Lange mussten sie warten, bis er endlich wieder aus den Niederungen des unterklassigen Fußballs auferstand. Er, der es sich mit den Großen des Geschäfts verscherzt hatte, den sie belächelt hatten und den sie bei Salernitana, Avellino oder Lecce schon auf dem Weg aufs Altenteil sahen.
Doch er dachte noch nicht an Rente und machte stattdessen, was er immer schon am besten konnte: er schnappte sich eine Mannschaft aus mehr oder weniger unbekannten Spielern, bläute ihr sein System ein und ließ sie viele Tore erzielen. Sehr viele Tore.
90:55 standen schließlich in der Abschlusstabelle der Serie B 2011/2012 zu Buche, in der von ganz oben das Team von Delfino Pescara auf seine 21 Konkurrenten herab blickte. Vor 19 Jahren war die Mannschaft aus den Abruzzen zuletzt erstklassig. Der Trainer, der dieses Wunder jetzt möglich machte ist Zdenek Zeman.
Italienischer Sommer statt Prager Frühling
Für den gebürtigen Tschechen war der Parforceritt mit Pescara nicht das erste Meisterstück in seiner langen Trainerkarriere auf dem Apennin, die einst mit einem Zufall begann. Im Sommer 1968 besuchte er seinen Onkel Cestmir Vycpalek in Italien. Der ehemalige Slavia-Spieler hatte nach dem Zweiten Weltkrieg als Profi in Italien angeheuert und ist danach ins Trainergeschäft eingestiegen.
Als am 21. August Soldaten der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei einmarschierten und Alexander Dubceks Bemühungen um einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" gewaltsam niederschlugen, war Zeman bereits auf Sizilien. Und blieb es auch.
Wissenschaft und Praxis
In Palermo studierte der junge Tscheche Sport und schloss mit Auszeichnung ab. 1975 bekam er die italienische Staatsbürgerschaft. Im Anschluss daran besuchte er das Coverciano, die italienische Trainer-Talentschmiede in Florenz. 1979 konnte er schließlich seine Trainerlizenz in den Händen halten und coachte ab diesem Zeitpunkt auf Vermittlung seines Onkels vier Jahre lang im Nachwuchs von Palermo, bevor er 1983 in den Herrenbereich wechselte.
Mit Licata feierte er in seiner ersten "richtigen" Saison auch prompt die Meisterschaft in der Serie C2. Ein Ausrufezeichen, das italienweit für Erstaunen sorgte. Klar, Licata ist nicht Rom oder Turin, und hatte deshalb überwiegend No-Names im Kader, doch das erstaunlichste am Team aus Sizilien war die Ausrichtung, mit der Zeman seine Jungs aufs Feld schickte.
Während die meisten Mannschaften im Land des Catenaccio noch auf Libero und Manndecker setzten, zauberte "Il Boemo" ein völlig anderes System aus dem Hut: 4-3-3, Offensive pur.
Weit vor der Entdeckung der Viererkette setzte der Italo-Tscheche auf Raumdeckung in der Abwehr und war nicht müde seine Mannschaften auf schnelles Umschalten von Defensive auf Offensive, Kurzpässe und knallhartes Pressing zu konditionieren. "Ein Querpass ist zwecklos", so das einfache Mantra, das Zeman seitdem immer wiederholt.
Foggia dei Miracoli
Durch den Erfolg mit Licata und seinen bedingungslosen Offensivfußball machte sich Zeman zwar einen Namen in Italien, ein Engagement bei einem der großen Klubs ließ aber auf sich warten. Erst als Zeman zwischen 1989 und 1994 mit der US Foggia die Serie A aufmischte, bissen die Großen an. Foggia bot Spektakel - und das mit geringen Mitteln.
Igor Kolywanow, Beppe Signori, Igor Shalimow oder Außenverteidiger Dan Petrescu, den Zeman die Außenlinie auf ganzer Länge wegfräsen ließ, verdienten sich in Foggia erste Sporen und leisteten ihren Beitrag zum "Foggia dei Miracoli", dem Wunder von Foggia. Kein Wunder, dass sie in Apulien noch heute gottgleich verehrt werden. Wie Zeman, ihr Coach, zu dessen Ehren sie den Ort, an dem als Trainer tätig ist, noch heute als Zemanland bezeichnen.
Kult und Streitobjekt
Von Foggia zog es Zeman dann hinaus zu den großen Teams: Lazio, Roma, Fenerbahce, Napoli. Glücklich wurde er dort nicht. Seinem Ruf als exzellenter Förderer von jungen Spielern wurde er mit der Entdeckung von Francesco Totti, Alessandro Nesta und anderen zwar gerecht.
Doch schneller Erfolg um jeden Preis, Vereinsbosse, die es sich nicht verkneifen konnten, im Tagesgeschäft dazwischen zureden, waren nicht die Welt des introvertierten Denkers.
"Das war's mit Zemanland", "der holt doch eh nichts", oder "der soll mal schön unterklassig arbeiten, da hat er vielleicht Erfolg", ätzten die Kritiker, besonders auch, als Zeman, der sich während des Studiums intensiv mit Sportmedizin beschäftigt hatte, Ende der 90er Jahre Doping im großen Stil im italienischen Fußball anprangerte und sich dadurch viele Feinde machte.
Vor allem Luciano Moggi, Juve-Manager und später Hauptperson im Manipulationsskandal von 2006, fühlte sich ans Bein gepinkelt und ließ seine Kontakte spielen. Für Zeman ging es zurück in die Niederungen des italienischen Fußballs.
Er kam, sah - und rauchte
Der Erfolg mit Pescara hat ihm nun noch einmal die Türe geöffnet. Bei der Roma, die mit dem vermeintlichen Heilsbringer Luis Enrique eine miserable Spielzeit ablieferte, soll Zeman in seiner zweiten Amtszeit wieder für Spektakel sorgen. Beim Trainingsauftakt wurde der Offensiv-Guru dementsprechend auch als "wichtigster Neuzugang" enthusiastisch gefeiert. Und das, obwohl ihn auch die Laziali kultisch verehren. Ein Novum.
Francesco Totti, die lebende Roma Legende und ein Anhänger Zemans, jedenfalls freut sich auf die erneute Zusammenarbeit. "Wir sind bereit, eine große Saison zu spielen", so der bald 36-Jährige.
Auf die Veränderung des Neu-Coachs in den letzten 13 Jahren angesprochen, antwortete Totti lapidar: "Zeman ist wie immer. Er raucht viel und spricht wenig." Auf seinen monströsen Zigarettenkonsum angesprochen, konterte der Kettenraucher: "Fragen sie ja nicht, wie viel ich rauche. Sonst werde ich nervös und muss mir gleich wieder eine anstecken."
Torhagel dank Magathscher Methoden
Seine Spieler sollten sich die Fluppe dagegen sparen. So modern Zemans Spielweise anmutet, so traditionell sind seine Trainingseinheiten: Brutales Ausdauerbolzen, Treppen- und Waldläufe gehören ebenso zum Programm, wie die Ernährung der Spieler, die er - ganz Despot - ebenfalls kontrolliert. Nur so könne das laufintensive Offensivspiel praktiziert werden.
"Meine Trainingseinheiten sind vielleicht lang, monoton und intensiv, aber sie machen Spaß. Und wenn du Spaß hast, dann wirst du nicht müde. Haben Sie schon mal ein kleines Kind den ganzen Tag rumtollen sehen? Wird das je müde?", erklärte Zeman im Gespräch mit dem italienischen Sportjournalisten Guido Marcotti.
Nein, er wird nichts umstellen, weder sein Trainingsregime noch sein System. 4-3-3: früher, heute, morgen. Acht Spielzeiten coachte Zeman in der Serie A von Anfang bis Ende. Vier Mal war sein Team das torgefährlichste der Liga, zwei Mal das zweitgefährlichste. Daran soll sich auch nichts ändern.
"Wenn man in einer Saison 90 Tore erzielt, sollte man sich keine Sorgen darüber machen, wieviele man kassiert", antwortet der heute 65-Jährige auf die Unkenrufe, die die Konteranfälligkeit seiner Mannschaften herausheben.
"Das ist nicht meine Welt"
Nichts gibt es, was Zeman mehr verabscheut, als den Ergebnisfußball, mit dem Chelsea die Champions League holte und den Jose Mourinho bei Inter überaus erfolgreich praktizieren ließ.
"Ich schaue immer noch Fußball, ich kann mir einfach nicht helfen. Ich bin süchtig, aber das ist nicht mehr dasselbe. Das ist nicht mehr meine Welt", sinnierte der zweifache Familienvater: "Auf Ergebnis zu spielen, hat mit Fußballspielen nichts zu tun. Meine Mannschaften spielen Fußball."
"Jose Mourinho und Fabio Capello werden wegen ihrer großartigen Ergebnisse geadelt, doch die erreichen sie dank ihrer Spieler, nicht dank ihrer Arbeit. Meine verstorbenen Großväter könnten diese Klubs trainieren und würden Titel holen", kritisierte er. Mourinho sei lediglich ein "großen Kommunikator, der seine Mittelmäßigkeit als Trainer gut versteckt."Der Konter von The Special One ließ nicht lange auf sich warten: "Ich bin ein mittelmäßiger Trainer? Okay, ich respektiere die Meinungen anderer", äußerte der Coach von Real Madrid sich zunächst noch moderat via twitter, um dann doch ordentlich nachzulegen: "Zeman? Den kenne ich nicht. Jetzt, wo ich im Urlaub bin, werde ich bei google nachschauen, um herauszufinden, was er so alles gewonnen hat."
Viel wird Mourinho nicht finden, dafür jede Menge Lobeshymnen auf einen gewieften Taktiker, der sich und seiner Linie stets treu blieb. Neues System? Fuck off!
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