Zurück in die Zukunft

Marco Kieferl
14. Oktober 201510:28
Der FC Liverpool 2015: Jürgen Klopp soll Sturridge, Milner, Can und Co. Beine machengetty
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Jürgen Klopp gilt seit seiner Ankunft bei Liverpool FC als Heilsbringer. Die Fans sehnen sich nach der Meisterschaft, dabei wirkt der Kader noch nicht reif für den großen Sprung. Die Reds anno 2015 sind eine geballte Ansammlung von Potential - was fehlt sind die Konstanten.

An der Merseyside haben sie bald alle Klassiker durch. Nach der Melodie von Agadou ist "Jürgen Klopp, Klopp, Klopp... king of the kop", man "kloppt around the clock tonight" und wenn nichts mehr hilft, gilt ja immer noch "All you need is Klopp". In Sachen Kreativität von Spieler- und Trainergesängen macht man den Anhängern der Reds so schnell nichts vor, in Bezug auf das Anspruchsdenken gilt jedoch selbiges.

Trotz Platz zehn in der Premier League sieht man inmitten der sportlichen Krise dank Klopp plötzlich den verhältnismäßig kleinen Sechs-Punkte-Rückstand auf die Tabellenspitze. "Liverpool hat lange, lange keinen Erfolg gehabt, und sie haben immer wieder den Team-Manager gewechselt. Jetzt haben sie mit mir einen Deutschen geholt, der aber auch keine Wunder vollbringen kann", wirbt Klopp selbst um Geduld und kommt dabei auf den springenden Punkt: "Entwicklung funktioniert nicht ohne Zeit."

Die Anfield Road und Klopp wirken in vielerlei Hinsicht wie gemacht füreinander, doch wie einst in Dortmund wird diese Beziehung Zeit brauchen. Der Kader des Liverpool Football Club ist derzeit der zweitjüngste der Premier League, wurde in den vergangenen beiden Jahren aber stetig durcheinandergewürfelt. Vielversprechende Talente findet man en masse, es fehlt ein wenig an gestandenen, die dem mit 330 Millionen Euro fünftteuerstem Team der Liga die nötige Stabilität verleihen.

Guter Kader - wenig Erfolg

Brendan Rodgers ließ in seinen ersten beiden Jahren Fußball spielen, der Klopps vielzitierten Vollgasveranstaltungen durchaus ähnelte. Im Zuge des Suarez-Transfers plante er, den Kader umzustellen und auf dominanteren Ballbesitzfußball zu setzen. Die Umstellung missglückte und was bleibt, sind letztlich 17 Leihspieler und ein aufgeblähter Kader voll mit ungenutztem Potential.

"Gute Abwehr, gutes Mittelfeld, gute Stürmer, gute Flügelspieler" - so lautete Klopps erstes Fazit über den Kader. Das mag im Detail nicht gänzlich stimmen, ist grundsätzlich aber nachvollziehbar. Englische Medien wie der "Mirror" berichten, dass der 48-Jährige von der Videosichtung seiner Spieler äußerst angetan gewesen sein soll. Verpflichtungen im großen Stil seien im Januar nicht nötig.

Dennoch halten sich die Gerüchte hartnäckig. Auf der Position zwischen den Pfosten hat Simon Mignolet Stück für Stück an Reputation verloren. Der Belgier besticht immer wieder durch tolle Reflexe auf der Linie, hat seine Schwächen aber eindeutig in der Strafraumbeherrschung und war vor allem in der vergangenen Saison immer wieder für einen Patzer gut.

Deutsche Verstärkung?

In der vergangenen Saison musste der 26-Jährige seinen Posten einige Spiele lang für Brad Jones räumen. Gerüchte um mögliche Transfers von Bernd Leno oder Loris Karius scheinen verfrüht, sind aber nicht komplett an den Haaren herbeigezogen.

Liverpools Achillesferse der vergangen Jahre war stets die Abwehr, selbst gegen deutlich schwächere Teams ließ man sich teils auf wilde Schlagabtausche ein. Rodgers Experimente mit der Dreierkette schienen in der vergangenen Saison um Weihnachten herum eine Wende einzuläuten, letztlich sind es aber vor allem individuelle Fehler, die den Reds regelmäßig das Genick brechen.

Martin Skrtel ist mit seiner kompromisslosen Spielweise sowohl in der Mannschaft als auch bei den Fans angesehen. Trotz seiner körperlichen Präsenz ist aber auch er mit 30 Jahren nicht der schnellste und hat Probleme mit wendigen Stürmern. Zu Saisonbeginn bildete er mit Dejan Lovren noch ein stabiles Gebilde, mit der Sprunggelenksverletzung des Kroaten wich jedoch die Sicherheit aus der eingespielten Viererkette.

Neue Chance für Emre Can

Mamadou Sakho ähnelt Skrtel von der Spielweise und hat wie der Slowake Schwächen im Spielaufbau. Kolo Toure gilt mit 34 Jahren als Backup, langfristig fehlt den Reds hier eine bewegliche, spielerisch starke Alternative, wie sie Emre Can in der Dreierkette darstellen konnte. Der Neu-Nationalspieler könnte unter Klopp vollends zum Innenverteidiger umgeschult werden. Die körperlichen Voraussetzungen und das Talent hat Can allemal, ähnlich wie der junge Jerome Boateng leistet er sich bisher aber ab und an Aussetzer und holt sich unnötige Karten ab.

Auf den Außenverteidigerpositionen hat Liverpool zuletzt nachgebessert. Mit den Verpflichtungen des 18-jährigen Joe Gomes und dem nur drei Jahre älteren Alberto Moreno schlug man internationalen Topklubs ein Schnippchen, Nathaniel Clyne auf der rechten Seite zählt zu den wenigen Sommertransfers, die bislang voll eingeschlagen haben. Hier muss Klopp das riesige Potential ausschöpfen und den jungen Wilden etwas mehr Offensivdrang einzuimpfen, um den Flügeln neues Leben einzuhauchen.

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Gute Verteidigung? Die Tendenz geht in die richtige Richtung. Mittelfeld? Gut, aber keineswegs Weltklasse. Gerade in diesem Mannschaftsteil verlieren die Reds nach dem Abgang von Steven Gerrard derzeit noch am meisten auf die Fab Four. Das zentrale Mittelfeld ist mit den eigentlichen Stammspielern Millner und dem erst 25-jährigen Henderson gut aufgestellt. Fehlt der Skipper aber wie in den letzten beiden Monaten mit einem Mittelfußbruch, lässt gerade die Kreativität im Spielaufbau beträchtlich zu wünschen übrig.

Stevie G 2.0

Lucas Leiva und Joe Allen sind Arbeiter, aber keine Taktgeber oder gar Männer für den magischen Pass. Bis Mitte November wird man Henderson schmerzlich vermissen, in einigen Jahren hofft man hier auf Jordan Rossiter. Das 18-jährige Edeltalent aus der eigenen Jugend wird langsam an die Profis herangeführt und wurde durch sein Tor im Pokal zum zweitjüngsten Torschützen der Vereinsgeschichte. Pool-Legende Robbie Fowler verglich ihn bereits 2013 mit Steven Gerrard. SPOX

Eine spielerisch starke Lösung könnte im zentralen Mittelfeld dennoch Sinn ergeben. Portos 18-jähriges Juwel Ruben Neves wird gehandelt, wäre mit einer Ausstiegsklausel von über 40 Millionen Euro aber einmal mehr ein großes Risiko in Liverpools Transferpolitik.

Für Klopps Fußball brauchte es in der Vergangenheit in seinem favorisierten 4-5-1 stehts schnelle, aggressive und vor allem technisch begabte Offensivakteure im Mittelfeld. Im 19-jährigen Jordan Ibe hat Liverpool einen Rohdiamanten, der geradezu dafür prädestiniert ist. Ibe zieht seine Stärke aus seiner Schnelligkeit und einem guten Abschluss, was der ab und an noch etwas verspielte Engländer dafür braucht, ist aber Platz. Den sollen im Optimalfall Adam Lallana, Philippe Coutinho und Ex-Hoffenheimer Roberto Firmino besorgen.

Warten auf Firmino

Während Coutinho aber in den letzten beiden Jahren den Sprung zu Liverpools offensivem Alleinunterhalter gemacht hat, kämpfen Lallana und Firmino mit ihrer Form. Lallana kam im vergangenen Jahr mit großen Vorschusslorbeeren, konnte aufgrund vieler kleinerer Blessuren aber nie die Form aus Southampton bestätigen.

Firmino hat in Hoffenheim Erfahrungen im aggressiven Gegenpressing gemacht und sollte sich schnell in Klopps bevorzugten Spielstil einfinden. Noch ist dem Brasilianer die Anpassung an die Premier League nicht vollends geglückt, eine Rückenverletzung erfordert Geduld über das geplante Rückkehrdatum vom 25.10 hinaus.

Was fehlt, ist neben Ibe ein klassischer Flügelspieler. Coutinho und Millner können die Position bekleiden, suchen aber wie Firmino in Hoffenheim verstärkt den Weg durch die Mitte. Gerüchte um Andre Ayew machen derzeit an der Anfield Road die Runde. Der 25-Jährige machte mit vier Toren in seinen ersten acht Spielen auf der Insel auf sich aufmerksam.

Hoffen auf Sturridge

Die größte Konstante im Kader bietet der Angriff. Dort wurde mit Christian Benteke eine teure, aber hochwertige Ergänzung zum verletzungsanfälligen Daniel Sturridge gefunden. Der Engländer meldete sich mit zwei Toren in seinen ersten drei Spielen der Saison standesgemäß zurück, konnte sich mit dem angeschlagenen Benteke aber noch nicht einspielen. Divock Origi und Danny Ings stellen die beweglichen Alternativen zu Benteke dar und bringen ihre Schnelligkeit gewinnbringend ein. Angesichts des Überangebots im Sturm wäre ein 4-3-3 oder eine Alternative mit zwei Angreifern durchaus denkbar.

Jürgen Klopp wurde zu Beginn nicht müde zu betonen, dass er seinen Drei-Jahres-Vertrag brauchen werde, um die Entwicklung seiner Mannschaft gewinnbringend voranzutreiben. Neben seiner eigenen Umstellung auf eine andere Liga wird er dabei sicherlich auch seinen hochtalentierten, aber eben extrem jungen Kader im Blick gehabt haben.

Entwicklung braucht Zeit

Zeit brauchte Klopp auch, als er 2008 in Dortmund anheuerte. Damals starrte er in der Kabine nicht nur in die Augen von Spielern wie Delron Buckley oder Alex Frei. Inmitten der altbewährten, aber erfolglosen Dortmunder Generation blickten auch die 20-jährigen Nuri Sahin und Marcel Schmelzer sowie der 19-jährige Kinderriegel aus Neven Subotic und Mats Hummels zu ihm auf. Spieler, die nur drei Jahre später ihre erste Meisterschaft in Schwarz-Gelb feiern durfte.

An der Merseyside wartet schon viel länger auf den einen Titel, wenn am Ende aber der eine, von Klopp bereits angedeutete Triumph stehen sollte, wird man sich gerne in Geduld üben und sicher noch den ein oder anderen Klopp-Song schmettern.

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FC Liverpool: Kader und Termine