Alexis Sanchez wusste einfach nicht mehr, was er fühlen sollte. Der FC Arsenal hatte am Sonntagnachmittag gerade das 0:3 beim FC Liverpool kassiert. Arsenal, sein Verein, der irgendwie gar nicht mehr sein Verein war. Vier Tage blieben da noch, bis das Transferfenster schließt. Vier Tage für Sanchez, um seinen Wechsel-Wunsch zu verwirklichen. Vergeblich. Der Transfer platzte und Arsenal ist weiterhin sein Verein. Gezwungenermaßen.
Die Liverpool-Spieler jubelten jedenfalls am Sonntag und Sanchez ging alleine über den Platz. Ohne Ziel. Er zog sich sein Trikot vors Gesicht und ließ es wieder um seinen Körper fallen. Er hockte sich auf den Rasen, schaute ins Nichts und zog sich das Trikot wieder vors Gesicht. Dann lief er noch etwas über den Platz. Fünf Minuten später wurde er ausgewechselt. Wütend und verzweifelt, er und sein Klub wurden vorgeführt. Mal wieder.
Sanchez setzte sich auf die Bank, zog sich sein Trikot noch einmal vors Gesicht und weinte. So saß er dann da. Arsenal kassierte bald das vierte Gegentor und jetzt grinste Sanchez auf einmal. Galgenhumor. Es war der finale Akt einer Entfremdung, die eigentlich schon mit seiner Ankunft in London im Sommer 2014 begonnen hatte.
Bevor Sanchez zu Arsenal kam, hatte er drei Jahre lang beim FC Barcelona gespielt. Immer etwas im Schatten von Lionel Messi und in seiner letzten Saison auch in dem von Neymar. Und dann stand auch noch der Transfer von Luis Suarez kurz vor dem Abschluss. Zu viele Stars. Sanchez wollte selbst im Mittelpunkt stehen, also wechselte er für 42,5 Millionen Euro zum FC Arsenal. "Ich bin gekommen, um den Meistertitel und die Champions League zu gewinnen", sagte Sanchez bei seiner Ankunft.
Alle lachen außer Sanchez
Seine Leistungen entsprachen dann auch seinen Ansprüchen: In 145 Pflichtspielen für Arsenal erzielte Sanchez 72 Treffer und bereitete 42 weitere vor. Obwohl Sanchez also lieferte, musste er jedes Jahr aufs Neue erkennen, dass er für die Verwirklichung seiner Ziele beim falschen Verein unterschrieben hatte. Immer dann, wenn Arsenal wieder keine ernsthafte Rolle im Premier-League-Titelkampf spielte. Immer dann, wenn Arsenal wieder im Achtelfinale der Champions League scheiterte. Immer dann, wenn der Kader trotz der Enttäuschungen wieder nicht prominent verstärkt wurde.
Zweimal hoffte Sanchez auf das nächste Jahr und einen neuen Anlauf, beim dritten Mal nicht mehr. Im Frühling 2017 verlor er wohl den Glauben an große Titel mit Arsenal. Nach einer 1:5-Pleite im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Bayern wurde Sanchez im Rückspiel beim Stande von 1:2 ausgewechselt. Wieder hatte er die Chance auf einen großen Titel frühzeitig verpasst. Von der Bank aus beobachtete Sanchez die Schlussphase, in der seine Kollegen noch drei weitere Treffer kassierten. Er lachte, verzweifelt und hämisch.
Wenige Wochen zuvor lachten dagegen alle außer Sanchez. Arsenal hatte in der Schlussphase gegen den AFC Bournemouth ein 0:3 in ein Remis verwandelt und die Arsenal-Spieler jubelten. Alle bis auf Sanchez. Er war wütend und schmiss seine Handschuhe auf den Boden. Sanchez wollte kein Remis gegen Bournemouth, sondern einen Sieg. "Er ist ein Siegertyp", lobte sein Trainer Arsene Wenger seinen Stürmer mal. Aber auch: "Er ist ein Typ, der überall kämpfen will, manchmal auch da, wo er nicht kämpfen sollte."
Sanchez wollte für den Titel kämpfen. Nach dem Remis gegen Bournemouth musste er erneut feststellen, für einen Verein zu spielen, der letztlich mit dem einen oder anderen Pokalsieg, Platz vier in der Meisterschaft und der damit einhergehenden Chance auf eine Champions-League-Qualifikation zufrieden ist. "Ich bin glücklich, wenn die Leute verstehen, dass es nicht so einfach ist unter die ersten vier zu kommen", sagte Wenger im Frühling. Mit solchen Ansprüchen identifizierte sich Sanchez nie.
Ein Transfer-Theater mit mehreren Schauplätzen
Zum Ende der vergangenen Saison erreichte Arsenal aber nicht einmal diese Ansprüche. Stattdessen: Platz fünf und die Europa League. Arsenal wollte den 2018 auslaufenden Vertrag mit Sanchez verlängern und bot sogar eine Gehaltsverdoppelung an, doch Sanchez lehnte ab. Ihm ging es dabei vorrangig um die sportlichen Aussichten. "Ich möchte in der Champions League spielen", sagte er zu Beginn der jetzt abgelaufenen Transferphase. Denn das ist bekanntlich die Voraussetzung, um sie auch zu gewinnen. Sanchez' eigentliches Ziel.
Er brachte sich somit selbst auf den Markt und dies schreckte alle europäischen Top-Klubs auf, die dasselbe Ziele haben wie Sanchez: den Champions-League-Titel. Es folgte ein wochenlanges Transfer-Theater mit mehreren Schauplätzen. Das Pariser Luxushotel Monceau etwa, in dem Sanchez Mitte Juli mit seinen Beratern und PSG-Verantwortlichen verhandelt haben soll.
Oder Sanchez' Heimstadt Tocopilla in Chile, wo er bis Ende Juli Urlaub machte. Eine Grippe soll er sich eingefangen haben, weshalb er länger dort bleiben wollte. Sogar ein erklärendes Foto postete er auf Instagram. Arsenal traute ihm nicht und schickte einen Arzt nach Chile, um die Erkrankung zu überprüfen. Es wirkte, als wolle Sanchez gar nicht zurück zu Arsenal. Der entsandte Arzt stellte aber tatsächlich eine Erkrankung fest und Sanchez kam auch bald zurück nach London.
Sanchez ist im nächsten Sommer ablösefrei
Körperlich, aber wohl nicht gedanklich. Trotz aller Dementis von Wenger wurde gemunkelt, Sanchez könnte nach München zum FC Bayern wechseln oder nach Manchester zu City. Da der FCB Sanchez' englandverwöhnte Gehaltsansprüche aber nicht erfüllen wollte, blieb letztlich nur City als ernsthaftes Ziel.
Am Abend des Deadline Day wurde es dann hektisch. Manchester City hatte angeblich bereits ein Ärzte-Team nach Chile geschickt, wo Sanchez nun nicht krank weilte, sondern im Einsatz für sein Land war. Die Ärzte standen bereit, um den Medizincheck durchzuführen. Arsenal wollte Sanchez aber nur abgegeben, wenn es einen Ersatz bekommen hätte. Thomas Lemar etwa, doch der Wechsel des Monaco-Stürmers scheiterte und deshalb auch der von Sanchez.
Im kommenden Sommer läuft der Vertrag von Sanchez aus. Dass er Arsenal dann ablösefrei verlassen wird, ist klar. Bis dahin spielt Sanchez für einen Klub, mit dem er eigentlich abgeschlossen hatte. Für einen Klub, dessen Ansprüche sich nicht mit seinen eigenen decken.