Sein Verein ging schon mit ihm hausieren, doch selbst zum Schleuderpreis wollte niemand Bebe kaufen. Dann kam Sir Alex Ferguson und zahlte den 60-fachen Preis. Dubioser Deal oder eine geniale Langzeitstrategie? Raphael Honigstein über Manchester Uniteds mysteriösen Transfer.
"Follow the money" war der beste Ratschlag, den die Reporter von der "Washington Post" vom Watergate-Informanten "Deep Throat" bekamen. Folge dem Geld: Den relativen Misserfolg der englischen Champions-League-Teilnehmer, die in der vergangenen Saison zum ersten Mal seit 2004 keinen Finalisten stellten und noch nicht einmal bis ins Halbfinale kamen, konnte man so bequem erklären.
Im Vergleich mit Barcelona, Lyon, Bayern und Inter hatten die "Big Four" 2009/10 wenig in neue Spieler investiert. Liverpool, das von Verletzungen geplagte Arsenal und Chelsea hielten in etwa ihr Niveau, mit anderen Worten: Sie stagnierten.
Manchester United war ohne Superstar Cristiano Ronaldo und Carlos Tevez deutlich schwächer. Wie sich im Laufe der Saison herausstellte, hatte United nur durch den Verkauf des Portugiesen an Real Madrid einen Verlust von knapp 40 Millionen Euro vermieden. 20-Millionen-Euro-Ersatzmann Antonia Valencia konnte den Qualitätsverlust alleine aber nicht auffangen.
Diesen Sommer wurden in Manchester 150 Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben, allerdings von City. Sir Alex Ferguson verließ sich dagegen ganz offensichtlich auf seine bewährten Kräfte. United gab keinen Leistungsträger ab, kaufte allerdings auch keinen ein. "Der Transfermarkt ist überteuert", sagte der Schotte im Juli, "der Wert stimmt nicht".
Smalling-Transfer rätselhaft, Bebe-Transfer noch rätselhafter
Um "Wert" zu bekommen, investierte man in drei junge Perspektiv-Spieler. Aus Mexiko kam Javier Hernandez, genannt Chicharito, die kleine Erbse. Der 22-jährige Stürmer von Guadalajara kostete United geschätzte sieben Millionen Euro - angesichts seiner starken WM wirklich ein guter Preis.
Von den 12 Millionen Euro für Chris Smalling lässt sich das nicht unbedingt sagen. Der Deal für den Verteidiger wurde bereits im Januar gemacht, als der Junge gerade mal zwei Premier-League-Spiele bestritten hatte. Beim FC Fulham sollen sie nicht sehr lange über das Angebot nachgedacht haben.
Noch rätselhafter ist der Fall Bebe. Der Portugiese spielte als Teenager in der WM der Obdachlosen mit und wechselte erst im Mai zum Nulltarif vom Drittligisten Estrela da Amadora zu Vitoria Guimaraes in die erste portugiesische Liga.
"Wir brauchten im letzen Jahr unbedingt Geld und haben den Spieler überall in Europa für 150.000 Euro angeboten", sagt Estrelas damaliger Trainer Jorge Paxaio. "Niemand interessierte sich für ihn."
Bebe eine Empfehlung von Queiroz
Bevor der offensive Mittelfeldspieler auch nur ein einziges Pflichtspiel für seinen neuen Klub absolviert hatte, legte Ferguson für ihn im August völlig überraschend neun Millionen Euro auf den Tisch und aktivierte damit eine Ausstiegsklausel. Das Interesse von anderen Klubs hätte ihn zu diesem Schritt gezwungen, erzählte der Schotte.
Das erklärt allerdings noch nicht, warum er zum ersten Mal seit 24 Jahren im Amt einen Spieler verpflichtete, den er laut eigener Auskunft nie in Aktion gesehen hat, nicht einmal auf einer DVD. Portugals (Ex-)Nationaltrainer Carlos Queiroz, Fergusons ehemaliger Assistent, hatte den Jungprofi empfohlen.
Angeblich wurde United durch fünf Bebe-Tore in der Vorbereitung auf den Plan gerufen, doch wer kauft schon Spieler nach Treffern in Freundschaftsspielen ein?
Wirklich mysteriös wurde die Geschichte, als der Youngster später in körperlich miserabler Verfassung auf der Insel eintraf und nicht einmal für Spiele der Reserve berücksichtigt wurde. Seine physischen Defizite und die vermeintlich überragende Form in den Test-Spielen - das passte nicht zusammen.
Scout bescheinigt Bebe taktische Mängel
Der als Scout und Berater von Vereinen überall in Europa tätige Tor-Kristian Karlsen schaute sich Bebe in Portugals U-21-Spielen gegen England und Mazedonien genauer an.
Der Norweger beschied dem Spieler "Schnelligkeit und Stärke", bemerkte aber auch große taktische Mängel. Er ist also ein Talent. Aber ein Neun-Millionen-Euro-Spieler eher nicht. Unter "Wert" stellt man sich eigentlich etwas anderes vor.
Im Fußball wird gerne mal absichtlich zuviel für einen Transfer bezahlt, denn viele wollen mitverdienen und nicht immer wird dabei alles legitim abgewickelt. Eine derart extreme Differenz zwischen dem tatsächlichen Markwert (0 bis 150.000 Euro im Mai) und dem Verkaufspreis (9 Millionen Euro im August) gibt es im Profi-Sport aber höchst selten.
In zwei Monaten hat der Portugiese seinen Wert also um schlappe 6000 Prozent gesteigert - während der Sommerpause, wohlgemerkt. Entweder Ferguson und Queiroz haben im Gegensatz zum Rest der Fußballwelt das wahre Können des Spielers erkannt oder es handelt sich um einen ausgemachten Skandal.
Ferguson wollte Villa holen
Falls letzteres zutrifft, könnte auch hier die Devise "follow the money" Aufklärung bringen. Die Frage ist, wer konkret von dem Deal profitiert hat. Als Berater des Spielers ist jedenfalls kurz vor dem United-Deal urplötzlich Jorge Mendes aufgetaucht, der unter anderem auch den Ferguson-Freund Queiroz vertritt. Wohl eher kein Zufall.
Man darf gespannt sein, ob und wann man die drei Neulinge in der Königsklasse auflaufen sieht. Smalling wurde bisher zwei Mal für 20 Minuten eingewechselt und fiel durch Nervosität auf. Hernandez spielte gut, aber nur einmal von Anfang an. Entscheidend verbessern wird das Trio Uniteds Chancen auf den Europapokal nicht.
Ferguson betonte vor dem Auftakt gegen die Glasgow Rangers am Dienstagabend noch einmal das Vertrauen in sein Team.
"Sonst wäre ich aktiv geworden", sagte er, ließ dann allerdings interessanterweise durchblicken, dass ihm ein bestimmter Mann durch die Lappen gegangen ist: "Es gab nur einen Spieler, den ich hierher gebracht hätte. Doch der Verein, der ihn verpflichtete, war früher dran." Wer hier auf David Villa tippt, liegt nicht ganz falsch.
Noch kein Umbruch bei ManUtd
Den echten Umbruch will Sir Alex erst "in ein paar Jahren" wagen, "wenn Ryan (Giggs), Paul (Scholes) und Gary (Neville) in Pension gehen. Im Moment müssen wir nicht übertreiben und die besten Spieler der Welt verpflichten, weil wir genügend Top-Spieler im Verein haben". Finanzielle Auflagen gäbe es im Übrigen keine, betonte er bei dieser Gelegenheit aufs Neue.
"Bis der Markt wieder vernünftig wird, ist das Beste, was wir tun können, junge Spieler zu kaufen oder auszubilden", umschrieb der Schotte die Langzeit-Strategie. Das leuchtet zwar im Prinzip ein, hält aber einer genaueren Prüfung nur bedingt stand. Der Markt war ja im Vergleich zum Vorjahr eher vernünftig, das heißt konservativ.
Weil außer Manchester City niemand das ganz große Geld ausgeben wollte, waren Robinho (18 Millionen Euro), Ibrahimovic (Leihgeschäft/24 Millionen Euro), van der Vaart (10 Millionen Euro), Özil und Khedira (zusammen 30 Millionen Euro) zu einem Bruchteil ihres Wertes von 2009/10 zu haben.
Und die wahrlich verrückteste Transaktion des Sommer wurde ja auch nicht von den üblichen Verdächtigen (Chelsea, Real Madrid) oder City getätigt, die Ferguson als "Kamikaze-Shopper" verspottete. Mit neun Millionen Euro für ein enigmatisches Versprechen namens Bebe hat der 68-Jährige den Vogel diesmal schon selbst abgeschossen.
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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 16 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 36-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.com tätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.