Die Basis für sein Sevilla legte Sampaoli durch eine stark veränderte Struktur im eigenen Spielaufbau. Sevilla lässt den Ball kurz hinten zirkulieren, um in Position zu kommen und sucht dann den Weg über scharfe Pässe ins Mittelfeld nach vorne. Die beiden Innenverteidiger bilden mit Torwart und Sechs eine Raute, die sehr breit von jeweils einem Flügelspieler flankiert wird.
Davor agieren drei sehr bewegliche Zehner, die wiederum hinter zwei Offensivkräften spielen. Es entsteht ein ungewohntes Bild im Aufbau, das noch verstärkt wird durch die aufrückenden und abkippenden Bewegungen der Zentrale, die sich stets selbst ausbalanciert.
Für mobile Nutzer: Sevilla im Spielaufbau gegen RCD Espanyol am 1. Spieltag der Primera Division
Die Abbildung eins zeigt den Aufbau gegen RCD Espanyol (6:4). Die Außenverteidiger, wenn man sie denn so nennen will, schieben weit auf und bleiben breit. Die blau gekennzeichneten Mittelfeldspieler unterteilen sich in Sechser Nzonzi und drei Zehner, die eine Linie höher agieren und ständig Nähe zu ihren Mitspielern suchen.
Die gelben Stürmer können sich bisweilen fallen lassen oder auf den Flügel ausweichen. Wichtig scheint Sampaoli, ähnlich wie Guardiola, letztlich nur die Besetzung der Zonen zu sein. Wer wann wo welche besetzt, ist den Spielern relativ frei überlassen. Momentan versucht es Sevilla oft über Zehner, die auf die Außen ausweichen, die Linie verlängern und dann mit flachen Hereingaben in den Rückraum Chancen herausspielen.
Strukturelle Probleme mit und ohne Ball
Diese Anordnung bringt Sevilla momentan einige Probleme im Spielaufbau mit ein. Die Innenverteidiger und Torhüter nutzen gelegentlich noch immer den langen, hohen Ball, der sie vor gefährlichen Ballverlusten bewahren soll oder leisten sich zu scharfe, unkontrollierbare Bälle ins Zentrum des Feldes.
Das liegt zum einen sicher an technischen Mängeln, letztlich aber auch immer wieder an schlechten Positionierungen in Ballbesitz, die in einer Isolation des Ballführenden enden. Dieser findet zentral keine Anspielstation mehr vor, der Gegner trennt die Mannschaftsteile voneinander und der Ball muss wieder durch die Abwehr laufen oder wird gar verloren.
Dann ist auch der zweite Punkte des Sampaoli-Crashkurses dahin. Der Argentinier machte sich mit Chile vor allem aufgrund eines herausragenden Pressings einen Namen - sowohl gegen den gesicherten Ball als auch im Umschaltmoment. Doch umso länger und schlechter die Abstände wie Pässe werden, umso schwieriger wird es für sein Team, bei Ballverlusten direkt Zugriff zu erhalten.
Vier Sekunden statt meterlanger Sprint
So greift das Gegenpressing nur bedingt. Falsche Entscheidungen, schlecht getimte Läufe und eben jene langen Bälle brachten Sevilla in der gesamten Vorbereitung und somit auch am ersten Spieltag gegen Espanyol schwer zu verteidigende Kontersituationen ein, die letztlich in vier Gegentoren zum Auftakt resultierten.
Doch kann sich Sevilla nach vorne arbeiten und hält dort die Struktur aufrecht, hat das Team eine sehr gute Basis, um direkt nach Ballverlust Druck auf den Ball ausüben zu können und ihn innerhalb weniger Sekunden zurückzuerobern. Durch die 2-1-5-2-Staffelung in Ballbesitz sind Zentrum wie Halbräume stark besetzt.
Kann Sevilla also mit kurzen Sprints innerhalb von hochintensiven vier bis fünf Sekunden den Ball wieder in die eigenen Reihen holen, spart es sich den langen Weg Richtung eigenes Tor. Das passiert erst, wenn sich der Gegner lösen kann und kontert. Dann fällt das Team. Die Aufgabe der Abwehr wird es, den Angriff zu verzögern und Richtung Flügel zu lenken.
Extreme Kompaktheit gegen den Ball
Rund 80 Prozent Ballbesitz verbuchte Sevilla so gegen Espanyol, erzielte sechs Tore und musste vier Gegentreffer hinnehmen. Das wenig ambitionierte Spiel Espanyols mit Ball wurde - das ist Teil drei der Änderungen von Sampaoli - mit einem hohen Angriffspressing systematisch unter Druck gesetzt und fand so eigentlich kaum statt.
Hier überzeugt Sevilla bereits durchaus mit herausrückenden Bewegungen der Zehner aus der Mitte heraus. Die Spieler halten dabei mögliche Anspielstationen im Rücken und können den Ball so auf die Außen lenken oder riskante Zuspiele, die von den nachrückenden Kameraden abgefangen werden, provozieren.
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Die hohe Kompaktheit des Teams weiß dabei zu überraschen. Sevilla verschiebt horizontal extrem weit und verlässt dabei zeitweise die andere Hälfte des Feldes komplett. Das macht das Spiel eng, senkt aber auch die Möglichkeiten des eigenen Umschaltverhaltens - Sampaoli möchte ohnehin, dass sein Team nach Ballgewinn erst einige Pässe spielt, um sich zu sortieren.
Der Faktor Ganso
Auch hier sind wieder deutliche Parallelen zu Pep Guardiola zu erkennen. Sampaoli hat viele Einfälle des Katalanen in seine eigene Spielidee implementiert, ohne dabei die Komplexität der Teams aus Barcelona oder München zu erreichen. Dafür spielen andere Faktoren wie der radikale Pressingansatz Bielsas eine Rolle und machen die neue Mischung mehr als verfolgenswert.
Inwiefern Sevilla den geplanten Angriff auf die europäische Spitze schultern kann, dürfte davon abhängen, wie das Team die Ideen des neuen Trainer aufnehmen kann. In den ersten Spielen waren noch deutliche Mängel zu erkennen, die bisher über die überdurchschnittlich hohe individuelle Qualität einzelner Spieler ausgeglichen wurden.
Dennoch fehlt bis jetzt ein herausragender Einzelkönner. Mit dem Wechsel von Ever Banega zu Inter Mailand hat Sevilla viel verloren. Neuzugang Ganso konnte bisher nicht eingreifen, sollte sein Fitnesszustand allerdings Einsätze erlauben und Sampaoli bis dahin seine Schrauben feinjustiert haben, darf sich die Europa League in dieser Saison vielleicht einen neuen Champion suchen. Und das ist durchaus positiv zu verstehen.
Der FC Sevilla im Überblick