In diesen Tagen dreht sich im Osten Englands alles um Kobolde. Der Fünftligist Lincoln City FC, dessen Spieler wegen der Legende vom Kobold von Lincoln auch Imps genannt werden, mischt derzeit den ältesten Fußball-Wettbewerb der Welt auf. Neben dem Sutton United FC steht mit Lincoln zum ersten Mal in der Geschichte ein zweiter Teilnehmer aus der National League unter den letzten 16 Teams im FA Cup.
Dementsprechend viel Betrieb herrscht an der Sincil Bank, dem Stadion der Imps, vor dem Spiel gegen den FC Burnley. Um an eine Karte für das erste Fünftrunden-Spiel seit 130 Jahren zu kommen, harrten hunderte Fans stundenlang und bei eisigen Temperaturen an den Ticketschaltern aus. Der Verein spendierte den Wartenden Tee und Kaffee.
Aufgrund der jüngsten Erfolge wurde in Lincoln sogar ein Tag eigens für Medienvertreter einberufen. Für eine Mannschaft, deren Alltag Woking FC oder Torquay United heißt, ist das doch eher ungewöhnlich. Und so wurden die Spieler stundenlang zum bisherigen Saisonverlauf befragt. Die Antworten dürften ausschließlich positiv ausgefallen sein. Immerhin führt man die National League an und hofft nach sechs Jahren im Non-League-Football auf einen Wiederaufstieg in die Professionalität.
Der FA Cup ist dabei Fluch und Segen zugleich. Einerseits bedeutet jedes zusätzliche Spiel zusätzliche Belastung im eh schon picke packe vollen Terminkalender. Andererseits spielt der Pokal Geld ein, das der Verein sehr gut gebrauchen kann.
72 Tabellenplätze niedriger
Die Erfolgsstory im Cup begann in der ersten Runde gegen den Altrincham FC, der in der sechsten Liga angesiedelt ist. Außerdem konnten Oldham Athletic sowie Brighton and Hove Albion, zu diesem Zeitpunkt 72 Tabellenplätze über Lincoln, besiegt und der Einzug in die fünfte Runde perfekt gemacht werden.
Doch das eigentliche Highlight hatten die Imps bereits in Runde drei erlebt. Bei Ipswich Town erzwangen sie durch ein 2:2 ein Entscheidungsspiel. Dieses hätte emotionaler nicht sein können. Vor der Partie gedachten die Fans des fünf Tage zuvor verstorbenen ehemaligen England-Coaches Graham Taylor, der in Lincoln seine Trainerkarriere begann und als bekanntester Sohn des Vereins gilt, mit Transparenten und einer Gedenkminute.
Auf dem Feld sah es lange nach einem erneuten Unentschieden nach 90 Minuten aus. Doch Nathan Arnold hatte in der letzten Minute etwas dagegen und besorgte den umjubelten Sieg. Während alle ekstatisch feierten, blieb einer ganz ruhig: Trainer Danny Cowley. Nach dem Schlusspfiff ging er erst auf die Gäste zu und gab ihnen fair die Hand. Danach klatschte er mit den Fans ab, die von den Rängen aufs Spielfeld gerannt waren.
"Das Gute an diesem Niveau [fünfte Liga, d. Red.] ist, dass man noch eine Verbindung zu den Menschen hat. Im Fußball geht es um Emotionen. Man hat gesehen, was den Leuten dieser Sieg bedeutet. Man konnte es in ihren Gesichtern sehen und das inspiriert mich, weiter hart zu arbeiten", fasste er nach dem Last-Minute-Erfolg zusammen, was für ihn bei seiner Arbeit im Mittelpunkt steht.
"Er sieht aus, als käme er aus dem Pub"
Geschichten wie diese zeigen, warum er seinen Job als Turnlehrer aufgab. Das war die Voraussetzung dafür, dass Lincoln den Trainer vom Ligakonkurrenten Braintree Town unter Vertrag nahm. Zusammen mit seinem Bruder Nicky, der hauptsächlich als Videoanalyst arbeitet, brachte er den Erfolg zu den Imps zurück.
The Magic of the FA Cup: So verrückt war Runde vier
Grundlage dafür ist die Akribie, mit der das Brüderpaar täglich arbeitet. Die Spiele der kommenden Gegner werden in kleinste Teile zerlegt. Jede Bewegung, jeder Eckball wird genauestens unter die Lupe genommen. "Er tippelt, er zögert, er löst sich von der Abwehr und geht an den zweiten Pfosten", so könne sich ein Gespräch bei einer Analyse anhören, erklärt Cowley.
Neben der peniblen Vorbereitung setzen die Imps auch auf Mittelstürmer Matt Rhead. Seine bullige Statur - 106 Kilogramm auf 1,93 Metern Körpergröße - könnte den Gegner dazu verleiten, ihn zu unterschätzen. Dazu bedient er mit seinem lichten Haar und Bauchansatz alle Stereotypen des klassischen Non-League-Kickers. "Er sieht aus, als käme er aus dem Pub" oder "Was isst er vor dem Spiel? Einen Fleischkuchen?" sind Dinge, die er in den sozialen Medien über sich ergehen lassen muss.
Ein Haufen Kumpels
Dennoch sollte der FC Burnley gewarnt sein: In der laufenden Saison traf Rhead bereits 13 Mal und bereitete weitere zehn Treffer vor. "Die Leute haben schon in den letzten drei Spielen nicht mit uns gerechnet. Wir haben nichts zu befürchten, obwohl wir auf ihre guten Spieler achten müssen", gibt er die Marschrichtung für die Partie vor.
Im bisherigen FA-Cup-Verlauf war vor allem mannschaftliche Geschlossenheit und Kampfgeist Trumpf. Diese Komponenten verkörpern die Spieler sowohl bei ihrer Arbeit als auch in ihrem Privatleben. Vier von ihnen leben sogar zusammen in einem vereinseigenen Haus. "Wir sind ein Haufen Kumpels, die nicht gerade domestiziert sind. Aber wir haben viel Herz und Charakter, um uns auf und neben dem Platz gegenseitig zu helfen", beschreibt Adam Marriott sein Zusammenleben mit Sean Raggett, Alex Woodyard und Sean Long.
Nach dem Spiel gegen Ipswich sagte Cowley: "Es macht mir Angst, dass der Fußball durch das ganze Geld mittlerweile so weit von der Realität entfernt ist, dass Leute nicht mehr mit dem Herzen dabei sind." Vom Lincoln City FC kann man das nicht gerade behaupten - trotz des medialen Hypes.