Bloß keine Schwäche zeigen, bloß nicht zerbrechlich wirken, es ist ein Geschäft und ein Geschäft muss immer laufen. Josip Ilicic kennt solche Sprüche, er zählt mit 32 ja schon zu den älteren Hasen und weiß, dass Tausende auf ihn schauen, die erwarten, dass er Woche für Woche liefert.
Ilicic aber befindet sich an einem Punkt, an dem er nicht mehr liefern kann. Aller Wahrscheinlichkeit auch nicht im Champions-League-Viertelfinale am 12. August, wenn das kleine Atalanta Bergamo das große Paris Saint-Germain (Anstoß 21 Uhr) fordert. "Wir müssen die restliche Saison ohne ihn planen", sagt Gian Piero Gasperini, der Trainer der italienischen Überraschungsmannschaft. "Josip ist in einer sehr schwierigen Lage."
In ganz Italien machen sie sich große Sorgen um Ilicic, der sich seinem Verein zufolge in seiner slowenischen Heimat aufhält. Zuletzt stand er am 11. Juli auf dem Rasen, beim 2:2 gegen Juventus. Die restlichen sechs Spiele in der Serie A verpasste er. Warum genau, ist nicht bekannt. Gasperini sagt nur: "Wir stehen ihm bei." Es wanderten zunächst Gerüchte durch die italienische Klatschpresse, der Stürmer habe seine Frau "in flagranti" mit einem anderen Mann erwischt und sei daraufhin wutentbrannt aus Bergamo abgereist, um nachzudenken über den Sinn seines Lebens, das mit so vielen Reisen und so wenig Zeit für die Familie verbunden ist.
Josip Ilicic verachtet das Trara rund um das Spiel
Diese Gerüchte wurden inzwischen von slowenischen Medien dementiert, wären aber wohl ohnehin zu simpel gewesen, um einen wirklichen Erklärungsansatz für Ilicics rätselhaften Rückzug zu formulieren. Wer ihn schon einmal reden gehört hat, der weiß, was er für ein Mensch ist: ein leiser, in sich gekehrter, nur ungerne im Mittelpunkt stehender. Ein Anti-Star, wenn man so will, dem es nur um das Spiel geht, ohne all das Trara rundherum.
"Es gibt zwei Dinge, die mich an diesem Sport nerven: Aufwärmen und Managerspiele wie Fantasy Football. Wir spielen Fußball, für die Fans, für das Team, für uns. Das muss doch reichen", sagte er einmal. Wegen seines launischen, altmodischen, laut Gasperini teils schläfrigen Gemüts nennen sie ihn bei Atalanta "la nonna", die Großmutter.
Ohne Josip Ilicic stünde Atalanta nicht im Viertelfinale
"Er wirkt oft geschlaucht, wenn er ins Training kommt", sagte Gasperini vor knapp drei Jahren, als der damals vom AC Florenz verpflichtete Ilicic seine erste Saison in Bergamo spielte. "Wenn man ihn dann fragt, wie es ihm gehe, antwortet er immer mit 'schlecht, schlecht' und schaut verdrossen drein."
Sein Gemütszustand besserte sich fortan mit seinen Leistungen auf dem Platz. Spätestens seit der Saison 2018/19 ist er einer der, wenn nicht sogar der Fixpunkt in Atalantas offensivfreudiger Elf. Allein in dieser Spielzeit war er an 30 Pflichtspieltreffern beteiligt, vier davon erzielte er beim furiosen 4:3-Sieg im Champions-League-Achtelfinale gegen den FC Valencia Mitte März, womit er Atalanta überhaupt erst den historischen Einzug in die Runde der letzten Acht ermöglichte. Dann aber brach die Corona-Pandemie über Italien herein und das hamsterradähnliche Fußballgeschäft rückte auf einen Schlag in den Hintergrund.