"Wir stehen praktisch an der Seitenauslinie", sagt Timothy Auger im Vorgarten seiner kleinen Wohnung zu SPOX und GOAL. Wo er jetzt schläft und isst, jubelten und pöbelten früher tausende rot-weiße Fans. Auf der Freifläche vor seinen Fenstern wuchern Gräser, Büsche, Bäume. Einst tobten hier keine Kinder und Katzen umher, sondern die Spieler des FC Arsenal auf einem perfekt getrimmten grünen Rasen.
2006 verließ Arsenal seine fast hundertjährige Heimat Highbury im Norden Londons, um ins unweit neuerbaute Emirates Stadium umzuziehen. 60.260 statt 38.500 Plätze, bessere Vermarktungsmöglichkeiten, alles viel moderner. An Stelle des Highbury Stadiums sollten Wohnhäuser entstehen, doch da gab es ein Problem: Die Fassaden der Haupt- und Gegentribüne im Art-deco-Stil sind denkmalgeschützt.
Also blieben sie bestehen und dienen seitdem als Struktur für die neuen Wohnhäuser. An Stelle der beiden Hintertortribünen wurden zusätzlich zwei neue Gebäude errichtet, das Spielfeld dazwischen in einen nur für Bewohner zugänglichen Park umgestaltet. Von oben sieht die Anlage immer noch wie ein Stadion aus.
Eingangsbereich mit Mosaik und Chapman-Büste
Kommt Timothy Auger nach Hause, prangt ihm zwischen all den Backstein-Reihenhäusern der Umgebung schon von weitem die weiße Stadion-Fassade mit der riesigen roten Aufschrift "Arsenal Stadium" entgegen. Als Eingangsbereich dienen bis heute die legendären Marble Halls, wo einst die wichtigsten Klub-Funktionäre ins Stadion schritten. Am Boden glänzt ein Kanonen-Mosaik. Darüber wacht eine Büste von Herbert Chapman, dem wohl prägendsten Trainer der Klub-Geschichte.
In den 1920er- und 30er-Jahren machte Chapman Arsenal zum besten Klub des Landes. Er erfand das später weltweit etablierte WM-System und gewann mit seiner Mannschaft haufenweise Titel. Aus diesen Zeiten lange vor Abschaffung der Stehplätze in England datiert auch der ewige Zuschauerrekord im Highbury: 73.295 bei einem Duell mit dem AFC Sunderland.
Chapman kümmerte sich bei Arsenal aber nicht nur um sportliche Aspekte, sondern auch um die Entwicklung der Infrastruktur. Während seiner Amtszeit wurde das 1913 erbaute Highbury modernisiert, unter anderem entstanden die denkmalgeschützten Haupt- und Gegentribünen.
Fangesänge vom Emirates sind bis ins Highbury zu hören
Heute umfasst das Stadion rund 700 Wohnungen. Billig sind sie nicht: Die Monatsmiete für ein Zwei-Zimmer-Apartment beträgt aktuell umgerechnet rund 2000 Euro. "Es ist ein netter Ort zum Leben", sagt Auger. "Man muss sich nur an die Touristen gewöhnen, die mit ihren Kameras die ganze Zeit durch die Tore fotografieren. Sie kommen von überall her. China, Australien, von überall."
Eröffnet wurde die Anlage drei Jahre nach dem Umzug und zwar vom damaligen Trainer Arsene Wenger, neben Chapman der zweite große Macher der Klub-Geschichte. Damals gewährte Arsenal den Erstbeziehern der Wohnungen ein Vorkaufsrecht auf Dauerkarten, mittlerweile haben die Bewohner aber keine speziellen Privilegien - außer einen gratis Ergebnis-Service. "Ich weiß bei den Spielen immer über den aktuellen Zwischenstand Bescheid", sagt Auger. "Man hört die Fangesänge vom Emirates bis hierher sehr laut."
Das neue Stadion ist nur knapp 400 Meter Luftlinie entfernt. Auf dem Fußweg dorthin kommt man an der U-Bahn-Station "Arsenal" vorbei, aus Prestige-Gründen hatte Chapman einst erfolgreich die Umbenennung von "Gillespie Road" beantragt. Vor dem neuen Stadion steht eine Statue von Thierry Henry, der im Mai 2006 als Vollendung eines Dreierpacks das letzte Tor im Highbury schoss - und danach den Rasen küsste, der jetzt ein Park ist.