Guti wurde nach seinem überraschenden Transfer zu Besiktas von den Fans als neuer Hoffnungsträger gefeiert. Inzwischen sind drei Monate vergangen und Guti hat zu spüren bekommen, was es bedeutet, ein Fussballstar in der Türkei zu sein. Die Begeisterung der Fans ist ungebrochen, doch der Spanier selbst hat mit Widrigkeiten zu kämpfen. Zeit für eine Zwischenbilanz.
Was wohl in Jose Maria Gutierrez Hernandez, der Fußballwelt bekannt als Guti, in diesem Moment vorging? Es war der 27. Juli diesen Jahres und für den gebürtigen Madrilenen der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Nach 15 langen Jahren bei Real Madrid hatte er den großen Schritt ins Unbekannte gewagt und sich Besiktas angeschlossen, und nun stand er in deren Stadion und wurde von 20.360 ekstatischen Fans gefeiert, besungen, beklatscht.
"Ich habe mich gefühlt wie ein Sultan", sollte er später über seinen Empfang am Bosporus sagen. Wahrscheinlich hat sich Guti in dem Moment nicht so viele Gedanken gemacht, wahrscheinlich hat er nur die außergewöhnliche Zuneigung und Begeisterung der Fans genossen und dabei wenig an Störfaktoren, wie eine aufdringliche Presse oder überharte Gegenspieler, gedacht.
Inzwischen, drei Monate später, weiß der 34-jährige, was es wirklich bedeutet, ein Superstar in Istanbul zu sein. Fest steht, dass Guti sportlich wie erwartet eingeschlagen hat. Seit seiner Ankunft ist er eine der prägenden Figuren der Mannschaft, sein elegantes Spiel, seine Übersicht und seine klugen Anspiele auf die Stürmer und auf die Außen machen ihn zum Dreh- und Angelpunkt im Angriffsspiel der Adler und für seinen Coach Bernd Schuster unverzichtbar.
Kreativ und verantwortungsbewusst
Seine Wichtigkeit für seine neue Mannschaft wurde besonders im Derby gegen Fenerbahce deutlich. Nachdem er anfänglich im defensiven Mittelfeld eingesetzt worden war, gab ihm Schuster für die Partie bei Fener eine offensivere Rolle, und Guti blühte auf. Der Spanier lenkte das Spiel und übernahm Verantwortung, als er kurz vor Schluss den Elfmeter zum Ausgleich erzielte.
Danach wurde Guti überschwänglich gefeiert. Der frühere Nationalspieler Hakan Ünsal sah in ihm den Spieler des Spiels und lobte seine "Cleverness, Talent und seine Leaderqualitäten". Besiktas-Präsident Yildirim Demirören verpasste ihm einen Ritterschlag: "Zum Glück haben wir ihn geholt. Er hat es mit der ganzen Fenerbahce-Elf alleine aufgenommen. Ich wünschte, alle meine Spieler wären wie er."
Die Presse drückte seine gute Leistung auf ungewöhnliche Art und Weise aus: Guti habe alleine soviel Ballbesitz gehabt wie seine Kollegen Ekrem, Nihat, Nobre und Ibrahim Toraman zusammen.
Guti hat in seiner bisherigen Zeit bei Besiktas jeden überzeugt: Seine Mitspieler ("Er ist unser Dirigent", Torwart Hakan Arikan), die Fans, die ihn noch immer bei jeder Gelegenheit feiern und ihm am Sonntag während der Partie gegen Sivasspor ein Ständchen zum Geburtstag widmeten, und sogar Galatasaray-Kapitän Arda Turan, der bei einem Pressetermin ebenfalls anwesende Besiktas-Verantwortliche scherzhaft nach einem signierten Guti-Trikot gebeten haben soll.
Ständige Zielscheibe
Doch bei aller Begeisterung, sein großer Name und die Berühmtheit werfen auch ihre Schatten. Guti steht permament unter Beobachtung, egal ob auf dem Spielfeld oder im Privatleben.
Auf dem Feld drückt sich das durch überharte Tacklings und Attacken seiner Gegenspieler aus. Für die kleinen Vereine der Liga ist das ein beliebtes Mittel: dem Starspielern der "Großen" wird physisch zugesetzt und so versucht, das Angriffsspiel des übermächtigen Gegners zu lähmen.
Über diese Vorgehensweise hatten sich bereits Harry Kewell von Galatasaray und Fenerbahces Mamadou Niang beschwert, nun ließ auch Guti nach dem knappen 2-1 Sieg gegen Sivasspor am Wochenende in der "Hürriyet" seinem Frust über die ständige Foulerei freien Lauf: "Meine Spielerkollegen hier in der Türkei sollten langsam eine technischere Spielweise an den Tag legen. Unsere Gegner gehen nicht auf den Platz, um Fußball zu spielen. Im Spiel gegen Sivas fühlte ich mich nicht wie beim Fußball, sondern wie in einem Käfigkampf."
Doch während die übertriebene Aggressivität seiner Gegenspieler wenigstens noch einen fussballerischen Aspekt hat, muss Guti in Istanbul auch noch mit Widrigkeiten kämpfen, die ausschließlich seiner Berühmtheit geschuldet sind. Denn für die reißerische und mit Gerüchten um sich schmeißende Boulevardpresse ist der extravagante Neuzugang aus Madrid ein gefundenes Fressen.
"Betrunkener Guti stolpert fast ins Meer"
Wann und wo auch immer Guti in der Metropole Istanbul unterwegs ist, steht es in der Presse. Wie hartnäckig die Paparazzi sind, bekam er zu spüren, als er vor kurzem um vier Uhr morgens die bekannte Diskothek "Reina" verließ. Um das Blitzlichtgewitter vor dem Eingang zu vermeiden, entfernten sich Guti und seine Freunde per Boot von der am Hafen gelegenen Diskothek. Als das Boot die sichergeglaubte Anlegestelle erreicht hatte und Guti nichtsahnend an Land gehen wollte, wurde er von den bereits lauernden Fotografen erwischt und vom plötzlichen Blitzlicht überrascht. "Betrunkener Guti stolpert fast ins Meer" hieß am nächsten Tag die Schlagzeile.
An diesem Wochenende dann der nächste vermeintliche Skandal: Beim Verlassen des Inönü-Stadions gab Guti vor laufenden Kameras einem älteren Herren einen Kuss auf den Mund und sorgte damit für Aufruhr. Danach rollten wieder die Schlagzeilen: "Guti gibt seinem Liebhaber einen Kuss", "Skandal-Kuss von Guti!", bis sein Verein in einer Presseerklärung die Sache aufklärte und für Ruhe sorgte - bei dem älteren Herrn handelte es sich um Gutis Vater.
Auch sportlich ist der Besiktas-Motor in letzter Zeit etwas ins Stottern geraten. Nach dem tollen Saisonstart verlor das Team zuletzt vier Spiele hintereinander und steht in der Liga inzwischen auf dem 6. Platz. Dazu hatte der Klub mit Verletzungspech zu kämpfen, auch Guti fiel zuletzt aus.
Am Sonntag meldeten sich die Schwarz-Weißen mit einem am Ende glücklichen 2:1-Heimsieg gegen Sivasspor zurück. Am Donnerstag tritt Besiktas in der Europa League beim FC Porto an, das Hinspiel ging zuhause mit 1:3 in die Hose.
Hohe Erwartungen erfüllt
Bei der Revanche soll der Schalter bei Besiktas endgültig umgelegt werden. Dafür gibt es sicher einfachere Aufgaben als die Auswärtspartie beim ungeschlagenen Gruppenersten - auch wenn spekuliert wird, dass Porto angesichts der bevorstehenden Liga-Begegnung gegen Benfica Lissabon am Wochenende einige Spieler schonen wird.
Guti, der beim Sieg gegen Sivas sein Liga-Comeback gab und mit einem Traumpass den Führungstreffer eingeleitet hatte, hegt trotzdem keinen Zweifel an einem Erfolg: "Wir haben zwar zuhause mit 1:3 verloren, trotzdem sind wir hier, um einen Sieg zu holen. Auch wenn es in letzter Zeit nicht so gut lief, ist die Stimmung bei uns sehr gut. Warum sollten wir dieses Spiel nicht gewinnen?"
Worte eines Leaders. Trotz einiger Widrigkeiten, wie den Tritten der Gegenspieler und den Belästigungen durch die Presse, "El 14" ist in seiner kurzen Zeit bei Besiktas zur Führungsfigur geworden. Die hohen Erwartungen, die am 27. Juli zum Ausdruck kamen, haben sich erfüllt.