Graham Potter tritt die Nachfolge von Thomas Tuchel beim FC Chelsea an. In Fachkreisen gilt der 47 Jahre alte Trainer von Brighton & Hove Albion als der beste englische Trainer. Er vollbrachte bisher zwei Wunder - doch die Aufgabe in Chelsea darf Potter nicht unterschätzen, denn es lauern Gefahren.
Nach der Entlassung von Thomas Tuchel beim FC Chelsea kursierten die gleichen Namen wie immer. Zinedine Zidane, klar. Mauricio Pochettino, sowieso. Aber der FC Chelsea hatte wohl eine ganz andere Idee. Die neue Klubführung setzt entgegen aller Erwartungen nicht auf einen glanzvollen Namen, sondern auf eine glanzvolle Idee: Graham Potter, 47, zuletzt Trainer von Brighton & Holve Albion. Das hat gute Gründe ...
Denn Potter ist der Inbegriff des modernen Coachings. Was er beim schwedischen Klub Ostersunds FK und in Brighton erschaffen hat, lief in der Fußballwelt lange Zeit unter dem Radar. Umso bemerkenswerter ist es, dass die neuen Bosse des FC Chelsea offenbar gute Informanten haben, die auf Potters Wunderwerke - anders kann man es nicht bezeichnen - hingewiesen haben.
Der Aufstieg des Engländers begann in der 4. Liga Schwedens. Mit Ostersunds FK schaffte er innerhalb von fünf Spielzeiten den Aufstieg in die höchste Spielklasse. Nach dem Gewinn des schwedischen Pokals 2016/17, mit dem man sich für die Europa League 2017/18 qualifizierte, schaltete Ostersunds in der Qualifikation Galatasaray und PAOK aus, schaffte es in die Gruppenphase, qualifizierte sich aus einer Gruppe mit Hertha BSC, Athletic Bilbao und Zorya für die K.o.-Runde.
Dort war dann gegen den FC Arsenal Schluss - trotz eines sensationellen Sieges in London, für den Potter und seine Truppe selbst von den Arsenal-Fans gefeiert wurden. All dies mit einem Kader, der größtenteils in der zweiten Liga zusammengestellt wurde. Potter mimte aber niemals den Underdog, zog seinen Ballbesitz-Fußball rigoros durch - selbst beim Sieg im Emirates hatte Ostersunds am Ende mehr Ballbesitz. Dazu aber später mehr.
imago imagesGraham Potter brach mit alten Traditionen
Spätestens in den Duellen gegen Arsenal landete Potter, der vor seiner Zeit in Schweden keine Erfahrung als Cheftrainer gemacht hatte, im Blickfeld der Trainer-Scouts. Erst durfte er seine Fähigkeiten in der Championship bei Swansea City unter Beweis stellen und machte in Wales einen sehr ordentlichen Job, doch den eigentlichen Ritterschlag gab es mit der Nominierung als Premier-League-Trainer in Brighton.
In der Hafenstadt gelang es ihm, eine Mannschaft aufzubauen, die in der Lage war, das Spiel selbst gegen vermeintlich stärkere Gegner zu dominieren. Obwohl ihm im Vergleich zu der Zeit in Ostersund mehr Mittel zur Verfügung standen, warf er auch in England nicht das Geld zum Fenster raus und blieb bei den Ausgaben unter dem Schnitt der Liga. Er konzentrierte sich darauf, das vorhandene Spielermaterial zu verbessern, was ihm eindrucksvoll gelang. Marc Cucurella lässt grüßen.
Sein Vorgänger Chris Hughton hauchte Brighton mit dem archetypisch britischen 4-4-2 noch eine ganz andere Identität ein. Potter brach die Tradition und verpasste seiner Truppe eine taktische Flexibilität, die aber in ihren Grundfesten die gleichen Prinzipien beibehält: Von hinten heraus zu spielen, die gegnerischen Linien zu durchbrechen und fortwährend ein starkes Positionsspiel in der gegnerischen Hälfte zu haben.
Taktisch flexibel, aber mit einer Grundidee
Potter ist bestrebt, die ihm zur Verfügung stehenden Spielerprofile bestmöglich zu nutzen und je nach Taktik des Gegners eine Struktur für den Spielaufbau, das Positionsspiel und das Pressing zu entwickeln, wenn der Ball beim Gegner ist.
Potter ist bekannt dafür, Formationen während eines Spiels und zwischen den Spielen zu wechseln und dennoch hat man nie das Gefühl, dass sich seine Mannschaften auf etwas Neues einstellen müssen. Die Grundidee bleibt: Er will in erster Linie jedes Spiel dominieren, aber er ist nicht besessen vom Ballbesitz und seine Mannschaften sind in der Lage, den Gegner mit schnellen Kontern zu überrumpeln, die meist gut geplant wirken.
Dass Potter in der Lage ist, Mannschaften zu entwickeln und sie auf ein höheres Niveau zu hieven, hat er in der Europa League mit einer schwedischen Mannschaft aus der zweiten bewiesen, die exzellenten Fußball gespielt hat, nicht den Bus vor dem Tor geparkt und auf einen Freistoß gewartet hat, weil die Gegner mehr Qualität hatten. Aber auch mit dem spektakulären Fußball, den er in Brighton spielen lässt und sie so als fixes Team der Premier League etabliert hat, gegen den man nicht so gerne spielt. Erik ten Hag kann ein Lied davon singen.
Die große Frage wird sein, ob Potter der geeignete Mann für Chelsea ist. Nicht jeder hervorragende Trainer passt zu einem hervorragenden Klub und zu einer hervorragenden Mannschaft. Sollte Potter den Posten übernehmen, übernimmt er immerhin eine Mannschaft, die weiß, wie man unter einem leidenschaftlichen Entwickler arbeitet, denn Thomas Tuchel war nichts anderes als das.
spoxThomas Tuchel half die Erfahrung aus Dortmund und Paris nicht
Der Deutsche hatte aber die Erfahrung aus Dortmund oder Paris, wusste, dass es verschiedene Strömungen in diesen großen Klubs gibt und er sie befrieden muss, wenn er in Ruhe arbeiten will. Und selbst mit dieser Erfahrung hatte Tuchel Probleme damit und ist letztlich nicht sportlich gescheitert, sondern - wenn man zwischen den Zeilen liest - eher an den atmosphärischen Störungen im Klub.
Potter fehlt diese Erfahrung - natürlich gibt es auch in Brighton Politik im Klub und auch dort geht es nicht zu wie auf einer Bezirkssportanlage mit einem netten Platzwart, aber Chelsea ist ein anderes Kaliber. In den letzten fünf Jahren arbeiteten hier Antonio Conte, Maurizio Sarri, Klub-Legende Frank Lampard und Thomas Tuchel. Im Frieden ging keiner. Potter müsste sich also auf eine völlig neue Komponente des Trainer-Daseins vorbereiten.
Kenner sagen, dass er ein hervorragender Kommunikator ist, die Spieler in seinen Bann zieht und seine Arbeit nicht verkompliziert, in der er die Mannschaft mit Informationen überfrachtet, die sie nicht braucht. Klar ist aber auch, dass er in Ostersunds und in Brighton der Star war - alle schauten zu ihm auf und er konnte walten und schalten, wie er wollte. Man hörte ihm zu und glaubte ihm. In Chelsea wäre er nicht mehr der Star. Kann er weiter so alle zu sich aufschauen lassen und hören ihm alle zu?
Es gibt keine Zweifel an den Fähigkeiten des Graham Potter. Er ist der beste englische Fußball-Trainer und selbst beim englischen Fußball-Verband soll er längst im engen Kreis als möglicher Nachfolger von Gareth Southgate sein, wenn dieser einmal gehen sollte. Aber die Chelsea-Welt ist kompliziert und unberechenbar. Zumindest ist klar, warum ihn die US-Bosse holen. Potter steht für Attraktivität, für ein schönes Spiel. Oder wie sie sagen würden: Entertainment. So lange er sie unterhält, wird er nichts befürchten zu haben.