Verband bestätigt Fenerbahce als Meister

Fatih Demireli
12. Juli 201100:00
Aziz Yildirim (M.) auf dem Weg zum Metris Staatsgefängnis: Der Fener-Boss wurde verhaftetanadolu
Werbung

Die Süper Lig versinkt im größten Skandal der türkischen Sportgeschichte. Der Manipulationsskandal, der vor den mächtigsten Namen des türkischen Fußballs keinen Halt macht, hat jetzt schon eine neue Zeitrechnung eingeleitet. Jeden Tag gibt es neue Vorwürfe, neue Festnahmen, neue Details und ein Ende ist nicht abzusehen. Zumindest die Meister-Frage ist (vorerst) geklärt.

Wie lautet der konkrete Vorwurf?

Der Großteil der Festnahmen erfolgte aufgrund des Verdachts auf Spielmanipulationen. Mehrere Klubs sollen im großen Umfang Spiele der Süper Lig manipuliert haben: Aktuell stehen mehr als 20 Partien aus der abgelaufenen Saison 2010/11 unter Verdacht, manipuliert worden zu sein. Die Ermittlungen gehen nach offiziellen Angaben der türkischen Polizei fast acht Monate zurück. Besonders zum Ende der Saison sollen die Manipulationsaktivitäten intensiv zugenommen haben. Im Zuge der Ermittlungen sammelten die Sondereinheiten der türkischen Justizbehörden eine erhebliche Anzahl von Beweisen, die teils unfreiwillig medial veröffentlicht wurden.

Allerdings gehen die Ermittlungen über die reine Spielmanipulation hinaus. So lautet der Vorwurf gegen Fenerbahces Präsident Aziz Yildirim Organisiertes Verbrechen sowie Gründung und Leitung einer kriminellen Bande. Gegen eine kleinere Gruppe der Verdächtigen wird zudem wegen Betrugs ermittelt. Die Polizei stellte sicher, dass bei einer Zertifikatsprüfung für Spielerberater betrogen wurde. Der türkische Verband setzte die Prüfung schon damals im Mai auf eigener Faust ab.

Wer sind die Protagonisten?

Inzwischen wurden mehr als 70 Personen festgenommen und vernommen - es ist davon auszugehen, dass die Zahl in den nächsten Tagen und Wochen um ein Vielfaches steigen wird. Am Montag wurden neben Trabzonspors Präsident Sadri Sener auch Torwart Serdar Kulbilge (Ankaragücü) und Mümtaz Karakaya (Vorstandsmitglied Ankaragücü) festgenommen. Der ehemalige Verbandspräsident Mahmut Özgener wurde laut türkischen Medien als verdächtiger Zeuge vorgeladen.

Die bekanntesten Namen der Verdächtigen:

  • Aziz Yildirim (Präsident von Fenerbahce) | Verhaftet
  • Sekip Mosturoglu (Vizepräsident von Fenerbahce | Verhaftet
  • Ilhan Eksioglu (Vorstandsmitglied von Fenerbahce) | Verhaftet
  • Mecnun Odyakmaz (Präsident von Sivasspor) | Verhaftet
  • Korcan Celikay (Torwart von Sivasspor) | Verhaftet
  • Bülent Uygun (Trainer von Eskisehirspor) | Verhaftet
  • Ümit Karan (ehemaliger Spieler und neuer Sportdirektor Eskisehirspor) | Verhaftet
  • Sadri Sener (Präsident von Trabzonspor) | Festgenommen
  • Levent Kizil (ehemaliges Vorstandsmitglied des türkischen Verbands) | Festgenommen
  • Serdar Kulbilge (ehem. Genclerbirligi-Towart, jetzt Ankaragücü) | Festgenommen
  • Emmanuel Emenike (ehem. Karabük-Spieler, jetzt Fenerbahce) | Freigelassen
  • Sezer Öztürk (ehem. Eskisehir-Spieler, jetzt Fenerbahce) | Freigelassen
  • Mahmut Boz (Genclerbirligi-Spieler) | Freigelassen

Ist mit einer dritten Welle von Festnahmen zu rechnen?

Am 3. Juli startete die türkische Polizei die erste Welle, bei der u.a. Fenerbahces Präsident Yildirim festgenommen wurde. Am Montag folgte nun die zweite Welle mit Trabzonspors Vorstandschef Sadri Sener und Co.: Allerdings geht man in der Türkei fest davon aus, dass weitere Festnahmen sehr bald folgen werden. Viele Meldungen diverser türkischer Medien sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, zumal jeden Tag neue Details auftauchen.

Pikant ist die Meldung der türkischen Nachrichtenagentur "DHA", die wissen will, dass sich Besiktas-Star Matteo Ferrari ins Ausland abgesetzt haben soll, nachdem er bemerkt habe, im Visier der Ermittler zu stehen. Ferrari sah beim Derby zwischen Besiktas und Fenerbahce (2:4) im Februar die Rote Karte. Der italienische Verteidiger spielt aus sportlicher Sicht keine Rolle mehr und wurde auch nicht ins Trainingslager in Österreich mitgenommen.

Der Nachrichtensender "CNN Turk" brachte zudem Besiktas-Vorstandsmitglied Serdal Adali und Stürmer Ibrahim Akin von Istanbul Büyüksehir Belediye Spor ins Gespräch. Beide sollen, so meldet der Sender, nach der Einreise in die Türkei festgenommen werden.

Was ist los bei Fenerbahce?

Der Klub wurde in den ersten Tagen in eine Schockstarre versetzt. Bis auf eine kurze Pressemitteilung gab es keine öffentlichen Auftritte, keine Mitteilungen. Der Klub wurde erst in den vergangenen Tagen aktiv. Der Vorstand steht öffentlich geschlossen hinter Präsident Aziz Yildirim. Während den Vernehmungen beim Haftrichter weilten regelmäßig viele Vorstandsmitglieder im Justizgebäude. Auch bei den vielen Krankenhausaufenthalten des zuckerkranken Yildirim waren Tag und Nacht Fenerbahce-Funktionäre vor Ort.

Auch die Fans wurden mobilisiert: Ob Justizgebäude, Krankenhaus oder sogar jetzt im Metris Staatsgefängnis: Yildirim wird mit Sprechchören gefeiert. Auch aus der Mannschaft will man dem Ganzen keinen Glauben schenken. Die Truppe von Aykut Kocaman bereitet sich im neuen Trainingszentrum im türkischen Düzce auf die neue Saison vor.

"Was die Mannschaft trotz dieser Umstände für ein Pensum abliefert, verdient größten Respekt", sagt Trainer Kocaman. Dennoch ist die Zukunft - unabhängig vom Ausgang des Skandals - mehr als ungewiss: Die Ära Aziz Yildirim wird fast sicher enden, auch wenn der Fener-Boss freigesprochen werden sollte.

Eine Klub-Satzung gebietet sogar den Klub-Ausschluss des Präsidenten im Falle einer Schuldsprechung. Die Aktie an der Istanbuler Börse stürzt täglich noch tiefer. "Der Klub schwebt in der Leere", sagt Vorstandsmitglied Abdullah Kigili. Das gilt auch für Transfers, die logischer Weise gestoppt wurden.

Wie reagiert der türkische Fußballverband?

Der türkische Fußballverband hat am Montagabend in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass der Ausgang der Saison 2010/2011 bei der UEFA offiziell bestätigt wurde. Demnach werde die neue Saison auch wie geplant am 5. August beginnen. Das Supercup-Finale wird wie geplant zwischen Fenerbahce und Besiktas ausgetragen.

Damit bestätigte der Verband Fenerbahce trotz laufender Ermittlungen als Meister 2010/2011.

Verbandspräsident Mehmet Ali Aydinlar kündigte an, keine Entscheidung treffen zu wollen, bevor die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift beim Gericht verlesen und das Gericht diese Anklageschrift angenommen hat.

"Wir müssen uns in dieser Stunde wie eine Einheit präsentieren. Mir ist klar, dass wir mit dieser Entscheidung nicht alle glücklich gemacht haben", so Aydinlar. Damit ist fast sicher, dass Fenerbahce in die neue Saison in der Süper Lig starten wird und auch an der Champions League teilnehmen darf.

Welche sportlichen Folgen drohen?

Spätestens am 15. Juli muss die Türkei wie alle anderen Verbände die Starter für die Champions League und die Europa League offiziell bei der UEFA melden. Die Statuten der türkischen Gesetzgebung sind aber eigentlich klar: Schon der Versuch der Spielmanipulation muss hart sanktioniert werden.

Ist der Verdacht der Manipulation erwiesen, muss der Verband Fenerbahce eigentlich den Titel nachträglich aberkennen und den Klub in die 2. Liga strafversetzen. Also ein ähnliches Szenario wie in Italien, als Juventus im Zuge des Manipulationsskandals in die Serie B strafversetzt wurde.

Das gleiche gilt auch für die anderen türkischen Klubs, die im Verdacht stehen: Trabzonspor machte sich in den letzten Tagen Hoffnung auf den Titel, doch auch der Vizemeister steht nun offiziell im Visier der Ermittlungen. Auch Klubs wie Sivasspor oder Eskisehirspor droht weiterhin der Abstieg.

Sportlich abgestiegene Klubs wie Konyaspor oder Bucaspor haben vorsorglich beim türkischen Fußballverband ein Gesuch für die Wiederaufnahme in die Süper Lig eingereicht. Bestimmte Einzelschicksale sind indes schon besiegelt: Eskisehirspor trennte sich von Trainer Bülent Uygun und Sportdirektor Ümit Karan. Bei Sivasspor traf es Torhüter Korcan Celikay.

Was sagt die Liga?

Fenerbahce erhält in diesen Tagen unverhofft Unterstützung: vom Erzrivalen Galatasaray. Klub-Boss Ünal Aysal versprach "unseren Freunden" von Fenerbahce, bis zum Ende der Ermittlungen keinerlei öffentliche Bekundungen zu dem Thema abzugeben. Sämtliche Galatasaray-Medien wie der klubeigene TV-Sender, die Webseite oder die Zeitschrift werden keine Berichterstattung zum Manipulationsskandal liefern.

Während die Mehrheit der Fußball-Fans, die nicht mit Fenerbahce sympathisieren, mit großer Vorfreude den Zwangsabstieg des Noch-Rekordmeisters erwartet, sind die konkurrierenden Klubs anderer Meinung. Neben Galatasaray bekundeten viele andere Klubs ihr Unwohlsein, sollte Fenerbahce absteigen müssen.

Der wirtschaftliche Wert der Liga werde so erheblich beeinträchtigt, heißt es aus mehreren Klub-Kreisen. Auch der Pay-TV-Sender "LigTV" dürfte wenig amüsiert sein. Die Fener-Fans sind neben den Gala-Anhängern die Hauptkunden des Bezahlsenders.

Ein Liga-Ausschluss käme für "LigTV" einem finanziellen Desaster gleich. Der Klub-Verband, zu dem alle 18 Süper-Lig-Vereine gehören, eill angeblich beim Verband ein Gesuch einreichen, Fenerbahce lediglich mit einem Punktabzug zu bestrafen.

Ein derartiges Vorgehen ist allerdings nicht zu erwarten, weil auch die UEFA und die FIFA im Falle einer bewiesenen Manipulation rigoroses Vorgehen verlangen. Entspricht die Türkei diesen Erwartungen nicht, droht dem ganzen Verband auf Jahre ein Ausschluss aus allen europäischen Wettwerben.

"Wenn wir Fenerbahce in die 2. Liga schicken, gibt es kein Zurück mehr", zitiert die "Hürriyet" ein Vorstandsmitglied des türkischen Verbands. Eines ist klar: Der türkische Fußball steht am Scheideweg.

Die Abschlusstabelle der Süper Lig 2010/2011