5:0 gegen den FC Liverpool. 6:0 beim FC Watford. 5:0 gegen Crystal Palace. Seitdem Manchester City in der Premier League keine Tore mehr kassiert und stattdessen immer recht viele schießt, sind schlechte Nachrichten, die den Klub betreffen, zu kuriosen Seltenheiten verkommen.
Ilkay Gündogans Verletzung beim erstaunlich knappen 2:1 im League Cup bei West Bromwich Albion war bis hierhin die letzte. Aber auch die war nur eine auf Zeit, denn bereits einen Tag später gab es Entwarnung. Es handle sich lediglich um eine Kniegelenksverstauchung, ließ Gündogan ausrichten: "Nicht schwerwiegend."
Bald hat Trainer Pep Guardiola also auch den deutschen Nationalspieler zurück und somit mehr denn je das, was gemeinhin als Qual der Wahl bezeichnet wird. Der Kader von City umfasst zwar nur 21 Spieler, aber 21 Spieler, die auf höchstem Niveau etabliert sind. Sie alle sind aktuelle oder ehemalige Nationalspieler und sie besitzen laut transfermarkt.de einen durchschnittlichen Marktwert von 28,02 Millionen Euro - und damit in der Premier League beinahe vier Millionen mehr als die des Zweitplatzierten in diesem Ranking, des FC Chelsea.
Bis auf Nachwuchshoffnung Oleksandr Zinchenko kamen in dieser Saison bereits alle Spieler des Profi-Kaders zum Einsatz. "Es ist unmöglich, mit 13 oder 14 Spielern zu überleben", sagt Guardiola. "Wir brauchen diesen Konkurrenzkampf." Statt einer wirklichen Stammelf verfügt er über ein Pool an verschiedensten Spielertypen mit verschiedensten Fähigkeiten, die in der Lage sind, verschiedenste Systeme zu spielen.
Guardiola genießt es zu experimentieren und richtete seine Elf in dieser Saison bereits im 3-1-4-2, 4-1-4-1, 4-1-3-2 und 4-3-3 aus. Verschiedenste Systeme, die auch mit verschiedensten taktischen Ausrichtungen unterlegt sind. Guardiola lässt nämlich nicht nur klassischen Guardiola-Fußball spielen, sondern auch mal direkter oder flügellastiger. Je nachdem, womit der jeweilige Gegner schlechter zurechtkommt.
Manchester Citys neue Defensive
Die Basis dafür ist die Defensive, die neue Defensive. "Wir brauchen Verteidiger", hatte Guardiola nach der abgelaufenen Saison gefordert. Und Guardiola bekam neue Verteidiger (und mit Ederson auch einen neuen Keeper). Für insgesamt 138,5 Millionen Euro verpflichtete City Benjamin Mendy (23 Jahre), Kyle Walker (27) und Danilo (26) und ersetzte so die deutlich älteren Vorgänger auf den defensiven Außenpositionen. "Sie sind jung, haben viel Energie und ziehen unser Spiel in die Breite", lobt Guardiola.
Wenn der Trainer seine Abwehr in einer Dreierkette formiert, besetzen die Außenverteidiger die ganzen Flügel. "Dadurch haben wir mehr Spieler in der Mitte", erklärt Guardiola. Speziell Mendy steht auf der linken Seite stets äußerst hoch. Bei fast jedem Angriff bietet er sich tief in der gegnerischen Hälfte an und flankt viel.
Walker auf rechts agiert lediglich etwas zurückhaltender, Danilo ebenfalls. Er kam darüber hinaus auch schon als Teil der Dreierkette zum Einsatz - und auf der linken Außenbahn. Gelebte Polyvalenz.
De Bruyne und Silva als Schaltzentrale
Direkt vor der Abwehr räumt Fernandinho ab, davor spielen meist David Silva und Kevin De Bruyne. Das spanisch-belgische Duo ist die Schaltzentrale von City: Silva lieferte in dieser Saison wettbewerbsübergreifend bereits sieben Assists, De Bruyne vier. Gemeinsam mit Manchester Uniteds Henrikh Mkhitaryan sind sie auch die Spieler mit den meisten Torschussvorlagen der Liga.
Speziell De Bryune begeistert mit seiner Übersicht und seinem Spielverständnis, gerade mit vorletzten Pässen kreiert er unzählige Chancen. "Es wirkte manchmal, als würde er ein anderes Spiel spielen als alle anderen", pries der Guardian De Bruynes Vorstellung gegen Liverpool. "Er ist einer der besten Spieler, die ich in meinem Leben gesehen habe", sagte Guardiola. "Er kann alles, absolut alles. Er ist komplett."
Kaum ein Spieler entwickelte sich bei City unter Guardiola so augenscheinlich weiter wie De Bruyne. 2015, ein Jahr bevor Guardiola kam, war er für 74 Millionen Euro vom VfL Wolfsburg nach Manchester gewechselt - und ist mit dieser Summe immer noch der Rekordeinkauf von City. Aktuell rechtfertigt De Bryune diesen Titel.
Agüero, Jesus, Sterling und Sane: Vier Stürmer, die liefern
Im zweiten Jahr unter Guardiola finden sich aber auch die übrigen Offensivspieler von City mit den Ideen ihres Trainers immer besser zurecht. "Vor der letzten Saison herrschte eine große Euphorie, aber jetzt sind wir stabiler und kennen uns besser", erklärt Guardiola. "Wir machen jetzt viele Dinge, die wir damals noch nicht machen konnten." Das gilt für die Mittelfeldspieler genau wie für die vier Stürmer: Sergio Agüero, Gabriel Jesus, Raheem Sterling und Leroy Sane.
Sie alle bekommen reichlich Spielzeit und sie alle liefern: Jeder Vertreter des Quartetts hat wettbewerbsübergreifend bereits mindestens fünf Mal getroffen, Chancen zu noch mehr Toren gab es reichlich. Das Zusammenspiel und die Laufwege der Offensivspieler sind mittlerweile perfekt abgestimmt - egal in welcher Konstellation. "Es muss ein absoluter Traum für einen Angreifer sein, in diesem Team zu spielen", sagt Premier-League-Rekordtorschütze Alan Shearer.
Sogar für Agüero entpuppt sich das Trainer-Engagement von Guardiola als Traum, wo doch in der vergangenen Saison noch einiges auf den Beginn eines Albtraums hingedeutet hatte. Obwohl Agüero 20 Treffer erzielte, war Guardiola unzufrieden mit ihm - und kritisierte ihn sogar öffentlich. "Er ist ein Typ, den man ermutigen muss zu spielen und nicht nur Tore zu erzielen", sagte Guardiola. Nun scheint der Trainer mit der Reaktion seines Stürmers zufrieden zu sein. Jüngst huldigte er Agüero gar als "absolute Legende".
Agüero fehlt nur mehr ein Treffer, um mit Citys Rekordtorschützen Eric Brook (177 Treffer) gleichzuziehen. Bei den drei zurückliegenden Schützenfesten spielte Agüero durch, traf jeweils und bereitete auch jeweils einen Treffer vor. Somit hält er in der Premier League aktuell bereits bei gleich vielen Assists wie in der ganzen vergangenen Saison. Zweimal servierte er dabei Jesus, der über weite Strecken der Rückrunde für Agüero mehr Rivale als Kollege war. Mittlerweile vertraut ihnen Guardiola zunehmend auch als Doppelspitze und lobt: "Sie passen gut zusammen."
Das Duell mit dem Meister als Gradmesser
Die bisher beeindruckendste Vorstellung von City in dieser Saison war der 6:0-Sieg bei Watford. Während des Spiels stand Guardiola lächelnd an der Seitenlinie und die Fans sangen seinen Namen. "Nach diesem Sieg konnte man das Gefühl haben: 'Oh nein, wir können uns nicht noch weiter verbessern'", sagte Guardiola danach und schob eilig hinterher: "Aber natürlich können wir uns verbessern!" Manisch wird er nach Dingen suchen, die es zu optimieren gilt.
Zum gleichen Zeitpunkt der vergangenen Saison hatte City in der Premier League zwar zwei Punkte mehr, aber weniger Tore geschossen und mehr kassiert. "Das Gefühl ist jetzt besser", sagt Guardiola deshalb. Nach dem 6. Spieltag jedenfalls blieb City damals drei Ligaspiele lang sieglos und verabschiedete sich auch bald aus dem Titelkampf. "Ich bin gespannt, wie wir diesmal auf eine nicht so gute Phase reagieren", sagt Guardiola.
Nach dem Champions-League-Spiel gegen Donetzk (das erste Gruppenspiel war ein 4:0-Sieg bei Feyenoord Rotterdam) trifft City auf den amtierenden Meister Chelsea. "Dann", sagt Guardiola, "werden wir sehen, was unser tatsächliches Level ist." Aktuell bewegt sich City jedenfalls im durchaus anspruchsvollen Level "Schützenfeste in Serie".