Tottenham Hotspur im Wembley Stadion: Ein Sehnsuchtsort als Fluch

In der Saison 2017/18 spielen die Tottenham Hotspur im Wembley Stadion
© getty

Einst galten die Tottenham Hotspur als Cup-Spezialist und verpflichteten sogar einen Argentinier, der von nichts mehr träumte als einem Auftritt im Wembley Stadion. Seit dieses aber die vorübergehende Heimat des Klubs ist, lastet ein Fluch darauf. Die Fans können nicht für die gewohnte Stimmung sorgen und die Spieler haben Probleme mit dem größeren Feld als an der White Hart Lane. Nach drei sieglosen Premier-League-Heimspielen versuchen es die Spurs am Samstag erneut (16 Uhr gegen den AFC Bournemouth im LIVETICKER).

Cookie-Einstellungen

Es gibt da ein Lied, das den Titel "Ossie's Dream" trägt und vom FA-Cup-Finale 1981 handelt. Ossie heißt mit bürgerlichem Namen Osvaldo Ardiles und war mal ein argentinischer Fußballer. Gemeinsam mit seinem Landsmann Ricardo Villa wechselte Ardiles 1978 als frischgekürter Weltmeister zu den Spurs. Er brachte südländischen Fußball-Flair mit nach London und entwickelte bald einen großen Wunsch: Ardiles wollte unbedingt mal im Wembley Stadion spielen.

1981 erfüllte sich dieser Traum schließlich und anlässlich dessen dichtete die Band Chas & Dave vor dem Endspiel gegen Manchester City ihr Lied über "Ossie's Dream". Bis auf Platz fünf der britischen Charts stürmte es damals und bis heute ist es unter Spurs-Fans die gesangliche Erinnerung an dieses Finale. In einer Strophe heißt es:

In our ranks there's Ossie Ardiles,

He's had a dream for a year or two,

That one day he's gonna play at Wembley,

Now his dream is coming true.

Ardiles spielte also im Wembley Stadion und er siegte auch im Wembley Stadion. Nach einem ursprünglichen 1:1 musste zwar ein Wiederholungsspiel her, doch das gewannen die Spurs 3:2. Mit zwei Treffern sicherte Villa den Sieg. "Ich fand es aufregend im Radio zuzuhören, als Ossie und Ricky dort spielten", erzählte Mauricio Pochettino neulich über seine Landsmänner und das Wembley Stadion. Neun war der jetzige Tottenham-Trainer beim Finale von 1981 und das Wembley Stadion für ihn wie "der Mond oder eine andere Galaxie".

Für die Fans der Spurs war es dagegen stets ein Sehnsuchtsort, galt ihr Verein doch lange als Cup-Spezialist. Lediglich zwei Meistertiteln stehen in der Vereinschronik insgesamt 15 Siege in bedeutenden Cup-Wettbewerben (Acht FA Cups, vier League Cups, zwei UEFA Cups und ein Europapokal der Pokalsieger) gegenüber. Mit dem Abriss des alten Wembley Stadions und dem Bau des neuen wurden aber nicht nur aus zwei Türmen ein Bogen, sondern für die Spurs aus einem alten Sehnsuchtsort letztlich die trostlose Heimat.

Schlechte Erfahrungen des Lokalrivalen

Weil die heimische White Hart Lane abgerissen und bis Sommer 2018 neugebaut wird, muss Tottenham seine Premier-League-Heimspiele in dieser Saison im Wembley Stadion austragen. Gewonnen haben die Spurs von den bisherigen drei noch keines, während sie auswärts mit einer Tordifferenz von 12:2 vier Siege in vier Spielen feierten. Als sie in der vergangenen Saison an der White Hart Lane spielten, waren sie noch das beste Heim-Team der Liga. Tottenham gewann 17 von 19 Spielen, die anderen beiden endeten remis.

Nur in der Champions League lief es daheim schon damals nicht - weil die Spurs auf Grund von UEFA-Regularien (an der White Hart Lane wurde schon gebaut) bereits ins Wembley Stadion ausweichen mussten. Nach Heimniederlagen gegen Monaco und Leverkusen scheiterten sie bereits in der Gruppenphase. Die Vorboten des Fluchs. "Es wird viel schwieriger für Tottenham als man sich das vorstellen kann", sagte dann auch Arsene Wenger, der Trainer des Lokalrivalen FC Arsenal. Und er weiß, wovon er spricht.

In den Spielzeiten 1998/99 und 1999/2000 trug Arsenal seine Champions-League-Heimspiele zwecks Einnahmen-Maximierung im Wembley Stadion aus und scheiterte jeweils frühzeitig. "Es war ein Albtraum für uns, wir kamen überhaupt nicht zurecht", erinnerte sich Wenger und sagte: "Der Platz war größer als der enge im Highbury und für unsere Spieler war das sehr ungewohnt. Im Wembley Stadion sind uns die Gegner einfach weggelaufen."

Flächenunterschied von 545 Quadratmeter

Unter dem gleichen Problem leiden nun die Spurs. Während die White Hart Lane mit einer Fläche von 100x67 Metern den zweitkleinsten Platz der Liga hatte, ist der im Wembley Stadion mit 105x69 Metern der größte. Der Flächenunterschied beträgt 545 Quadratmeter, beinahe die Größe eines Strafraums. Für das laufintensive Spiel, das hohe Pressing und das frühe Anlaufen der Spurs ist das ein eklatantes Hemmnis. Die Gegner haben mehr Platz, um der Umzingelung zu entkommen. Gelingt Tottenham trotzdem ein früher Ballgewinn, ist die Distanz zum gegnerischen Tor größer.

Dass dieser Flächenunterschied Probleme bereiten könnte, ahnten die Spurs-Verantwortlichen schon früh. Laut der englischen Times stellte Tottenham vor der Saison gar einen Antrag bei der Liga, ob der Platz im Wembley Stadion reduziert werden dürfe. Vergeblich, eine Mehrheit der übrigen Klub-Verantwortlichen stimmte dagegen. Trainer Pochettino ergriff daraufhin Eigeninitiative und ließ am Vereinsgelände einen Trainingsplatz auf die Maße des Wembley-Feldes vergrößern. Gebracht hat es bisher nichts.

Spieler und Trainer versuchen in ihren öffentlichen Statements dagegen tunlichst, dem Thema auszuweichen. "Wir hätten an der White Hart Lane, im Wembley Stadion oder in einem Park verloren", sagte Defensivspieler Eric Dier nach der 1:2-Heimniederlage gegen den FC Chelsea. Nach dem darauffolgenden Remis gegen den FC Burnley erklärte Pochettino: "Es hat nichts mit dem Wembley Stadion zu tun und wer das denkt, sollte damit aufhören."

Keine Leute im Nacken, kein Lärm unterm Dach

Das nächste Heimspiel gab dann auch tatsächlich Grund zur Hoffnung, Tottenham besiegte Borussia Dortmund in der Champions League mit 3:1. "Dieser Sieg bedeutet mehr als drei Punkte und ich hoffe, dass er das Gerede von einem Fluch beendet", sagte Pochettino danach. Tottenham profitierte bei diesem Sieg jedoch erheblich von der fahrlässig hochstehenden Dortmunder Abwehrreihe. Und spielte drei Tage später im Wembley Stadion 0:0 gegen Swansea City.

Nur rund 65.000 Zuschauer verfolgten die Partie im Stadion, das eigentlich 90.000 fasst und somit lediglich zu weniger als drei Vierteln gefüllt war. Beim darauffolgenden Spiel im League Cup gegen den FC Barnsley waren gar nur knapp 24.000 da, nie waren es bei einem Profi-Pflichtspiel im Wembley Stadion weniger - und das, obwohl Tottenham Tickets für zehn Pfund anbot.

In einem Land, in dem wegen der überbordenden Kommerzialisierung und den fehlenden Stehplätzen nur mehr wenige Erstliga-Stadien packende Atmosphären bieten, war die White Hart Lane bis zu ihrem Abriss stets eine Ausnahme. "Die Leute saßen dir da im Nacken und der Lärm blieb unterm Dach", schwärmte Ex-Spieler Gareth Bale neulich. "Es ist schwierig, im Wembley Stadion eine ähnliche Atmosphäre zu kreieren", sagt Eigengewächs Harry Winks.

Besondere Atmosphären schufen die Fans der Spurs auch schon im riesigen Wembley Stadion - aber eben weniger im Alltag als bei besonderen Spielen. Dann etwa, als sich Ardiles seinen Traum erfüllte. Das Lied darüber wird bis heute in all den Pubs rund um die White Hart Lane gesungen, im Bricklayers Arms oder im Bill Nicholson Pub. In dieser Saison sind sie rund 20 Kilometer von der heimischen Spielstätte entfernt, ab der nächsten wieder nur wenige Meter. Dann, wenn Tottenham nach Tottenham zurückkehrt und das Wembley Stadion wieder zu einem Sehnsuchtsort wird. Dann, wenn alles wieder so ist wie es sein sollte.

Artikel und Videos zum Thema