So recht glauben kann es Karim Bellarabi noch nicht. Er schleicht sich heimlich in die Kabine, um das weiße Trikot mit dem Adler anzuprobieren. Seines ist das mit der Nummer 19. "Ich musste ja sehen, ob es mir auch passt", erklärt er später. Es passt.
Vor Anpfiff der zweiten Halbzeit leuchtet am Spielfeldrand die grüne 19 auf. Eine Viertelstunde später zappelt der Ball im Netz. Bellarabi hat die Kugel aus 18 Metern volley unten links versenkt.
Das war im Oktober des vergangenen Jahres. Nach nur 13 Drittliga-Einsätzen hatte ihn Trainer Frank Wormuth zu den U-20-Länderspielen gegen die Schweiz und Polen eingeladen. Seitdem hat Bellarabi jedes Spiel für Eintracht Braunschweig bestritten, dabei sechs Tore erzielt und mit elf Assists die meisten der dritten Liga gegeben.
Ab Sommer schnürt der 20-Jährige die Fußballschuhe für Bayer Leverkusen. "Es ging alles rasend schnell, ich muss das erst einmal realisieren. Vor wenigen Monaten habe ich noch davon geträumt im Eintracht-Stadion vor den vielen Fans ein Tor zu schießen", ist Bellarabi heute noch fassungslos.
"Bei Werder bin ich aufgewachsen"
Groß geworden ist Bellarabi im sozial schwächeren Bremer Stadtteil Huchting und begann beim dortigen FC mit dem Fußballspielen. "Schon damals war Karim ein sehr antrittsschneller, wendiger und kreativer Spieler", sagt Stützpunkttrainer Thomas Horsch.
Schnell wurde Werder Bremen auf den Jungen aufmerksam, bei den Grün-Weißen spielte er sechs Jahre. Es sei eine spannende Zeit gewesen, sagt Bellarabi rückblickend: "Ich bin da im Grunde aufgewachsen. Der Fußball hat mir neue Perspektiven aufgezeigt und mich aus einem schwierigen Umfeld herausgeholt."
2007 wechselte er zum FC Oberneuland und feierte dort schon mit 17 Jahren sein Debüt in der Oberliga Nord. Drei Tore in sieben Spielen riefen Eintracht Braunschweig auf den Plan.
Der damalige A-Jugend-Trainer der Niedersachsen, Torsten Lieberknecht, überzeugte Bellarabi von der guten Perspektive im Jugendinternat der Löwen.
Bellarabi nahm das Angebot an, machte im Internat seinen Realschulabschluss und leistete im Anschluß seinen Zivildienst bei der Lebenshilfe Braunschweig ab.
Hauptsächlich spielte Bellarabi jedoch Fußball. Und zwar so gut, dass er nach einem Jahr bei der U 19 ins Regionalliga-Team der Eintracht befördert wurde.
Ins kalte Wasser geworfen
Und auch für Lieberknecht ging es nach oben: Nach dem Aus von Trainer Benno Möhlmann im Mai 2008 wurde er zum Chefcoach der Profis ernannt. Dies erleichterte Bellarabi den Schritt ins Profi-Team. Lieberknecht hält viel von Bellarabi, weiß aber auch, dass der "sportlich eine führende Hand braucht".
Er ging nicht immer zimperlich mit seinem Schützling um, bot ihm aber die Chance, sich zu beweisen. "Er hat mich quasi ins kalte Wasser geworfen und ich weiß das zu schätzen", sagt Bellarabi: "Torsten hat mir viel Vertrauen geschenkt. Er ist ein sehr guter Trainer, möchte mich immer weiter verbessern und bringt mich zurück auf den Boden."
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Bei seinem dritten Einsatz für die Profis, im Februar 2010, folgte der erste und bislang einzige größere Rückschlag. Bellarabi zog sich einen Bänderriss im Knöchel zu - erst im Mai kehrte er für die zweite Mannschaft auf den Platz zurück: "Das war sehr bitter. Ich war gut drauf und nah dran an den Profis." In der Saisonvorbereitung spielte sich Bellarabi dann aber endgültig ins Drittliga-Team.
Lob von allen Seiten
Bellarabi erntet für seine attraktive, technisch feine Spielweise schnell Lob von allen Seiten. "Karim ist ein Risikofußballer, der viel Spaß am Fußball mitbringt. Er ist ein Tempo-Dribbler mit brutalem Antritt", sagt Lieberknecht.
Die häufigen Wechsel von seiner angestammten rechten auf die linke Angriffsseite stiften Verwirrung und schaffen Räume, bestätigt Löwen-Kapitän Dennis Kruppke: "Er ist Teil unserer Unberechenbarkeit." Zusammen mit Mirko Boland bildet Bellarabi die gefährlichste Flügelzange der dritten Liga.
"Karim ist ein sehr schneller Spieler, auch mit Ball, sehr gut im Eins-gegen-eins auf engstem Raum", sagt Wormuth. Was ihm noch fehle? "In Sachen Taktik sehe ich noch Steigerungsmöglichkeiten", so Wormuth. Irgendwo muss ja noch Luft nach oben sein.
Motivation durch die Kopfhörer
Allen Lobeshymnen zum Trotz bleibt Bellarabi aber bodenständig. "Ich habe noch nicht so viel erreicht. Ich muss weiter hart trainieren und versuchen, das Beste aus mir herauszuholen", sagt er: "Meine Mutter hat mich gut erzogen. Ich bleibe immer auf dem Teppich und hebe nicht ab."
Bellarabi hat marokkanische Vorfahren und besitzt sowohl die deutsche als auch die marokkanische Staatsbürgerschaft. In Afrika ist er jedoch nur noch manchmal. Zum Urlaub machen. Er fühlt sich deutsch, das Debüt für die U 20 "war ein ganz besonderer Moment". Die Nationalhymne mitzusingen habe ihn stolz gemacht, sagt er.
Als überzeugter Moslem betet Bellarabi vor jedem Spiel. Die Werte des Islam versucht er soweit es geht einzuhalten, "als Profi-Fußballer ist das aber nicht immer möglich".
Auf dem Weg zum Stadion und in der Kabine motiviert er sich mit Hip Hop: "Ich bin fasziniert von 2Pac, mit seiner Musik bin ich aufgewachsen."
Erst Aufstieg, dann Bundesliga
Es dauerte nicht lange, da ließen seine Auftritte auf der Drittliga-Bühne auch die Großen des deutschen Fußballs aufhorchen. "Ein interessanter junger Spieler, der in der dritten Liga herausragende Leistungen zeigt", sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc schon vor einiger Zeit in der "Sport-Bild".
Auch Wolfsburgs Dieter Hoeneß war angetan: "Bellarabi würden wir sicher nicht holen, um unsere zweite Mannschaft zu verstärken." Hoffenheim, Mainz, Freiburg und Kaiserslautern sollen auch ihre Fühler ausgestreckt haben, den Zuschlag bekam letztlich Bayer Leverkusen.
Dort soll das "große Talent nun behutsam aufgebaut werden", sagt Rudi Völler. Bellarabi freut sich auf die neue Herausforderung: "In Leverkusen erwartet mich ein ganz anderes Umfeld. Dort sind große Spieler wie Ballack, Kießling oder Adler. Ich kann sehr viel lernen. Ich werde hart trainieren und versuchen, das Beste aus mir herauszuholen."
Bis zum Sommer hat Bellarabi aber noch ein großes Ziel: Den Aufstieg mit Eintracht Braunschweig. "Wir sind ein echtes Team, verstehen uns gut. Wenn wir so weitermachen, erreichen wir unser ganz großes Ziel. Dieser Verein gehört in die zweite Liga." In eine Liga, die Überflieger Bellarabi überspringen wird.