Lazio Rom unerwartet im Titelkampf der Serie A: Kontinuität mit Ausgestoßenen

Von Stefan Petri
Lazio-Stürmer Ciro Immobile (2.v.r.) jubelt mit seinen Teamkollegen.
© getty

Mit elf Siegen in Folge rollt Lazio Rom derzeit die Serie A von hinten auf: Mittlerweile ist das Team von Trainer Simone Inzaghi neben Juventus Turin und Inter Mailand ein ernstzunehmender Titelkandidat. Stark gemacht hat Lazio eine ungewöhnliche Kontinuität - und Leistungsträger, die man anderswo längst abgeschrieben hatte.

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In der Bundesliga gehört es zum guten Ton, bei der Frage nach dem bösen "M-Wort" erst einmal empört abzuwiegeln. Meister? Dafür sind die Bayern doch viel zu stark, die eigenen Möglichkeiten reichten nicht aus, und überhaupt sei alles oberhalb der Abstiegslinie ja schon ein Erfolg. RB Leipzig etwa, derzeit Spitzenreiter mit vier Punkten Vorsprung, visiert laut Trainer Julian Nagelsmann weiterhin einen Platz unter den ersten Vier an.

In der ewigen Stadt laufen die Uhren anders. Wie in Deutschland gibt es in der Serie A einen Abonnement-Meister mit einer deutlichen wirtschaftlichen Überlegenheit. Wie in Deutschland ist Juventus in diesem Jahr nicht unangreifbar, musste sich den Titel des Herbstmeisters mit Inter Mailand teilen. Anders als in Deutschland ist ein Konkurrent jedoch jederzeit zu einer Kampfansage zu haben. Und nein, es ist nicht Inter.

Stattdessen schielt Lazio Rom auf den Titel. Lazio, jener Traditionsverein, bei dem im neuen Millenium der Lack sukzessive abzubröckeln schien. 20 Jahre ist der letzte Meistertitel nun schon her, Standard in den letzten Jahren war Platz fünf bis acht, 2015 war man immerhin einmal Dritter. Dritter ist man derzeit übrigens auch, mit sechs Punkten Rückstand auf Juve, bei einem Spiel weniger. Dennoch sagte Trainer Simone Inzaghi am vergangenen Wochenende: "Ich glaube an den Scudetto."

Warum soll der 43-Jährige den Titel auch als unmögliches Ziel erachten, hat er doch eine unglaubliche Serie im Rücken. 5:1 hatte Lazio gerade Sampdoria Genua daheim weggeputzt, es war der elfte Ligasieg in Folge. Das ist Vereinsrekord. Aus dem Nichts hat sich das Team in den letzten zwei Monaten so ins Meisterschaftsrennen katapuliert, dabei hätte man das eher Milan oder Napoli zugetraut.

Die Tabelle der Serie A

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Juventus Turin2039:192051
2.Inter Mailand2041:172447
3.Lazio Rom1946:182845
4.AS Rom2037:221538
5.Atalanta Bergamo2050:282235
6.Cagliari Calcio2035:31430
7.Parma FC2027:27028
8.AC Mailand2021:26-528
9.FC Turin2026:28-227
10.Hellas Verona FC1922:22026
11.SSC Neapel2028:28024
12.FC Bologna2029:32-324
13.AC Florenz2025:29-424
14.Udinese Calcio2019:31-1224
15.Sassuolo Calcio2032:35-322
16.Sampdoria Genua2020:33-1319
17.Lecce2023:39-1616
18.SPAL2014:30-1615
19.Brescia Calcio2019:38-1915
20.FC Genua2021:41-2014

Stattdessen mischt ein Team die Liga auf, das so keiner wirklich auf der Rechnung hatte, mit dem zweitbesten Angriff (46 Tore) und der zweitbesten Abwehr (18 Gegentore) der Liga. Angeführt von Torjäger Ciro Immobile (23 Saisontore, Bestwert in Europas Top-5-Ligen) spielt Lazio attraktiven, vertikalen Fußball, bietet Kanter- wie Comeback-Siege, und weist ein unerschütterliches Selbstbewusstsein auf. Das Geheimnis des Erfolgs: Kontinuität - und der richtige Spielermix aus Ausgestoßenen.

"Eine der Stärken des Teams ist, dass die Spieler und Inzaghi in dieser Form schon seit 2016 zusammenspielen", erklärt Simone Gambino von Goal Italien. "Die Mannschaft hat sich in den letzten Transferperioden kaum verändert, auch in diesem Jahr gibt es mit Manuel Lazzari nur einen neuen Mann in der Stammelf." Diese Stammelf hat das 3-5-2 von Inzaghi über Jahre verinnerlicht.

Eine derartige Kontinuität mit Spielern, Trainer und System kann kein anderes italienisches Topteam für sich in Anspruch nehmen. Und so verbesserten sich die Ergebnisse: 2017 erreichte das Team das Pokalfinale und gewann den Supercup, ein Jahr später entschied man das Endspiel der Coppa Italia für sich, dazu gewann Lazio erneut den Supercup.

Ciro Immobile und Co. führen Lazio Rom von Sieg zu Sieg

Was fehlt zum großen Wurf? "Nicht viel", sagt Inzaghi trocken. Der jüngere Bruder des früheren Bayern-Schrecks Filippo Inzaghi hat einen bunten Mix aus Talenten, alten Hasen und anderswo Verstoßenen zu einer verschworenen Einheit geformt. "Zwei Dinge sind sicher im Leben", postete Sergej Milinkovic-Savic kürzlich auf Instagram: "Der Tod und ein Lazio, das niemals aufgibt."

Der Serbe, der in den letzten zwei Jahren bei vielen europäischen Topklubs gehandelt wurde, aber dennoch bei Lazio verlängert hatte, ist eines der wenigen Supertalente im Team. Dazu kommen Veteranen wie Innenverteidiger Stefan Radu und Mittelfeldspieler Marco Parolo oder der in diesem Jahr so starke Torwart Thomas Strakosha.

Und Leistungsträger in der Offensive, die anderswo schon gescheitert waren. Der talentierte Stürmer Joaquin Correa etwa, der bei Sevilla den Durchbruch nicht geschafft hatte oder Vorlagen-König Luis Alberto (schon 11 Assists), der einst mit Vorschusslorbeeren zum FC Liverpool gegangen war. Es folgten Leihen nach Malaga und La Coruna, bevor er 2016 sein Glück in Rom fand.

Vor allen anderen ist jedoch Immobile zu nennen. In Deutschland bleibt vor allem seine Zeit als BVB-Flop in Erinnerung: 18,5 Millionen Euro hatte sich Borussia Dortmund den Stürmer anno 2014 kosten lassen. Es folgte ein Jahr voller Missverständnisse, gescheiterter Integration und - vor allem - wenigen Toren. Drei waren es in 24 Bundesligaspielen.

Ciro Immobiles Statistiken bei Lazio Rom

WettbewerbSpieleToreVorlagen
Serie A1249021
Europa League18115
Coppa Italia1694
Supercoppa22

Also ging Immobile zuerst nach Sevilla und dann zurück nach Italien. Seit 2016 spielt er bei Lazio - und schießt dort alles kurz und klein. 90 Tore in 124 Ligaspielen sind Lewandowski-esk, in den vergangenen drei Kalenderjahren war jeweils kein Stürmer in Italien erfolgreicher. Die Zeit in Dortmund, sie ist für den "König von Rom", der sich auf Instagram gern als Familienmensch mit seinen drei Kindern zeigt, nur noch eine schlimme Erinnerung.

Simone Inzaghi: Bei Lazio eigentlich schon entlassen

Er passt perfekt zum früheren Stürmer Inzaghi. Schließlich war der 2016 auch schon verstoßen worden - ausgerechnet von Lazio. Als Jugendtrainer hatte sich Inzaghi nach seinem Karriereende 2010 bei Lazio hochgedient, im April 2016 übernahm er schließlich als Interimstrainer. Zum Saisonende war dennoch Schluss, mit Marcelo Bielsa sollte ein großer Name her. Als der seine Transferwünsche nicht erfüllt bekam und zwei Tage (!) nach Beginn seiner Amtszeit hinschmiss, bekam Inzaghi doch die Chance. Ohne viel Geld zwar, einige Leistungsträger verließen den Klub sogar, aber dafür mit viel Spielidee - und viel Geduld seitens der Vereinsführung.

Folgt nun der ganz große Wurf? "Ich weiß nicht, ob sie dieses unglaubliche Tempo halten können", sagt Goal-Experte Gambino. Er befürchtet einen Einbruch, obwohl Lazio nicht mehr im Pokal und der Europa League vertreten ist: "Sie können dieses Jahr zwar mithalten, aber Juve und Inter haben die besseren Kader und sind Favoriten."

Derartige Zweifel werden Inzaghi und Co. auf der Jagd nach dem Titel aber nur unwesentlich beeindrucken. Seitdem das Team ein 0:3 zur Halbzeit gegen Atalanta Bergamo wettmachte, ist der Glaube an die eigene Stärke unerschütterlich: "Das hat einen Funken entzündet", sagt Mittelfeldspieler Danilo Cataldi. "Jetzt glauben wir immer an uns, bis zur letzten Sekunde."

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