"Pep war ein Alien in Deutschland"

Andreas Lehner
27. September 201617:28
Pep Guardiola war von 2013 bis 2016 Trainer des FC Bayern Münchengetty
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Guillem Balague hat 2012 mit seiner Biographie ein Standardwerk über Pep Guardiola geschrieben. Im September ist eine überarbeitete Fassung mit Details zu Guardiolas Zeit beim FC Bayern erschienen. Im Interview erklärt Balague, warum Guardiola in München nicht verstanden wurde, warum Interviews keine Lösung sind und warum er bei Manchester City zuhause ist.

SPOX: Herr Balague, wie fällt Ihr Fazit von Guardiolas Station in München aus?

Guillem Balague: Pep war ein Alien, das mit einer sehr unterhaltsamen Form des Fußballs erschien und wieder verschwand.

SPOX: Ein Alien? Das müssen Sie uns erklären.

Balague: Ich habe den FC Bayern in den drei Jahren unter Pep sehr genau verfolgt und in den letzten sechs Monaten seiner Amtszeit mit allen relevanten Personen gesprochen...

SPOX: Konnte Sie auch mit Guardiola selbst sprechen?

Balague: Nur so viel: Ich habe mit allen Personen gesprochen, mit denen ich reden wollte.

SPOX: Und nach all diesen Gesprächen haben Sie festgestellt, Guardiola war in München wie ein Alien?

Balague: Pep kam mit einer Idee nach München. Einer Idee, die er über viele Jahre in Barcelona von seinem Mentor Johan Cruyff vermittelt bekommen hatte und die er als Trainer von Barca zum Höhepunkt führte. Für Pep kam die Idee immer zuerst, nur ein Spieler durfte machen, was er wollte: Lionel Messi. Meine Analyse ist, dass Guardiola in München nie vollständig verstanden wurde, weder von den Spielern noch vom Verein.

SPOX: Woran machen Sie das fest?

Balague: Nehmen wir das Beispiel Franck Ribery. Er hat sein ganzes Leben ein Spiel gespielt und Pep wollte aus ihm eine Nummer zehn machen. Aber Ribery wollte nicht, weil es nicht sofort geklappt hat und er nicht verstand, was er in der Mitte machen sollte. Nach einem Monat hat er gefragt, ob er wieder auf seine alte Position darf.

SPOX: Ribery spielt jetzt unter Trainer Carlo Ancelotti nicht wie an die Seitenlinie gepinnt, außerdem hat er sich nicht gerade wohlfällig über Guardiola geäußert. Ist zwischen beiden etwas vorgefallen?

Balague: Nicht, dass ich wüsste. Guardiola ist nicht gnadenlos, er wird auch nicht persönlich, es geht immer nur um drei Dinge: Fußball, Fußball und Fußball. Das ist für die Spieler nicht immer leicht zu verstehen - das war es auch in Barcelona nicht. Er hat viele Spieler auf andere Positionen gestellt und sie korrigiert. Carles Puyol hat das mit sich machen lassen, weil er verstand, wie Guardiola tickte. Aber bei Eric Abidal war das anders. Er hat gesagt: 'Ich bin französischer Nationalspieler, ich weiß, was ich tun muss. Was willst du von mir?' So war das bei Ribery auch. Abidal hat spät gemerkt, dass er eine neue Sicht auf den Fußball kennenlernt und noch besser wird.

SPOX: Warum hat der Verein Guardiola nicht verstanden?

Balague: Viele Leute im Klub haben ihn verstanden, Uli Hoeneß und Paul Breitner zum Beispiel, aber eben nicht alle. Als Pep sechs Monate im Klub war, wurde klar, dass Toni Kroos den Verein verlassen wird. Aber Kroos war essentiell für Pep, er wollte ihn behalten. Als Ersatz hat ihm der Vorstand Sami Khedira angeboten. In diesem Moment hat Pep gemerkt, dass er und der Klub andere Ansichten und Prioritäten haben. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er gemerkt, dass es nicht einfach wird, seine Idee durchzusetzen. Diese Schlussfolgerung hat ihn traurig gemacht.

SPOX: Seitdem Uli Hoeneß aus dem Gefängnis entlassen worden ist, verteidigt er Guardiola. Wäre es in den drei Jahren mit Hoeneß an seiner Seite für ihn leichter gewesen?

Balague: Sammer war eine große Hilfe, Rummenigge ist anders als Hoeneß. Er ist kälter, weniger herzlich und eher aufs Geschäft bedacht. Die Beziehung zwischen Pep und den Bossen ist nie wirklich zerbrochen. Aber wenn man zwei verschiedene Sprachen spricht, ist es schwierig.

SPOX: Aber Guardiola hat auch Spieler bekommen, die er unbedingt wollte wie Thiago, Xabi Alonso oder Douglas Costa.

Balague: Ja, er hat aber mehr dafür kämpfen müssen als er das gewohnt war. Xabi Alonso wollte Pep schon viel früher holen, weil er ohne Kroos einen Spieler mit diesen Fähigkeiten brauchte. Bayern hat aber erst reagiert, als sich Javi Martinez und Thiago verletzt hatten. Ich glaube, dass es für Pep frustrierend war, seinem Boss Dinge erklären zu müssen, die dieser eigentlich hätte selbst sehen müssen. Er hätte sich eine andere Konversation gewünscht, aber diese Diskussion über Inhalte hat nicht stattgefunden, das war eine Einbahnstraße.

SPOX: Wenn Sie glauben, dass Guardiola nicht verstanden wurde, was bleibt dann von seiner Idee in Deutschland?

Balague: Ich glaube wenig. Außer Thomas Tuchel hat kein Trainer Guardiolas Fußball als stilbildend empfunden. Die Bundesliga ist sehr attraktiv und es wird allgemein ein anderer Spielstil gepflegt. Für jeden, der ein neues Konzept einbringt, ist es schwierig. Das war auch für Pep so. Er kommt zum FC Bayern, der gerade das Triple gewonnen hat und die Leute fragen: Warum ändert der so viel?

SPOX: Weil Bayern mit Guardiola nicht nur einen Trainer, sondern eine Idee geholt hat.

Balague: Richtig. Die Zuschauer haben den Fußball genossen und viele haben gesagt, das war der beste FC Bayern, den sie je gesehen haben. Trotzdem war sein Abschied nicht außergewöhnlich herzlich, das mag daran gelegen haben, dass er eben nicht völlig verstanden und als Konsequenz auch nicht geliebt wurde.

SPOX: Seine angebliche Distanz zu Fans, Medien und Spielern war am Ende ein großes Thema. Warum hat es Guardiola nicht geschafft, den Großteil der Leute auf seine Seite zu ziehen?

Balague: Pep trifft keine Entscheidung, damit ihn die Fans oder Spieler leben, es geht immer nur um Fußball. Viele Leute haben mir erzählt, es hätte sie gestört, dass Pep Bayern nur als Projekt betrachtet habe. Es sei so gewesen, wie wenn ein CEO von Pepsi zu Apple wechselt. Er kümmert sich darum, dass alles läuft und sich der Erfolg einstellt, aber er hängt nicht mit dem Herzen daran. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Pep liebt seinen Job, er hat von früh bis spät hart gearbeitet, damit sein Team auf verschiedene Szenarien vorbereitet ist und das Publikum unterhalten kann. Aber bei den Fans ist offenbar nicht angekommen, dass er so viel Leidenschaft in die Aufgabe gesteckt hat.

SPOX: Am Ende hatte er auch die Medien als Vermittler seiner Arbeit gegen sich.

Balague: Das mache ich an zwei Dingen fest. Da ist zum einen die Sprache. Mit seiner ersten Pressekonferenz auf Deutsch hat er die Leute für sich gewonnen. Ich spreche kein Deutsch und kann das nicht beurteilen, aber mir wurde berichtet, dass sein Deutsch danach nie wirklich besser wurde. Das war ein Hindernis. Zum zweiten die Medien selbst. Man konnte Pep auf jeder Pressekonferenz jede Frage stellen, aber nicht jeder wollte das. Und als sein Abschied feststand, hatte er die großen Zeitungen gegen sich. Es kamen immer wieder Geschichten raus, die nur aus dem Klub stammen konnten. Das hat die Beziehung mit den Medien entscheidend beeinflusst. Viele Reporter waren froh, dass Pep geht, weil sie keine Nähe zu ihm aufbauen konnten. Aber die Medien müssen sich auch selbst fragen, wie es so weit kommen konnte.

SPOX: Hätte Guardiola die Situation entspannen können, wenn er in Einzel-Interviews seine Idee und Pläne detailliert erklärt hätte?

Balague: Pep hat eine andere Sichtweise. Wenn er einem Medium ein Eins-zu-eins-Interview gibt, hat er 20 andere, die auch eines wollen. Und wenn er dann auswählt, bringt er die Verschmähten gegen sich auf. Ein Interview ändert also nichts. Es ist aus seiner Sicht sogar weniger gerecht. Es ist ein Jammer, dass die Journalisten in drei Jahren nicht verstanden haben, was Guardiola will, nur weil sie keine Interviews führen durften. Sie haben ihn nicht verstanden und er konnte es nicht erklären.

SPOX: Die Medien in England gelten auch nicht gerade als zimperlich. Allerdings sind sie daran gewöhnt, keine Interviews zu bekommen und Guardiolas Englisch ist auch besser. Kommt er da besser durch als in Deutschland?

Balague: Das kann man noch nicht sagen, im Moment läuft es sehr gut. Er ist gut drauf, die Leute sind neugierig und er erklärt Details. Die englische Medienlandschaft hat sich auch ein wenig gewandelt. Natürlich gibt es die Tabloids, die an negativen Geschichten interessiert sind. Aber wenn das Team gewinnt, geht es immer um das Warum. Wie hat er dies und jenes gemacht? Wie hat er Sterling in diese Verfassung gebracht? Warum ist Kolarov in der Innenverteidigung so gut? Aber das war in Deutschland zu Beginn ähnlich und man muss abwarten, was passiert, wenn das Team nicht alle Spiele gewinnt. Vielleicht sind auch die unterschiedlichen Voraussetzungen ein Faktor. Als Pep nach Deutschland kam, wurde er als Heiliger empfangen. Als er nach England kam, hatte er nicht alles gewonnen und alle sagten, die Premier League sei die größte Herausforderung. Er hat nicht den Kader, den er bei Bayern oder Barcelona hatte. Die Leute denken gerade: Oh, der Typ muss der beste Trainer der Welt sein, so schnell er City auf Kurs gebracht hat.

SPOX: Kommt es auch für Sie überraschend, dass City so schnell so gut funktioniert?

Balague: Für mich stellt sich eher die Frage, was die anderen Trainer eigentlich so machen. Deren Teams wirken langsam und ihr Spielstil oldschool, wenn sie gegen City spielen. Pep ist auf einem komplett anderen Level.

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SPOX: Guardiola hat auch immer wieder betont, er sei noch ein junger Trainer und wolle in Deutschland lernen. Hat ihn die Zeit in München zu einem besseren Trainer gemacht?

Balague: Daran besteht kein Zweifel. In Barcelona stand die Idee über allem. In Deutschland hat er gelernt, sich an die Qualitäten der Spieler anzupassen. Guardiolas Bayern war ein viel komplexeres Team als sein Barcelona. In der Bundesliga geht es um schnelles Umschalten, also hat er sich darauf eingestellt. Es war aber nicht komplett neu für ihn. Es herrscht ja oft die Vorstellung Peps Teams sollten nur passen, passen, passen und auf Ballbesitz spielen. Aber schauen Sie sich das legendäre 6:2 Barcas im Bernabeu an, da gab es viele Kontertore. Bei Manchester City führt er diese Arbeit fort. Er wird auch City zum komplexesten Team der Premier League oder sogar der Welt machen.

SPOX: Hilft es Guardiola, dass mit Txiki Begiristain und Ferran Soriano zwei ehemalige Weggefährten aus Barcelona bei City das Sagen haben?

Balague: Klar, auf jeden Fall. Sie teilen dieselbe Vorstellung von Fußball und kennen Peps Idee. Der Wechsel zu City war ein Wiedersehen mit Freunden und ein bisschen wie Nachhause kommen. Deshalb hat er sich auch für City entschieden.

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SPOX: Welche Angebote hatte er noch?

Balague: Chelsea wollte ihn und hatte sogar vor, Begiristain und Soriano abzuwerben, um ihn zu überzeugen. Auch Alex Ferguson hat versucht, Guardiola zu Manchester United zu lotsen. Als klar war, dass Pep zu City geht, hat Ferguson mit Pocchettino geflirtet und nicht mit Mourinho, weil Ferguson einen modernen Coach wollte, der sich mit Details befasst und eher zum Stil von United passt.

SPOX: Es heißt immer wieder, Guardiola verfolge einen klaren Lebensplan. Was steht noch auf seiner Liste?

Balague: Er wird keine zehn Jahre bei City bleiben. Sein Vertrag läuft drei Jahre und ich denke, er sieht auch diesen Job als Drei-Jahres-Projekt. Eine Nationalmannschaft reizt ihn ebenso wie Italien. Aus seinem Umfeld habe ich gehört, dass er irgendwann auch in einer anderen Funktion nach Barcelona zurückkehren will.