvieren, weil Shaw in den Urlaubswochen offenbar mächtig geschludert hatte.

"Er ist nicht besonders fit. Aber er muss fit sein! Wenn er das nicht ist, kann er nicht die Leistungen bringen, die ich von ihm verlange. Er muss fitter werden und individuell trainieren", sagte Van Gaal. "Ich war immer ein Trainer, der Einzelne im Blick hat und weiß, was die Spieler brauchen."

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