Es gab einmal eine Zeit, als sich Adrian Mutu allmächtig fühlte. Engstirnige Klubbosse, sittsame Trainer, nicht einmal Geschwindigkeitskontrollen konnten dem Rumänen, der vor drei Jahren in der Nähe von Bologna mit 205 km/h geblitzt wurde, Einhalt gebieten.
Selbst "böse Flüche", sagte der abergläubische Mutu einst, "können mir nichts anhaben, weil ich meine Unterwäsche auf links trage".
Seit seinem Durchbruch vor einem Jahrzehnt kultivierte Mutu kontinuierlich seinen Habitus als größenwahnsinniger, aber genialer Nachfolger der rumänischen Fußball-Ikone Gheorghe Hagi. Mutu spielte brillant, aber nach dem Schlusspfiff soff er und er rauchte und er kokste. Wegen Letzterem steht er nun vor den Scherben seiner Existenz.
17,2 Millionen Euro Entschädigung
Nachdem der internationale Sportgerichtshof CAS am 31. Juli das Urteil der FIFA bestätigte, wonach der Stürmer des AC Florenz wegen eines Kokain-Vergehens an seinen Ex-Klub FC Chelsea eine Entschädigungssumme von 17,2 Millionen Euro zu zahlen habe, wird über ein mögliches Ende seiner Karriere gemutmaßt.
Dabei wurde Mutu in diesem Jahr erst 30 Jahre alt. "Die Entscheidung des CAS ist unmenschlich und ungerecht. Extrem ungerecht", sagt er und reichte Revision ein. Sollte diese - wie zu erwarten ist - vom CAS abgelehnt werden und Mutu die 17,2 Millionen Euro nicht aufbringen können, droht ihm eine weltweite Sperre durch die FIFA.
Noch gibt er sich zuversichtlich: "Ich weiß nicht, was passieren wird, aber ich habe vollstes Vertrauen in mein Anwaltsteam. Unser Kampf geht weiter und die Schlacht ist nicht vorbei!"
Kokain, Sperre, totes Kapital
Begonnen hatte die Schlacht am 29. Oktober 2004. Nachdem im September des selben Jahres bei Mutu im Rahmen eines Drogentests der Konsum von Kokain nachgewiesen wurde, löste sein damaliger Verein FC Chelsea wegen "groben Fehlverhaltens" den Vertrag mit ihm auf. Vom englischen Verband wurde Mutu mit 30.000 Euro Bußgeld und einer siebenmonatigen Sperre belegt.
Parallel reichte Chelsea eine Schadenersatzforderung bei der FIFA ein, da der Klub ein Jahr zuvor für Mutu noch eine Ablöse von 23 Millionen Euro an Parma überwiesen hatte und nach Mutus fristloser Kündigung plötzlich ohne Gegenwert dastand.
Am 7. Mai 2008 setzte die "Dispute Resolution Chamber" des Weltverbands die Höhe der Regressansprüche - nach Berechnung der entgangenen Einnahmen für Chelsea - auf genau 17.173.990 Euro fest.
Eine derart exorbitant und damals unrealistisch anmutende Summe für einen einzelnen Fußball-Profi, weswegen die meisten Beobachter gute Erfolgschancen für einen Einspruch Mutus beim CAS einräumten. Das höchste Sport-Gericht jedoch folgte der Argumentation der FIFA.
Damoklesschwert Chelsea
Seit dem 1. September hat Chelsea nun die Möglichkeit, eben diese 17,2 Millionen Euro von Mutu einzufordern. Sollte Mutu - wie er betont - diese Summe tatsächlich nicht besitzen, könnten die Blues bei der FIFA eine Sperre durchsetzen. Wie weit der Verein zu gehen bereit ist, lässt er bisher offen.
"Wir wollen klar machen, dass Chelsea bei Drogen-Konsum eine Null-Toleranz-Strategie hat. Der richterliche Beschluss hat uns daher vollkommen zufrieden gestellt. Alles Weitere sind reine Spekulationen", teilte Chelsea mit. Aus der Klubspitze ist jedoch zu vernehmen, dass Chelsea auf der Zahlung bestehe und zu keinem Kompromiss bereit sei.
Gang vor Europäischen Gerichthof?
Mutu ist in dieser Gemengelage das schwächste Glied. Sportrechtlich hat er kaum noch Optionen. Seine Anwälte hoffen immerhin, im Fall der Fälle eine mögliche Sperre um mindestens 60 bis 90 Tage hinauszögern zu können.
Die letzte Option könnte sein, zivilrechtlich vorzugehen und wenn nötig den Gang bis zum Europäischen Gerichthof für Menschenrechte anzutreten (Mutu: "Ich bin ein Sportler, aber vor allen Dingen ein Bürger der Europäischen Union").Die 17,2 Millionen Euro, zuzüglich der womöglich anfallenden fünf Prozent Zinsen pro Jahr, kann der Rumäne nach übereinstimmenden Medienberichten definitiv nicht aufbringen.
Exzessiver Lebensstil mit Folgen
Die rumänische Presse schätzt sein Vermögen wohlwollend auf zwölf bis 13 Millionen Euro. Doch angesichts seines lange Zeit exzessiven Lebensstils mit Yachten, teuren Autors, einer kostspieligen Scheidung von einer rumänischen TV-Moderatorin und einem Techtelmechtel mit einem Pornostar dürfte der Betrag nur im einstelligen Millionenbereich liegen, wird in Italien spekuliert. Zumal Mutu in Florenz für internationale Verhältnisse sehr moderate zwei Millionen Euro pro Jahr netto verdient.
"Wenn ich Fußball spiele, kann ich alles vergessen. Aber außerhalb des Rasens geht es mir nicht gut. Wie auch? Die Strafe beschäftigt mich immens", sagte Torschütze Mutu nach dem 1:1 zum Saisonauftakt in Bologna.
Am vergangenen Wochenende gegen Palermo (1:0), dem zweiten Spieltag, kam Mutu hingegen nicht zum Einsatz. Offiziell, weil er angeschlagen war, inoffiziell, weil er sich nicht konzentrieren könnte. "Ich habe schon reichlich für einen jugendlichen Fehler gebüßt, der Lichtjahre von dem Mann und dem Fußballer entfernt ist, der ich heute bin", sagt Mutu.
Im Nachhinein ein Segen?
Unerwähnt bleibt jedoch, dass Mutu womöglich nicht trotz, sondern gerade wegen der so zähen und anstrengenden Auseinandersetzung mit der Sport-Jurisdikative und Chelsea sein Lebenskonzept verändert hat.
Aus dem talentiert-frivolen Taugenichts mit selbstdestruktiven Tendenzen wurde in den letzten Jahren ein verantwortungsvoller Familienvater, der erst jetzt die Zuneigung eines mittelständischen, aber familiär geführten Vereins wie Florenz wertzuschätzen weiß.
Anfangs noch kokettierte Mutu in Florenz mit dem Interesse von Weltvereinen wie dem FC Bayern - doch spätestens in diesem Sommer verschrieb er sich mit Haut und Haaren der Fiorentina. Wesentlich lukrativere Angebote wurden abgelehnt, alleine schon wegen der Unterstützung, die ihm Klub und Fans zuteil kommen lassen.
"Wir gehen davon aus, dass Mutu nicht gesperrt wird"
Florenz stärkt Mutu vorbehaltlos den Rücken, schaltete den italienischen Verband und Spielergewerkschaften ein, appellierte an UEFA-Präsident Michel Platini und betrieb eine derart effektive Lobbyarbeit, dass sich selbst der italienische Arbeitsminister für die Belange Mutus einsetzt.
"Wir gehen davon aus, dass Mutu nicht gesperrt wird", sagt AC-Manager Pantaleo Corvino fast schon trotzig. Die Anhänger entrollten gegen Palermo ein riesiges Plakat: "Adrian, wir sind mit dir!"
"Nach einer schwierigen Phase in meinem Leben habe ich in Florenz meine innere Mitte gefunden", sagt Mutu mit einem Hauch Demut. "Nirgendwo ist es so schön wie hier. Nach London würde ich nie zurückkehren, selbst wenn ich mit Gold bezahlt werden würde."
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