Unterschiedliche Ansichten über die Ausrichtung des Kaders, spielerische Planlosigkeit, eklatante Formprobleme: Real Madrid gibt in der Saisonvorbereitung ein erschreckendes Bild ab. Während die Spieler schweigen müssen oder sich in Durchhalteparolen flüchten, kracht es hinter den Kulissen.
Sie erbarmten sich auf dem Weg zum Bus gerade noch, ein paar Foto- und Autogrammwünsche zu erfüllen. Das war dann aber auch alles, was die Superstars der Königlichen nach ihrer nächsten fußballerischen Magerkost so zu bieten hatten. Für Erklärungen waren sie sich zu schade, die meisten von ihnen schotteten sich mit großen Kopfhörern von ihrer Umgebung ab und ignorierten die Fragen der zum Teil aus Spanien angereisten Journalisten mit Mienen, wie sie finsterer kaum sein könnten.
Nacho Fernandez, einer der wenigen Normalos in der Galaxie namens Real Madrid, entschuldigte sich nach zweimaliger Nachfrage von SPOX und Goal immerhin noch und fügte mit einem flüchtigen Lächeln an, er sei heute "nicht an der Reihe". Bei Real, das ist kein Geheimnis, erlauben sie nur zwei bis drei Mitgliedern ihres Starensembles, sich nach einem Spiel mit der schreibenden Presse zu unterhalten. Das gilt auch für Testspiele, in denen es ja eigentlich um nichts geht, in denen Ergebnisse ja eigentlich keine Rolle spielen.
Drei Niederlagen nach vier Partien, garniert mit 13 Gegentoren, von denen sieben der verhasste Stadtrivale erzielte, sind für einen Klub, der sich für den größten und besten überhaupt hält, jedoch auch allmählich des Guten zu viel. Und so schickte Carlos Carbajosa, der kontrollsüchtige Pressechef der Königlichen, nach dem trostlosen 0:1 beim Audi Cup gegen Tottenham Hotspur am Dienstag nur einen Spieler ans Mikrofon. Es war Raphael Varane, der gleichermaßen besonnen wie gebildet daherkommende Weltmeister aus Frankreich. Und er sagte innerhalb der von Carbajosa vier zugelassenen Minuten das, was er sagen musste. Es bestehe "kein Grund zur Beunruhigung", man brauche in dieser Phase "Geduld". Und: Trainer Zinedine Zidane wisse ja, was zu tun sei.
Dass sich Zidane selbst aber ebenfalls in Durchhalteparolen flüchtete, war Varane zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Sein Landsmann sprach parallel auf der Pressekonferenz und konstatierte dabei, dass seine Mannschaft gegen den Champions-League-Finalisten der Vorsaison eine bessere Leistung abgeliefert habe als noch im vorherigen Spiel gegen Atletico.
Zinedine Zidane: "Wir sind noch nicht so weit"
"Wir sind noch nicht so weit", urteilte Zidane. Lösungsansätze zeigte er in diesem Zusammenhang nicht auf, viele Fragen blieben wie so oft seit seiner überraschenden Rückkehr auf die Trainerbank im vergangenen März unbeantwortet. Vor allem personelle Fragen, die mittlerweile offensichtlich auch seiner Mannschaft gehörig aufs Gemüt drücken und sie zu einem Pulverfass mutieren lässt. Fragen wie: Was passiert mit Keylor Navas, dem verlässlichen und intern beliebten, durch Thibaut Courtois aber bereits im Vorjahr weggemobbten Schlussmann? Kommt der als Zidane-Wunschspieler auserkorene Exzentriker Paul Pogba noch und würfelt das spätestens in der vergangenen Saison entzauberte Dreier-Mittelfeld um Casemiro, Luka Modric und Toni Kroos kräftig durcheinander? Müssen die seit Jahren an Leistungsschwankungen krankenden Isco und Lucas Vazquez noch gehen? Bekommen verheißungsvolle Talente wie Rodrygo Goes oder Takefuso Kubo einen Platz im Profikader? Und: Was passiert eigentlich mit den längst abgeschriebenen, aber immer noch in Madrid weilenden Gareth Bale und James Rodriguez?
Letzterer, das berichtet die Madrider Sportzeitung AS, soll aufgrund der schweren Knieverletzung von Marco Asensio inzwischen einem Verbleib näher sein als einem Wechsel. Die Vereinsführung sehe den Kolumbianer als mögliche Lösung für die fehlende Kreativität im Mittelfeld, außerdem habe man kein Interesse daran, den interessierten Stadtrivalen Atletico noch weiter zu verstärken. Zidane wollte diese Meldung am Dienstag nicht bestätigen, "das ist nicht mein Thema", sagte er achselzuckend und ließ mit diesen Worten einmal mehr großen Interpretationsraum. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge kann Zidane James ebenso wenig ausstehen wie Bale, eine seiner Forderungen vor seinem Comeback soll gewesen sein, die beiden Offensivakteure in der neuen Saison nicht mehr trainieren zu müssen.
Real Madrid: Perez widersetzt sich Zidane
Florentino Perez, der Präsident der Madrilenen, scheint sich seinem Trainer aber zu widersetzen. Perez gilt nicht nur als James-Fürsprecher, er soll auch Bales Abgang zum China-Klub Jiangsu Suning blockiert haben - wenn auch in erster Linie wegen des zu schlechten Angebots der Asiaten. "Es ist, wie es ist. Ich arbeite mit den Spielern, die hier sind", meinte Zidane schon zu Beginn der Vorbereitung mürrisch, als er auf die schleppend vorangehende "Operacion Salida", die Aussortierung nicht mehr benötigter Stars, angesprochen wurde. Es kracht in der Galaxie. Auch weil der von Zidane explizit geforderte Pogba-Transfer Perez offenbar zu teuer ist. Real hat ja bereits über 200 Millionen Euro für Neuzugänge ausgegeben und muss eher noch Spieler verkaufen, um sich wegen des Financial Fair Plays keine Probleme mit der UEFA einzuhandeln.
Und so ist die Kaderplanung aktuell genauso undurchsichtig wie der von Zidane praktizierte Fußball. Eine auf den ersten Blick steile These, wenn man bedenkt, dass der 47-Jährige einer der begnadetsten Fußballer der Welt war und er in seinen ersten drei Jahren als Profitrainer drei Mal die Champions League gewann. Allerdings wird gerade erschreckend ersichtlich, wie sehr die Tore von Cristiano Ronaldo ihm in seiner ersten Amtszeit dabei halfen, die schon damals spielerische Planlosigkeit seines Teams zu kaschieren.
Real Madrid ohne Ronaldo: Sammelsurium an Zufällen
Ohne die personifizierte Tormaschine aus Portugal gleicht Reals Offensivspiel einem Sammelsurium an Zufällen. Meist sind es verzweifelte Flanken der aufgerückten Außenverteidiger, die den Ball in Sechzehnernähe bringen, wo dann der seit jeher spielfreudige, aber nicht immer treffsichere Karim Benzema lauert, um entweder selbst abzuschließen oder einen Mitspieler zu bedienen. Eden Hazard wurde für 120 Millionen Euro verpflichtet, um dieser Ideenarmut ein Ende zu bereiten, scheint allerdings noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. Die sieben Kilo Übergewicht, mit denen der Belgier laut der Madrider Zeitung El Pais aus dem Urlaub zurückgekehrt sein soll, waren ihm am Dienstag jedenfalls deutlich anzusehen. "Hazard hat ordentliche Ansätze, wirkt im Spiel Reals aber noch wie ein Anonymer", urteilt das Sportblatt Marca.
Es ist aber nicht nur der neue Superstar, der noch weit von seiner Idealform entfernt ist. Der gesamte Defensivverbund steht neben sich. Allen voran Sergio Ramos und Marcelo, die beiden Kapitäne, erwecken mit ihren lustlosen Leistungen den Eindruck, als wären sie mit den Gedanken woanders. Das waren sie vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich auch. Ramos hatte Anfang Juni noch mit einem Transfer nach China geliebäugelt, Marcelo war monatelang der Wunsch nach einer Wiedervereinigung mit seinem Kumpel Ronaldo in Turin nachgesagt worden.
"Tengo un equipazo", ich habe eine Topmannschaft, vergaß Zidane am Dienstag nicht noch versöhnlich zu betonen. Von einer solchen ist sie in Wirklichkeit aktuell aber Lichtjahre entfernt.