Arsenal gegen Manchester City war das größte Spiel der Woche, aber nach dem Schlusspfiff hatten die Reporter im Emirates-Presseraum das untrügerische Gefühl, beim falschen Match gewesen zu sein. "Morgen sind vier Trainer weg!", rief Shaun Custis, der Chefschreiber der "Sun" kopfschüttelnd in die Runde.
Vier Riesen-Storys. Und er saß ausgerechnet im Nordosten Londons, wo ein 0:0 zwischen zwei Meisterschaftskandidaten nur Tabellenführer Manchester United geholfen hatte.
Die von der "Times" erwartete Nacht der langen Messer wurde es am Mittwoch zwar nicht, aber "der Klang von gewetzten Fallbeilen" war für das seriöse Blatt deutlich zu vernehmen. Roy Hodgson (Liverpool), Gérard Houllier (Aston Villa), Avram Grant (West Ham) und Carlo Ancelotti (Chelsea) stehen nach Niederlagen unter immensem Druck.
Allein die Tatsache, dass die Premier League am Wochenende pausiert, dürfte das eine oder andere Mitglied dieses unglücklichen Quartetts vor dem sofortigen Rausschmiss bewahrt haben.
Hodgson: "Ich bin zu deprimiert"
Hodgson, 63, gilt laut gut unterrichteten Quellen an der Mersey als "Dead Man Walking", sein Abschied ist nach der neunten Saisonniederlage angeblich beschlossene Sache. Fragen nach seiner Zukunft verbat sich der ehemalige Fulham-Coach nach dem 1:3 in Blackburn. "Ich bin zu deprimiert, um zu diesem Thema Stellung zu nehmen", sagte er im Ewood Park. Liverpools Kommunikationsdirektor brach die Pressekonferenz nach drei Meldungen ab.
Hodgson, der im Sommer noch als kommender England-Trainer gehandelt wurde, hat neben der Unterstützung der Liverpooler-Fans auch das Vertrauen einiger Leistungsträger verloren. Sein Abgang ist nur eine Frage der Zeit - und eine Frage der Nachfolgelösung.
Liverpools amerikanischer Besitzer John W. Henry und seine Fenway Sports Group (FSG) sind erklärte Neulinge im Fußball-Geschäft und wohl selbst nicht ganz sicher, wie sie am besten mit der Causa umgehen sollten. Interessant aus deutscher Sicht ist, dass Sportdirektor Damien Comolli bei der Trainerauswahl eine führende Rolle spielt.
Der Franzose ist ein ausgemachter Fan der Bundesliga und hat laut einem Liverpool-Insider bereits im November diskreten Kontakt mit Ralf Rangnick und Jürgen Klopp aufgenommen. Letzterer winkte dankend ab, Rangnick ist dagegen bekanntlich auf dem Markt. Der englische Buchmacher Paddy Power führt ihn aktuell vor Frank Rijkaard (6-1) und Martin O'Neill (7-1) sogar als Favorit (4-1) auf den Posten.
Der anglophile 52-Jährige würde für ein absolutes Novum sorgen: Einen deutschen Trainer gab es in der Premier League noch nicht. Die Reds brauchen einen Mann, der den Klub praktisch neu aufstellt und ein Auge für vergleichsweise günstige Spieler mit hohem Wertsteigerungspotenzial hat.
Keine große Umstellung für Rangnick
Als Verfechter des Wenger'sche One-Touch-Football würde Rangnick besser zu Liverpools Tradition passen als der von Natur aus vorsichtige Hodgson, und das "englische" Trainer-Modell mit seiner großen Machtfülle wäre für ihn nach den Erfahrungen bei 1899 Hoffenheim keine große Umstellung.
Auf dem Papier entspricht er also in vielerlei Hinsicht dem Anforderungsprofil. Zweifelhaft ist allerdings, ob sich Rangnick als relativ unbeschriebenes Blatt auf der Insel den Fans auch als die große Lösung verkaufen lässt.
Die ausländischen Eigentümer in der Premier League träumen in der Regel ja von namhaften ausländischen Trainern, das ist aus Sicht der einheimischen Fußballlehrer der Fluch der Globalisierung.
Rangnick fällt durchs Raster
Hodgsons Scheitern an der Anfield Road wird den allgemeinen Trend zum europäischen Star-Coach höchstwahrscheinlich weiter forcieren: Männer wie Mancini oder Ancelotti, die bereits in ihren Ländern Titel gewonnen haben, bürgen eben für ein gewisses Maß an Kompetenz - und Glamour.
Der Vorreiter der Viererkette aus Backnang fällt nicht ganz in diese Kategorie. "Wer ist dieser Rangnick?" fragten PLI am Mittwochabend gleich mehrere englische Kollegen.
Seit der FC Arsenal 1996 völlig überraschend Arsene Wenger als Trainer installierte und Christian "Ich bin mit der U-Bahn gekommen" Gross zwei Jahre später bei den Spurs scheiterte, hat es hier kein Klub gewagt, einen ausländischen Nobody auf die Bank zu setzen.
Nur Roman Abramowitsch ließ sich 2008 den mit ihm befreundeten Sportdirektor Avram Grant als Mourinho-Nachfolger aufschwatzen. Ein Irrtum, für den Portsmouth und West Ham United büßen mussten.
Wenger revolutionierte die Premier League
Die äußeren Umstände sind auch nicht mehr zu vergleichen. Wenger fand vor 15 Jahren eine Liga vor, in der man von modernen Trainingsmethoden, einer ausgewogenen Ernährung und alkoholfreier Freizeitgestaltung noch nie gehört hatte; "Le Prof" wurde so unweigerlich zum Revolutionär.
Zudem gab es neben Dauer-Meister Manchester United und den damals bereits auf dem absteigenden Ast befindlichen Blackburn Rovers kein europäisches Spitzenteam in der Liga. Arsenal füllte das Vakuum aus und wurde dank Wengers Vorsprung an Transfermarkt-Knowhow zur zweiten Großmacht.Rangnick hätte es heute ungleich schwerer, denn seine - unter anderem von Wenger inspirierten - Ideen sind mittlerweile in der Tabellenspitze etabliert. Das Scouting-System der Top-Klubs ist ebenfalls sehr professionell. Den ehrgeizigen Schwaben würde die Aufgabe sicherlich trotzdem reizen. Zumal es kein Geheimnis ist, wie hoch die Premier League bei ihm im Kurs steht.
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Raphael Honigstein lebt und arbeitet seit 16 Jahren in London. Für die "Süddeutsche Zeitung" berichtet er über den englischen Fußball und ist Kolumnist für die britische Tageszeitung "The Guardian". Beim früheren Premier-League-Rechteinhaber "Setanta Sports" fungierte Honigstein als Experte für den deutschen Fußball. In Deutschland wurde der 36-Jährige auch bekannt durch sein Buch "Harder, Better, Faster, Stronger - Die geheime Geschichte des englischen Fußballs". Zudem ist er als Blogger bei footbo.comtätig und auch unter twitter.com/honigstein zu finden.