Vogel: Ja, absolut. Man darf nicht so borniert sein zu sagen, der Fußball hat seine eigenen Gesetze und ich lasse von außen nichts zu. Dann sind wir wieder beim Thema Stillstand und sie werden überholt. Wenn die Spanier auf Nationalmannschafts- und Klubebene erfolgreich sind, haben sie was verändert. Etwas, das vorher nicht da war. Dann schaut man schon hin. Warum ist ein Roger Federer so erfolgreich? Vielleicht kann man da ja gewisse Parallelen entdecken mit erfolgreichen Sportlern wie Philipp Lahm, Thomas Müller oder Michael Jordan? Wenn man in die Materie eintaucht, dann kommt es häufig zu Aussagen, die sich decken, weil sie sinngemäß auch von anderen getroffen wurden.
SPOX: Würden Sie einem Ihrer jungen Spieler die Biografie von Roger Federer in die Hand geben, wenn Sie das Gefühl hätten, dass sie ihn weiterbringen könnte?
Vogel: Wenn ich der Meinung wäre, dass das eine Möglichkeit ist, seinen Horizont zu erweitern, würde ich das machen. Das ist eine Art von Mentalitätsbildung. Vielleicht sagt sich der Spieler hinterher: ‚Oh, das habe ich so gar nicht gesehen.' Aber es muss Sinn ergeben: Wenn ich der Meinung bin, dass das Zeitverschwendung ist, muss ich einen anderen Weg finden, an seine Mentalität ranzukommen.
SPOX: Sind die Spieler der heutigen Generation für derartige Impulse empfänglicher als früher?
Vogel: Die Welt hat sich verändert. Die Jugendlichen von heute sind in einem ganz anderen Kontext groß geworden als vor 20 Jahren. Ich habe 1996 beim FC Bayern angefangen, da kamen die ersten Handys auf den Markt. Riesenteile! Jetzt sind sie, was die Technik angeht, hoch überlegen. Was schon mal gedacht ist, kann ich nicht zurücknehmen. Und genauso muss ich die Jugend behandeln. Das Schöne ist, dass die Jugend offen für Information ist. Sie will verstehen, warum etwas gemacht wird. Früher wurde gesagt: 'Du machst es, weil...' Heute wollen sie den Hintergrund erfahren, weil sie wissbegieriger sind. Das finde ich wunderbar anspruchsvoll.
SPOX: Es bleibt manchmal nicht nur dabei, nach dem Grund zu fragen. Dennis Schröder hat bei der Basketball-EM seinen Trainer Chris Fleming öffentlich kritisiert, weil dieser foulen ließ, anstatt - wie von Schröder gefordert - der Defense zu trauen.
Vogel: Und Dirk Nowitzki hat dazu gesagt: 'In der NBA wird das nicht so gemacht, aber in der Europa ist das Gang und Gäbe.'
SPOX: Wollen Sie so mündige Spieler wie Dennis Schröder?
Vogel: Ich forciere sie immer. Ich kann als Trainer nicht alle Situationen richtig begreifen und bin auf mündige Spieler angewiesen, die sagen: 'Hey, hier bin ich und regle das jetzt im Sinne der Mannschaft!' Ich als Trainer kann Ratschläge erteilen. Auf dem Platz bin ich aber darauf angewiesen, dass meine Spieler selbstbewusst genug sind, das Richtige zu machen. Natürlich würde ich am nächsten Tag in der Zeitung nicht lesen wollen, was ich falsch gemacht habe. Aber unter vier Augen jederzeit.
SPOX: Man hört bei Ihnen die Begeisterung für den Sport heraus. Wenn in der Ingolstädter Straße irgendwann der Komplex steht, kann es dann sein, dass Sie das Ganze nur aus der administrativen Perspektive betrachten oder soll der Trainerjob immer ein Part Ihrer Arbeit bleiben?
Vogel: Darüber habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich lebe im Jetzt und versuche das, was in der Vergangenheit war, in die Zukunft mitzunehmen. Die Aufgabe, so wie sie jetzt ist, macht mir Spaß. Wenn ich eine Anekdote von einem Spieler aus der U17 erzählen darf...
SPOX: Sehr gerne...
Vogel: Er hat einen Fehler gemacht, danach war sein Spiel ungewohnt fehlerbehaftet. Ich habe ihn gefragt: 'Was war da los?' Er hat gesagt: 'Nach dem Fehler war ich unsicher.' Ich habe erneut gefragt: 'Was ist passiert?' Er gab die gleiche Antwort. 'Aber das Ergebnis war doch das selbe, oder? Hast du ein Eigentor geschossen? Nein! Es ist doch nichts passiert.' Er hat das bejaht und war glücklich. Das zeigt, wie mein Tagesablauf so aussieht. Es ist sehr spannend.
SPOX: Sie haben sehr offen mit dem jungen Spieler gesprochen. Louis van Gaal hat mal gesagt, dass die Einschätzungen seiner Spieler zu bestimmten Situationen wenig bringen, weil sie es in der Theorie eh nie so gut verstehen würden. Mit Ausnahme von Thomas Müller, sagte er. Wie sehen Sie das?
Vogel: Ich weiß nicht, in welchem Kontext Louis van Gaal das gesagt hat, aber das wäre für die Spielerzunft ja ein Armutszeugnis, wenn es so wäre. Verhaltensänderung heißt Lernen. Und Lernen heißt, dass man etwas macht, was man vorher nicht gemacht hat oder ich unterlasse etwas, was ich vorher gemacht habe. Stichwort: Heiße Herdplatte. Ich glaube, dass dieser Effekt in beide Richtungen größer ist, wenn die Spieler wissen, warum auch etwas passiert. Ein Beispiel...
SPOX: Gerne.
Vogel: Der Spieler zeigt in Situation A Reaktion B. Ich lobe ihn daraufhin. Zwei Minuten später kommt Situation A wieder, er macht wieder B. Diesmal sage ich nichts. Drei Minuten später kommt wieder Situation A und er macht diesmal C. Warum hat er beim zweiten Mal B gemacht? Nur weil ich ihn gelobt habe. Ich will, dass er es versteht. Dann ist es auch eine Waffe. Ich will Zufälle minimieren und das geht, indem ich Verständnis erzeuge.
SPOX: Herr Vogel, Ihre Jungs wollen alle irgendwann Bayern-Profi werden...
Vogel: Alles klar, Frage verstanden. Nochmal: Ich lebe im Jetzt. (lacht)
SPOX: Ich wollte die Frage so formulieren, dass es überraschend wäre, wenn Sie als Kind des Klubs nicht irgendwann den wichtigsten Trainerposten haben wollen würden...
Vogel: Es kommt immer auf die Situation an. Ich bin Angestellter des Vereins und die Verantwortlichen wissen bestens, wie sie mich einsetzen. Ich bin total happy.
Seite 1: "Siegen lernen muss hier niemand"